23.02.2016 Veranstaltung, Ausstellung

Rückblick: Hamburger Fußball im Nationalsozialismus

Vom 14. Januar bis 7. Februar zeigte die KZ-Gedenkstätte die Ausstellung „Hamburger Fußball im Nationalsozialismus. Einblicke in eine jahrzehntelang verklärte Geschichte.“ im Hamburger Rathaus. Begleitend zur Ausstellung fanden öffentliche Vorträge, Filmvorführungen, Führungen sowie eine Tagung zu verschiedenen Aspekten des Hamburger Fußballs im Nationalsozialismus statt. Eine Auswahl dieser Veranstaltungen wollen wir hier vorstellen.

Am 14. Januar wurde die Ausstellung im Kaisersaal des Hamburger Rathauses eröffnet. Carola Veit, Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Herbert Diercks, Kurator der Ausstellung und
Daniela Wurbs, Geschäftsführerin bei "Football Supporters Europe" hielten Reden. Besonders bewegend waren die Worte von Torkel Wächter, der über das Schicksal seines fußballspielenden jüdischen Vaters Walter Wächter in Hamburg während der NS-Zeit berichtete.

Bei der Veranstaltung "Große Freude, große Aufregung. Fußball spielende Zwangsarbeiter in Hamburg im Zweiten Weltkrieg" kam Joanna Kropop, Enkelin des im Nationalsozialismus verfolgten polnischen Zwangsarbeiters Tadeusz Brzeski zu Wort: Sie erzählte vom Schicksal ihres im Jahr 2015 verstorbenen Großvater, der im zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter in Hamburg trotz der sehr harten Lebens-und Arbeitsbedingungen zusammen mit anderen Polen eine Fußballmannschaft gegründet hatte.

Mit deutsch-polnischen Sportbeziehungen befasste sich der Vortrag "Gastfreundschaft und gegenseitiger Respekt - Fußball und Politik in den Jahren 1933 bis 1938" des Historikers
Prof. Dr. Dieter Hertz-Eichenrode. Er berichtet darüber, weshalb sich unter der NS-Herrschaft zwischen 1933 und 1938 Länderspiele zwischen Polen und Deutschland etablierten: Sie sollten außenpolitisch gegen die Isolation Deutschlands wirken und innenpolitisch die jüdische Verfolgung abschwächen. Im Mai 1939 nahmen die Länderspiele ein Ende, als die polnische Regierung eine vertraglich nähere Bindung an Deutschland verweigerte und der sportliche Verkehr mit Polen verboten wurde.

Beim Vortrag "Jüdischer Sport in Hamburg im Nationalsozialismus" erzählte der Historiker und Sportwissenschaftler Prof. Dr. Peiffer über den Ausschluss von jüdischen Sportlerinnen und Sportlern aus der Gemeinschaft und den Mannschaften der Sport- und Turnverbände in dieser Zeit. Er gab berührende Einblicke in die Reaktion der betroffenen Juden, die den Ausschluss als einschneidende Lebenserfahrung erlebten. Zudem berichtete die Historikerin Dr. Claudia Bade von der Sportgruppe "Schild" in Hamburg, einem Verein, in dem Juden von 1933 bis 1938 weiterhin Sport ausüben und ein Gemeinschaftsgefühl erleben konnten.

Verschiedene Vorträge befassten sich im Begleitprogramm mit Aspekten der Geschichte der Vereine HSV (Dirk Mansen), FC St. Pauli (Gregor Backes), FTSV Lorbeer Rothenburgsort (Ingo Böttcher, Heinrich Nahr und Hauke Netzel) und Eimsbütteler Turnverband (Sven Fritz). Zudem fand eine alternative Stadtrundfahrt des Hamburger Landesjugendrings zu einer Auswahl von Sportstätten statt. Jörg Petersen, Geschäftsführer der Galerie Morgenland/Geschichtswerkstatt Eimsbüttel, leitete die Rundfahrt und berichtete über die Geschichte einzelner Vereine im Nationalsozialismus und über den Umgang mit der NS-Vergangenheit nach Kriegsende. Am 6. Februar freuten wir uns über den Besuch der Nachwuchsmannschaften des FC St. Pauli in der Ausstellung, die damit Interesse an der Geschichte ihres Clubs signalisierten.

Nur sehr wenige Tafeln der Fußball-Ausstellung zeigten Frauen. Dies liegt daran, dass über viele Jahre, so auch in der NS-Zeit, Fußball den Männern vorbehalten war. Nina Holsten und Simone Wörner stellten die Anfänge des Frauenfußballs in den europäischen Ländern dar und behandelten die Frage, weshalb sich dieser in vielen Ländern erst sehr spät etablieren konnte.

Mehrere Veranstaltungen behandelten das Thema Fußball in Konzentrationslager. Das Abaton Kino zeigte den Dokumentarfilm "Liga Terezin". Dieser setzt sich mit einem NS-Propagandafilm aus dem Jahr 1944 auseinander, der jüdische Häftlinge beim Fußballspielen im KZ Theresienstadt porträtiert. Oded Breda aus Israel sah seinen Fußball spielenden Onkel Pavel Breda, der in Auschwitz starb, in diesem NS-Propagandafilm und begann nachzuforschen, was im Dokumentarfilm gezeigt wird. Nach der Filmvorführung betonten Oded Breda und der Filmmacher Mike Schwartz, dass "Liga Terezin" auch ein Film über den heutigen Fußball sei, wo Gewalt, Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie ein großes Problem sind. Mit dem Thema "Antisemitismus im heutigen Fußball" befasste sich auch der Vortrag des Sport- und Politikwissenschaftlers Ronny Blaschke.

Zum Ende des Ausstellungszeitraums fand eine wissenschaftliche Tagung statt, die am 4. Februar 2016 mit dem öffentlichen Vortrag von Dietrich Schulze-Marmeling "Die Politik des deutschen Fußballs in den Jahren 1933 bis 1945 - der lange Weg zur Aufarbeitung der Geschichte" eröffnet wurde. Schulze-Marmeling, der von den Ereignissen der NS-Zeit über die Aufarbeitung nach 1945 bis zur gegenwärtigen Fußballpolitik einen weiten Bogen spannte, forderte Vereine und Verbände auf, sich nicht nur ihrer Geschichte zu stellen, sondern ethische Maßstäbe an das eigene gegenwärtige Handeln anzulegen, beispielsweise dürfte es keine antisemitisch eingestellten Sponsoren geben.

Am 5. Februar folgte als Teil der Tagung Veronika Springmanns öffentlicher Abendvortrag "Fairplay auf dem Appellplatz? Fußball in nationalsozialistischen Konzentrationslagern". Springmann betonte, dass nur maximal zwei Prozent der männlichen KZ-Häftlinge, die sogenannten Funktionshäftlinge, Fußball spielen durften und dazu körperlich überhaupt in der Lage waren. Trotzdem seien Fußballspiele in KZs historisch relevant, denn sie würden einiges über die Bedeutung von Körper und Männlichkeit, Hierarchien und die unterschiedlichen Lebensbedingungen von Häftlingen in KZs aussagen.

Weitere zwölf Referenten und Referentinnen warfen auf der Tagung einen erweiterten Blick auf die norddeutsche Sport- und Fußballgeschichte im Nationalsozialismus und setzten sich mit aktuellen Erscheinungen auseinander. Dr. Oliver von Wrochem, stellvertretender Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, resümierte in seinem Schlusswort zu Begleitprogramm und Tagung, dass die Beschäftigung mit dem Thema Fußball im Nationalsozialismus der Arbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme neue und positive Impulse gegeben habe: "Wir haben ganz neue Zielgruppen gewonnen und Kooperationen begonnen, die unsere Arbeit auch langfristig bereichern werden."

Ausgewählte Beiträge der Tagung und des Begleitprogramms werden Mitte 2017 als Band 18 der Reihe "Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland" publiziert.

Die insgesamt 20 Veranstaltungen waren überwiegend gut bis sehr gut besucht, die zahlreichsten Zuhörer hatte der Vortrag über den FC St. Pauli im Nationalsozialismus des Historikers Gregor Backes. Insgesamt besuchten über 860 Personen unsere Veranstaltungen, worüber wir uns sehr freuen.

Text: Sarah Keller und Natalia Wollny

Weiterführende Links:

Artikelreihe vom NDR 

Blogbeitrag zur Fußball-Ausstellung
Blogbeitrag zur Tagung