23.01.2020 Projekt
Zwei Projekte der KZ-Gedenkstätte Neuengamme setzen sich mit der Relevanz von Familiengeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus für die heutige Zeit auseinander.
Am 1. Januar 2020 haben Swenja Granzow-Rauwald und Thorsten Fehlberg die Arbeit an „#WaswillstDutun? Ein multimediales Projekt zur Gegenwartsrelevanz von Familiengeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus“ aufgenommen. Das Projekt wird durch das Programm „Jugend erinnert“ der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert und läuft über drei Jahre. Das Projekt setzt dabei auf familienbiografische Recherche als didaktisches Mittel.
Thorsten Fehlberg erläutert den Hintergrund des Projektes: „Ein Blick in die Lebensgeschichten der Nachkommen von NS-Verfolgten zeigt häufig, wie die familiären Verfolgungserfahrungen bis in die Gegenwart weiterwirken. Oft haben sie auch die gesellschaftlichen Veränderungen im Umgang mit den NS-Verfolgten nach 1945 beobachtet und sich in unterschiedlicher Weise in den Diskurs um das Gedenken eingebracht. Damit sind die Angehörigen Beobachter*innen und zugleich Akteur*innen des gesellschaftlichen wie familiären Umgangs mit der NS-Geschichte.“ Swenja Granzow-Rauwald ergänzt: „Menschen ohne direkten biografischen Bezug zu NS-Verfolgten haben oft nur vage Vorstellungen von ihrer Familiengeschichte zwischen 1933 und 1945. Dabei prägt Familiengeschichte das eigene Denken und Handeln in erheblichem Maße: Bei der Formung der eigenen Identität ist die Frage nach dem „Wo komme ich her?“ sehr wichtig. Das Projekt „#WaswillstDutun?“ will Lernende befähigen, über den Einfluss ihrer Familiengeschichte auf ihre Identität zu reflektieren und ihre Wünsche für ein gesellschaftliches Zusammenleben zu formulieren.“
Dabei arbeitet das Projekt mit aktivierenden, dialogischen und multimedialen Methoden. Das Projekt zielt dabei auch darauf, historisches Denken durch multiperspektivische Zugänge auszudifferenzieren. Unter anderem werden die Teilnehmenden auf Instagram familienbiografische Recherchen und Geschichten, Gedanken und Fragen präsentieren. Dabei reflektieren sie über Werte, Handlungsmotivationen und Entscheidungsspielräume während der NS-Zeit und setzen diese mit ihrem eigenen Leben und Handeln in der Gegenwart in Verbindung.
Im Beirat des Projekts sind Gedenkstätten aus Norddeutschland und das Young Committee des internationalen Überlebendenverbandes Amicale Internationale KZ Neuengamme vertreten. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme arbeitet darüber hinaus in diesem Projekt mit Kooperationsschulen und Trägern der außerschulischen Bildungsarbeit zusammen. Tandempartner ist die HafenCity Universität in Hamburg.
Auch Karin Heddinga beschäftigt sich mit den Auswirkungen, die die Familiengeschichte bis heute auf Kinder, Enkel und Urenkel der Verfolgten hat. Seit März 2017 arbeitet sie in dem von der ZEIT-Stiftung geförderten Projekt der KZ-Gedenkstätte Neuengamme „Transgenerationale Überlieferung von Geschichte: Bausteine zur Zukunft der Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Migrationsgesellschaft“. Sie führt narrative biografische Interviews mit Menschen, die vom Hannoverschen Bahnhof deportiert wurden, bzw. mit Verfolgten, deren Angehörige deportiert wurden. Außerdem spricht sie mit Kindern, Enkeln und Urenkeln über die Auswirkungen ihrer Familiengeschichte auf ihr heutiges Leben. Anschließend werden die Interviews ausgewertet und bilden die Grundlage für Biografien und Videostationen des künftigen Dokumentationszentrums denk.mal Hannoverscher Bahnhof, das Ende 2022 eröffnet werden soll.
Mit diesen Interviews werden in dem Projekt insbesondere die Perspektiven der Nachkommen von rassistisch Verfolgten eingefangen. In Ergänzung finden Interviews mit Angehörigen von Menschen statt, die in die Bewährungsbataillone 999 der Wehrmacht gezwungen wurden. Auch ihre Geschichte ist mit dem Hannoverschen Bahnhof verknüpft. Außerdem soll beleuchtet werden, was in Familien der nicht von Verfolgung betroffenen Bevölkerung (ZuschauerInnen, ProfiteurInnen, TäterInnen, HelferInnen) über die Deportationen überliefert ist. Darüber hinaus wird untersucht, in welcher Weise sich „normale“ BürgerInnen, Berufsgruppen sowie staatliche Stellen in Hamburg und Norddeutschland an der Verfolgung und der Deportation von Juden sowie Sinti und Roma beteiligten.