25.04.2022 Bericht
In Hamburg haben auch Angehörige von ehemaligen Häftlingen des KZ Neuengamme aus der Ukraine Zuflucht gefunden. Wir sind dankbar, dass wir sie unterstützen konnten, sich in Sicherheit zu bringen. Nun können wir mit ihnen gemeinsam die am 3. Mai anstehende Gedenkfeier anlässlich der Befreiung der Häftlinge des KZ Neuengamme begehen. Die Angehörigen haben ihr Einverständnis gegeben, dass wir ihren Weg nach Hamburg beschreiben dürfen.
Charkiw – Hamburg
Ljuba Rudnieva wurde Ende Februar aus Charkow über einen der Fluchtkorridore evakuiert, den die ukrainische Regierung hatte einrichten können. Die Evakuierung begann am Bahnhof von Charkow, verlief dann weiter mit dem Bus nach Breslau und ging von dort aus weiter nach Berlin über Hannover in eine Notunterkunft in Nordhorn. Von dort aus konnten wir Ljuba Rudnieva nach Hamburg in eine private Unterkunft bringen. Die Erfahrungen an den Grenzübergängen und den verschiedenen Notunterkünften haben sich Ljuba eingeprägt, einen Moment davon möchte sie mitteilen: „Sie sollten sehen, wie die Kinder sich verhalten, ihre Fragen hören, wie sie nicht verstehen, was vor sich geht“ und „Es wird Jahrzehnte dauern, bis diese Eindrücke in den Köpfen verblasst sind.“
Ljuba hat einen Brief ihres Mannes Anton Rudniev mitgebracht, der das KZ Neuengamme überlebte. Wegen seines kritischen Gesundheitszustandes konnte er bisher nicht aus der Ukraine evakuiert werden. Er wird nun an einem Ort versorgt, der noch nicht unter Beschuss steht. Von Hamburg aus können nun weitere Schritte unternommen werden. Im Mai 2020 war das Ehepaar zur der Gedenkfeier anlässlich des Jahrestags der Befreiung eingeladen. Eingeladen war auch Evgenij Malychin, der die Cap-Arcona-Katastrophe in der Neustädter Bucht überlebt hatte. Wegen der Corona-Pandemie konnte die Gedenkstätte die Gedenkfeier 2020 und auch 2021 nicht wie gewohnt gemeinsam mit den Überlebenden des KZ Neuengamme und ihren Angehörigen vor Ort ausrichten. In seinem Brief erzählt Anton Rudniev, wie er fast täglich mit Evgenij telefoniert hatte und wie sehr er mit Evgenij gehofft hatte, gemeinsam in Hamburg und in Neustadt gedenken zu können. Evgenij Malychin verstarb im letzten Jahr.
Saporoshje – Hamburg
Zwei Onkel von Mykola Titow, Ivan und Mykola, waren im KZ Neuengamme inhaftiert gewesen. Die Mutter seiner Frau Olha Titowa war als „Ostarbeiterin“ nach Hamburg verschleppt worden. Mykola Titow und seine Frau Olha flüchteten nun aus einem Dorf im Gebiet Saporoshje, nachdem das Dorf unter Beschuss geriet: „Vor einem Monat tauchten russische Panzer am Rande unserer Stadt auf […] Der erste „Gruß“, den ihre Panzer uns schickten, war eine Granate auf unsere orthodoxe Kirche, als nächstes war der Markt dran, auf dem sich die Bergleute versorgt hatten, und die dritte Granate traf das Haus. […] Meine Familie ließ den gesamten Bauernhof zurück, mit Kühen, Schweinen, Geflügel.“ Mithilfe einer israelischen Hilfsorganisation konnten wir das Ehepaar evakuieren und nach Łódź in Polen bringen lassen. In Łódź hatte schon ihre Tochter Iryna mit dem 7-jährigen Enkel Misha einen Unterschlupf gefunden. Magda Wajsen, ebenfalls Angehörige eines ehemaligen Häftlings des KZ Neuengamme, hatte Iryna bei einer der vorjährigen Gedenkfeiern in Neuengamme kennengelernt und die Familie aufgenommen. Die Titows sind mittlerweile gut in Hamburg untergekommen, mit dabei ist auch der Hund Sarah, den sie als einziges ihrer Tiere vom Hof haben mitnehmen können. Der Enkel Misha geht in die 1. Klasse einer Hamburger Schule. Am 3. Mai werden sie bei der Gedenkfeier Magda Wajsen aus Łódź wiedersehen, die die Familie vor ihrer Weiterreise nach Hamburg beherbergte.
Wir bedanken uns bei all denjenigen, die uns bei der Evakuierung unterstützt haben und die eine gute Ankunft in Hamburg ermöglicht haben. Dazu gehören das „Hilfsnetzwerk zur Unterstützung von Überlebenden der NS-Verfolgung in der Ukraine“, der „Freundeskreis Neuengamme e.V.“, besonders in der Person Heidburg Behling, und nicht zuletzt viele Privatpersonen, die sich selbstlos dafür eingesetzt haben, dass die Familien in Hamburg Schutz finden konnten. Gemeinsam denken wir an die Familienmitglieder, die noch in den umkämpften Gebieten ausharren oder auf ihren Einsatz an der Front warten müssen.