28.08.2020 Projekt

Multimediaprojekt ermöglicht digitale Begegnungen zum Thema Familiengeschichte

Im Januar 2020 startete das dreijährige Multimedia-Projekt „#WaswillstDutun?“, das Lernende dabei unterstützt, sich mit der Frage „Wie lebte meine Familie von 1933 bis 1945, egal ob in Europa, Asien, Afrika etc.?“ auseinanderzusetzen. Eine wichtige Grundannahme des Projekts ist, dass der Dialog zwischen Menschen mit diversen Familiengeschichten den Erfahrungshorizont aller Teilnehmenden erweitert, wobei gerade die Anknüpfungspunkte zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten eine wichtige Rolle spielt. Das Projekt wird durch das Programm „Jugend erinnert“ der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert.

Familiengeschichtliche Interviews per Videokonferenz

Digitales und analoges Lernen sinnvoll miteinander zu kombinieren war schon vor dem Beginn der Covid-19-Pandemie ein wichtiger Aspekt des Projekts. Mitte März waren erst zwei von mehr als zehn geplanten Interviews mit Nachkomm*innen von NS-Verfolgten geführt, als neue Corona-bedingte Vorschriften zu weitreichenden Anpassungen des Konzepts führten. Diese ersten beiden Gespräche hatten noch in den Wohnungen der Interviewten stattfinden können. Die vertraute Umgebung hatte schnell eine entspannte Atmosphäre entstehen lassen. Doch wie führt man Gespräche über sensible Themen wie die Verfolgungsgeschichte der Verwandten, über das soziale Engagement der Gesprächspartner*innen und ihre Vorstellungen von einem guten gesellschaftlichen Zusammenleben, wenn Hygieneregeln eingehalten werden müssen? Zum Glück waren die meisten der bereits angefragten Interviewpartner*innen bereit, sich mit den Projektmitarbeiter*innen auch am Bildschirm zu treffen. Im Rückblick erklärten alle, dass ihre anfängliche Sorge darüber, in einer Videokonferenz einer bis dahin quasi fremden Person so viel über sich und ihre Familiengeschichte zu erzählen, schnell verflogen sei.

Egal ob digital oder analog, für viele Nachkomm*innen war es ungewohnt, hauptsächlich über sich und nicht nur über die Geschichte ihrer Verwandten zu reden, die aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgt bzw. in Folge von Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung in besetzten Ländern deportiert worden waren. Insbesondere die Generation der Enkel- und Urenkelkinder unter den Interviewpartner*innen beschreibt sich selbst als besonders aufmerksame Beobachter*innen gesellschaftlicher Entwicklungen, da ihnen die Familiengeschichte gezeigt habe, dass negative Veränderungen schnell greifen könnten. „Mir geht es als Nachfahrin [von NS-Verfolgten] nicht um Schuldzuweisung, sondern um das Erinnern – darum das Schweigen endlich aufzugeben und durch Sprechen Brücken in die Zukunft zu bauen“ sagt Elisabeth Elster, deren Großvater als Sinto verfolgt wurde. 

#digitalonly: Kooperation mit der HafenCity Universität

Anfang Juni 2020 nahmen zehn der Interviewpartner*innen an einer Begegnung mit Studierenden der HafenCity Universität (HCU) teil. Sowohl die Begegnung als auch das Projektseminar, in dessen Rahmen die Kooperation stattfand, mussten unter Nutzung einer Videoplattform stattfinden und damit didaktische Methoden an die Arbeit am Bildschirm angepasst werden.

Als Teil des Seminars wurden Studierende dabei unterstützt, ihre eigenen Familiengeschichten zu recherchieren. In Kleingruppen reflektierten sie, wie die Geschichte ihrer Vorfahren, die zwischen 1933 und 1945 lebten, noch Einfluss auf ihr aktuelles Leben hat. Ebenso lernten sie die Auswirkungen der Verfolgung auf Nachkomm*innen von NS-Verfolgten kennen, betrachteten Familiennarrative und probierten aus, wie sich ihre Familiengeschichte auch ohne Fotos, dafür mit einfachen Zeichnungen illustrieren lässt, um sie dann online zu präsentieren.

Die Begegnung zwischen Studierenden und Nachkomm*innen von NS-Verfolgten war als Höhepunkt des Seminars geplant und wurde von den meisten Studierenden auch so erlebt. Die Studierenden hatten vorab eingeübt, wie ein Gespräch in Gang kommen kann, in dem alle Teilnehmenden Gelegenheit finden, darüber zu sprechen, was sie selbst als Person ausmacht, welche Rolle dabei ihre Familiengeschichte spielt und was sie für das Erreichen bestimmter gesellschaftlicher Ziele tun können.

Die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte in den Sozialen Medien

Nicht nur im Seminar, auch auf dem projekteigenen Instagram-Konto https://instagram.com/family.history1933tilltoday haben Studierende Stellung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen bezogen. So fragt eine Studentin: „Wie verhindern wir den latenten Rassisten in uns?“ Aber auch familiengeschichtliche Beiträge der Nachkomm*innen von NS-Verfolgten und der Studierenden sowie Reflektionen über die Begegnung zwischen Studierenden und Nachkomm*innen und über Wünsche für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben sind bereits hochgeladen worden.

Im Projekt wurde der Online-Dienst Instagram als Reflektions-, Dokumentations- und Kommunikationsmedium genutzt. Instagram wurde als niedrigschwelliges, bildbasiertes Angebot für die Darstellung von Familiengeschichten genutzt. Außerdem ist die Zielgruppe des Projekts, junge Erwachsene zwischen 16 und 27 Jahren, sehr aktiv bei Instagram. Sie sollen durch die unterschiedlichen Beiträge der Studierenden und der Nachkomm*innen zu eigenen Überlegungen angeregt werden.

Arbeit an der Online-Ausstellung hat begonnen

Die Instagram-Beiträge, die Interviews mit den Nachkomm*innen von NS-Verfolgten und die Aufnahmen aus den sieben Begegnungen zwischen Studierenden und Nachkomm*innen fließen in eine sich gegenwärtig im Aufbau befindende pädagogische Online-Ausstellung ein. Sie soll im Sommer 2021 eröffnet werden. Durch interaktive Elemente können Lernende dort erfahren, warum es sich lohnt, sich mit der eigenen Familiengeschichte zu befassen sowie ihre eigenen Erkenntnisse zu Identität, Werten und Handlungsorientierungen reflektieren, aber auch Erfahrungen mit sozialer Ungleichheit, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Gewalt einbringen.

Der ganze Bericht als pdf kann hier heruntergeladen werden.