02.10.2023 Veranstaltung

Bericht von der Gedenkveranstaltung „Meeting Erika“ zur Erinnerung an die verstorbene Zeitzeugin Erika Estis

Am 26. September 2023 lud die Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule in Kooperation mit der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte in das Jüdische Kulturhaus in der Flora-Neumann-Straße ein. Unter dem Titel „Meeting Erika“ wurde mit einer Veranstaltung an die am 14. Januar 2023 verstorbene 100-jährige Zeitzeugin Erika Estis geb. Freundlich erinnert.

Am 14. November 1922 wurde Erika Estis als jüngste von vier Töchtern jüdischer Eltern in Hamburg geboren. Sie flüchtete im Dezember 1938, dem Rat ihrer Lehrerin folgend, mit einem „Kindertransport“ nach Großbritannien. Ihre Schwestern waren schon vorher emigriert. Ihren Eltern gelang die rettende Ausreise nicht mehr. Die Nationalsozialisten deportierten sie im Juli 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz und ermordeten sie dort.

An die einleitende Begrüßung durch Dr. Anna von Villiez, Leiterin der VHS-Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule, schloss sich eine Rede des Staatsrats der Behörde für Schule und Berufsbildung, Rainer Schulz, an. Er würdigte besonders Erikas Engagement für Hamburgs Erinnerung an den Nationalsozialismus und ihre Gespräche mit Jugendlichen. Er betonte, welche Lücke sie hinterlasse. Er verwies auch auf die anhaltende Verantwortung seiner Behörde, in politische Bildung und das Gedenken an die Opfer der Verbrechen der NS-Zeit zu investieren.

Darauf folgten Einblicke in Erika Estis‘ Leben. Joachim Neumann las zwei von Erikas Vater Paul Freundlich verfasste bewegende Briefe an die Tochter vor. Ein Filmausschnitt aus dem Jahr 2019, in welchem Erika Estis aus ihrer Kindheit in Hamburg, vom Alltag in der Israelitischen Töchterschule und ihrem Erleben des Kindertransports berichtete, wurde gezeigt. Anschließend las die Geschichtslehrerin und Freundin der Zeitzeugin, Dagmar Lücke-Neumann, aus ihrem Buch „Meeting Erika“. Das Buch gibt Einblicke in die Geschichte und Gedankenwelt der Zeitzeugin sowie ihre Sicht auf das Zeitgeschehen.

Besonderes Highlight der Veranstaltung war das Gespräch mit zwei der drei Kinder der Verstorbenen. Kim Estes-Fradis und Wayne Estes waren aus den USA angereist, um an diesem Abend an ihre Mutter zu erinnern. Auf dem Podium sprach Dr. Anna von Villiez mit ihnen über die Erinnerung an ihre Mutter, den Umgang mit ihrer Geschichte und die gemeinsame familiäre Spurensuche in Hamburg. Hamburger Jugendliche stellten anschließend ihren Film vor, der im Rahmen des Hamburger Schulprojekts „Geschichtomat“ mit der Zeitzeugin entstanden war. Erikas Sohn zeigte sich sichtlich gerührt, lobte das Engagement und bedankte sich bei den anwesenden Schüler*innen, die ihre Arbeit mit Erika als eine Ehre und ein einzigartiges Erlebnis beschrieben.

Abschließend gab Dr. Kristina Vagt, Kuratorin im Projekt „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“, in dem das kommende Dokumentationszentrum vorbereitet wird, Einblicke in ihre persönlichen Erinnerungen an Erika Estis. Gleichzeitig betonte sie die Wichtigkeit des Abends im Angesicht des nahenden Verlusts der letzten lebenden Zeitzeug*innen und des zunehmenden Rechtsextremismus. Digitale Spuren wie Interviews, aber auch Gedenkorte und nicht zuletzt Nachkommen der Überlebenden würden aber bleiben. Einen Beitrag hierzu leiste auch die Veranstaltung „Meeting Erika“.

Text: Laura von Mering, Konrad Lütjohann

Beitrag im Hamburg Journal, 27.9.2023