30.07.2021

Wie erinnern Kunstwerke an die NS-Zeit? Erkundungen an Gedenkorten in Hamburg

An Gedenkstätten und Gedenkorten sind es auch Kunstwerke, die an die Verbrechen der NS-Zeit erinnern. Für städtische Erinnerungskonzepte spielen Kunstwerke als „Kunst im öffentlichen Raum“ eine wichtige Rolle. Solch künstlerisches Erinnern in der Stadt findet an verschiedenen Orten statt, es können bereits gestaltete, genutzte oder auch vernachlässigte Orte sein – in erster Linie sind es soziale Räume, geprägt vom Alltag. Können Kunstwerke hier wirksam werden? Die Kunsthistorikerin Alexandra Köhring wirft einen kurzen Blick auf drei künstlerisch gestaltete Gedenkorte in Hamburg – an einem beliebten Spazierweg, mitten im Stadtzentrum und am abgeschiedenen Ort eines Friedhofes:

Elbwanderweg Neumühlen – es sind viele Spaziergänger unterwegs und Busse fahren vorbei. An einer Hausecke ist das Portrait einer jungen Frau angebracht. Wer die Infotafel liest, erfährt, dass hier die ehemalige NS-Zwangsarbeiterin und Jüdin Lucille Eichengreen auf uns schaut. Sie hatte die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt.

Planten un Blomen – Wir stehen mitten in der Stadt vor einer bläulichen Fotowand mit einem Hamburg-Panorama. Dahinter ragt das Hamburgische Verfassungsgericht auf, vorne stehen Kübel mit Gewächsen und Wildwuchs. Der Ort scheint sich als Kulisse für ein Erinnerungsfoto zu eignen: Vorbeigehende zücken das Handy für ein Selfie. Wer um die Wand herumgeht oder aus dem Gerichtsgebäude heraustritt, schaut auf die eingemeißelte Jahreszahl: „1933“ Das Jahr des Machtantritts der Nationalsozialisten. Der Gedenkort ist dem Widerstand und den Opfern der NS-Justiz gewidmet.

Bergedorfer Friedhof – wenn wir durch den Eingang gehen, kommen wir nach etwa 15 Minuten zu einer Bodenskulptur vor einem Feld mit Kissengräbern für sowjetische Kriegsgefangene. Die Skulptur zeigt einen rudimentär geformten Körper, die Arme sind an den Handgelenken gefesselt. Umrundet man die Skulptur, so wird erkennbar, dass sich der Körper ein Stück anhebt. Oder fällt?

Die Ausdruckformen für Erinnerung sind vielfältig, es braucht auf jeden Fall etwas Zeit, sie zu erschließen. Gehen wir einen Schritt zurück: Wie fanden Künstler*innen Wege in die Erinnerungskultur? Die Nationalsozialisten ließen im Staatsauftrag Mahnmale für ihre Kriegstoten errichten. Hergebrachte Grab- und Mahnmalkulturen waren die Vorbilder. Auch die ersten städtischen Mahnmale, die auf die Erinnerung an die Opfer von NS-Verbrechen zielten, waren an Vorgaben für Friedhöfe ausgerichtet. Auffälliger sieht demgegenüber die Monumentalkunst aus, mit der die ehemalige DDR an den „antifaschistischen Widerstand“ erinnerte, wie in der Gedenkstätte Buchenwald. Für die KZ-Gedenkstätte Neuengamme stiftete 1965 die Amicale Internationale de Neuengamme die expressive Skulptur „Der sterbende Häftling“. In der frühen Mahnmalkultur scheinen Würdeformeln, symbolisch-expressive Erinnerungszeichen und -figuren den Bedürfnissen nachzukommen, plastisch zu verdeutlichen, was geschah.

In der Bildenden Kunst beeinflussen in den Nachkriegsjahren Fotografien und Erzählungen die Motive. Einige Künstler*innen agieren häufig als Betroffene, ihre Kunst ist wenig bekannt. In den 1960er Jahren bildet die bundesdeutsche Erinnerungskultur künstlerische Nischen aus und Künstler*innen wie Joseph Beuys, Anselm Kiefer und Gerhard Richter beginnen eine eigene Auseinandersetzung mit Erinnerung. Oft finden sie provokante Ausdruckformen. Ihre Kunstwerke fertigen sie in erster Linie für den Schutzraum von (Kunst)Museen.

Mit Fernsehserien und Spielfilmen beginnt in den 1980er Jahren der so genannte Memory Boom. Die Stadt Hamburg initiiert in dieser Zeit die „Tafelprogramme“ zur Hamburger NS-Geschichte – Informationstafeln erklären in Hamburg Orte mit Bezug zu Verbrechen der Nationalsozialisten. Zunehmend streiten Kulturschaffende über die „Darstellbarkeit der Shoah“, viele sehen einen unüberwindbaren Bruch zwischen der Erfahrung der Opfer und dem Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen der Außenstehenden. Und wie soll sich eine nach dem Nationalsozialismus aufgewachsene Generation an Geschehnisse erinnern, die sie nicht selbst erfahren hat? James E. Young findet für die Kunst nach dem Nationalsozialismus den Begriff „Nach-Bilder“ („After-Images“). Programme wie die „Kunst im Öffentlichen Raum“ versuchen, diese Abgründe zu überbrücken.

Im Sommer 2021 betrachten drei Rundgänge das Thema „Kunst und Erinnerung“ in Hamburg genauer: Wie prägen staatliche oder gesellschaftliche Initiativen die Erinnerungskunst? Wann erreicht sie die Öffentlichkeit? Es sind zunächst drei Rundgänge geplant – im Univiertel, bei Planten un Blomen und in Harburg: Veranstaltungskalender