23.12.2018 Konferenz, Bericht
Am 22./23. November 2018 richtete die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg und der Evangelischen Akademie der Nordkirche die Tagung „Militär und Stadt im Krieg. Herrschaftssicherung und Radikalisierung der NS-Herrschaft in der zweiten Kriegshälfte“ aus. Die Tagung fand an der Universität Hamburg statt.
Nach den Begrüßungen durch Dr. Detlef Garbe (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) und Prof. Dr. Birthe Kundrus (Universität Hamburg) sprach Prof. Jan Philipp Reemtsma (Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur) ein Grußwort. Die von ihm gegründete Stiftung förderte das Forschungsprojekt „Militärjustiz und Stadt im Krieg. Die Gerichte der Ersatzheers in Hamburg und Norddeutschland 1939-1945: Spruchtätigkeit, Strafvollstreckung, Akteure“, das diese Tagung organisiert hatte. Reemtsma erinnerte daran, dass in dem Augenblick, in dem die Idee der „Heimatfront“ in einer Stadt Einzug halte, sich die Stadt zu einem „Kriegsort“ wandele. Er ermutigte die Vortragenden, über diese Veränderungen zu diskutieren, zumal die Stadt von jeher eigentlich ein Ort der Zivilität gewesen sei, in der das Militär nichts zu suchen gehabt habe.
Nach den Grußworten führte Prof. Thomas Schaarschmidt (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) mit einem Vortrag über die Mobilisierung für den „Totalen Krieg“ in die Tagung ein. Er erläuterte, auf welche Weise das NS-Regime Front und „Heimatfront“ in der Propaganda miteinander verband, um die Bevölkerung für seine Zwecke zu mobilisieren.
Anschließend wurde zwei Tage lang intensiv ein breites Spektrum an Vorträgen diskutiert. Das erste Panel „Herrschaftssicherung und Gesellschaft“ beschäftigte sich unter anderem mit den Akteuren der städtischen Verwaltungen und dem Weiterfunktionieren der kommunalen Strukturen in der zweiten Kriegshälfte. Außerdem ging es um die SA, die im Laufe des Krieges wieder stärker als Ordnungsmacht in Erscheinung trat, um die politische Kohäsionskraft an der „Heimatfront“ zu stärken. Der letzte Vortrag beschäftigte sich mit der Kirche als einzig verbliebener eigenständiger, nicht der Partei unterstellter Institution, in der sich zahlreiche Akteure selbst radikalisierten und den NS-Weltanschauungskrieg stützten. In allen Vorträgen wurde der Zusammenhang zwischen Mobilisierung der Bevölkerung und Herrschaftssicherung deutlich.
Das zweite Panel „Handlungsräume und Handlungspraxen“ eröffnete den zweiten Tag der Konferenz. Hier war der thematische Rahmen recht weit gespannt, doch nahmen die Referent*innen immer wieder auf städtische Räume und die Radikalisierung der beteiligten Instanzen Bezug. Diese Radikalisierung zeigte sich einmal in der zunehmenden Vernetzung der Verfolgungsinstanzen besonders in urbanen Räumen, ein anderes Mal in der Kollaboration französischer Verwaltungsstellen mit den deutschen Besatzern in Marseille. Deutsche und Franzosen arbeiteten hier gemeinsam an der „Verbrechensbekämpfung“ – wobei eine Gleichsetzung von „kriminellen“ und politischen Gegnern erfolgte. Bezüglich der in Norddeutschland untergebrachten und zur Arbeit gezwungenen Kriegsgefangenen zeigte sich die Radikalisierung in der immer schlechter werdenden Versorgung und den härter werdenden Arbeitsbedingungen.
Das dritte Panel „Wehrmacht und Militärjustiz“ bestand aus drei thematisch wieder enger verknüpften Beiträgen zur NS-Militärjustiz. Alle Beiträger*innen konnten nachweisen, dass sich die Radikalisierung der Militärjustiz sowohl in der starken Zunahme der Gerichtstätigkeit im allgemeinen, vor allem aber auch in der Verschärfung der Strafmaße und der Zunahme der Todesurteile zeigte. Die Vorträge verwiesen in unterschiedlicher Weise auch auf das Wirken der Militärjustiz an der „Heimatfront“. Das Gericht des Admirals der Kriegsmarinedienststelle in Hamburg beispielsweise war auf eine besondere Weise mit dem urbanen Raum verknüpft: Es zeichnete für die Aburteilung ziviler Matrosen verantwortlich, die zum so genannten Gefolge der Wehrmacht zählten. Gerade auch an den marinegerichtlichen Urteilen gegen Zivilpersonen kann die systemstabilisierende Wirkung der Wehrmachtjustiz nachgewiesen werden.
Insgesamt herrschte auf der gut besuchten Tagung eine lebendige und angenehme Diskussionsatmosphäre. Viele der Teilnehmenden beteiligten sich durch Nachfragen, Anmerkungen und Kommentare, und gaben den Referent*innen ein wertvolles Feedback. An beiden Tagen waren jeweils zwischen 50 und 60 Personen anwesend. Sicher hätte es der Tagung gut getan, wenn am Ende mehr Zeit für die Diskussion weiterer Forschungsfragen und kontextbezogener Bezüge zur Verfügung gestanden hätte.
Am Abend des ersten Tages fand im Rahmen der Tagung außerdem eine öffentliche Buchpräsentation statt. Vorgestellt wurde das Buch „‚Rücksichten auf den Einzelnen haben zurückzutreten‘. Hamburg und die Wehrmachtjustiz im Zweiten Weltkrieg“, hg. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg. Diese Publikation steht in engem Zusammenhang mit dem 2015 eingeweihten Denkmal für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz. Seinerzeit sahen die Beschlüsse der Hamburgischen Bürgerschaft und des Senats aus dem Jahr 2012 nicht nur die Schaffung eines Gedenkortes, sondern auch wissenschaftliche Recherchen und eine Publikation der Forschungsergebnisse als bleibende Erinnerung an die Opfer der NS-Militärjustiz vor. Diese Publikation wurde nun der Öffentlichkeit vorgestellt und wird voraussichtlich ab Januar 2019 erhältlich sein. Dr. Detlef Garbe (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) führte in die einzelnen Beiträge des Sammelbandes ein, während Dr. Magnus Koch (Helmut-Schmidt-Stiftung), einer der Autoren des Bandes, über die Topografie der Wehrmachtjustiz am Standort Hamburg referierte. Abschließend stellte Volker Lang, der Künstler des Hamburger Deserteursdenkmals, sein Konzept des Denkmals vor.
Mit Tagung und Buchvorstellung fand auch das Projekt „Militärjustiz und Stadt im Krieg. Die Gerichte der Ersatzheers in Hamburg und Norddeutschland 1939-1945“ sein Ende, das beinahe drei Jahre lang am Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme angesiedelt war.
Bericht von Dr. Claudia Bade