19.12.2023 Bericht
Immer mehr Akteur*innen im Sport engagieren sich im Bereich der historisch-politischen Bildungsarbeit, so auch Gedenkstätten und andere Bildungseinrichtungen.
Ein erstes Online-Vernetzungstreffen im Dezember 2021 mit verschiedenen Engagierten und Interessierten im Feld, bei dem vor allem der Status Quo besprochen wurde, fand großen Zulauf. Dabei wurde insbesondere der Bedarf nach einem intensiveren Austausch in Präsenz deutlich. Das ‚Netzwerk Bildungsarbeit im Sport‘ organisierte daraufhin ein zweites Vernetzungstreffen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Dezember 2022, bei welchem insbesondere die Frage im Mittelpunkt stand, wie Bildungsangebote für mehr Zielgruppen zugänglich gemacht und diesbezügliche Zugangsbarrieren abgebaut werden können.
Bei beiden Treffen waren vor allem Engagierte und Projekte aus dem Bereich des Profifußballs zugegen. Dies steht im Kontrast dazu, dass der zahlenmäßig größere Teil von Menschen im Breitensport – und dort nicht nur im Fußball – aktiv ist. So entstand die Idee, bei einem dritten Treffen den Raum vor allem für Akteur*innen aus dem gesamten Breitensport zu öffnen, um sich zu historisch-politischer Bildungsarbeit und den spezifischen Herausforderungen im Breitensport zu vernetzen und auszutauschen.
Das Vernetzungstreffen fand am 24. und 25. November 2023 statt, diesmal ausgerichtet von der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Das Netz an Kooperationspartner*innen war im Vorfeld stark gestiegen, sodass die Veranstaltung unterstützt wurde von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, dem ZeitZentrum Zivilcourage Hannover, dem LandesSportBund Niedersachsen, dem DFB-Projekt „Fußball Verein(t) gegen Rassismus“, dem Niedersächsischen Fußballverband, Hannover 96, dem Fanprojekt Hannover, dem Fanprojekt Bremen, der Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball (IVF Leipzig), der Initiative „!Nie wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball“, den Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht und der LAG Fanprojekte NRW.
Am ersten Tag stellte zunächst der gastgebende Ort, das ZeitZentrum Zivilcourage, seine Arbeit in einer spannenden Führung vor. Es wurde im März 2021 eröffnet und richtet sich vor allem an Schüler*innen, um eigene Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten sowohl im Nationalsozialismus als auch heute zu diskutieren. Dabei arbeitet das ZeitZentrum stark mit Biographien, wobei drei der ausgestellten Biographien sowohl einen Bezug zum Sport als auch einen zum KZ Neuengamme aufweisen: Johann Trollmann, Otto Harder und Kurt Klebeck. Nachdem sich die Teilnehmenden selbst vor Ort umschauen und bei einem Mittagssnack stärken konnten, begrüßten und eröffneten das Vernetzungstreffen Raimund Lazar (Gedenkstätte Bergen-Belsen) und Larissa Becks (LandesSportBund Niedersachen).
Bei dem anschließenden Podiumsgespräch, moderiert von Uli Heinze (IVF Leipzig) und Paula Scholz (KZ-Gedenkstätte Neuengamme), sprachen Luis Engelhardt (Zusammen1), Verani Kartum (SC Aleviten Paderborn e. V.) und Veronika Springmann (Sportmuseum Berlin) über Potentiale und Notwendigkeiten von Bildungsarbeit im Breitensport, aber auch über Herausforderungen und ihre Grenzen. Eine Reihe von Personen aus dem Publikum nutzten die Fishbowl-Methode und den damit zusammenhängenden freien Hocker, um sich mit Fragen und Redebeiträgen einzubringen.
Auf dem Markt der Möglichkeiten stellten im Anschluss verschiedene Projekte ihre Arbeit vor:
Beim Abschlussgespräch wurden die unterschiedlichen Diskussionsstränge zusammengeführt. So ist der Breitensport im Vergleich zum Profifußball mit schlechteren finanziellen und strukturellen Bedingungen konfrontiert. Gleichzeitig zeigen bereits im Breitensport aktive Projekte und Vereine auch, wie historisch-politische Bildungsarbeit Teil des Sports werden kann und wie notwendig diese Implementierung ist, um der gesellschaftlichen Verantwortung des Sports nachzukommen. Ein gemeinsames Abendessen wurde von den Teilnehmenden genutzt, um sich untereinander weiter zu vernetzen und zu den Themen des ersten Tages auszutauschen.
Der zweite Tag fand in der Gedenkstätte Bergen-Belsen statt. Zu Beginn stellte Raimund Lazar die dortigen Bildungsangebote zu Antisemitismus und Diskriminierung im Sport vor. Er betonte dabei die Potentiale von Mehrtagesangeboten als auch die der Herstellung von lokalen Bezügen in der Arbeit mit sportinteressierten Gruppen. Dabei richten sich die Angebote der Gedenkstätte Bergen-Belsen an verschiedene Personen im Sport und werden jeweils zielgruppenspezifisch und bedarfsorientiert umgesetzt. Vor der Mittagspause gab es für die Teilnehmenden noch die Möglichkeit, die Ausstellung „Lebensläufe“ zu Shaul Ladany zu besuchen.
Der größte Teil des zweiten Tages war für einen Rundgang über das Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen vorgesehen, wofür die Teilnehmenden in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Die Mitarbeiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen, Charlotte Trottier, und der Guide Marcin Schink (beide auch Teil des ausrichtenden Netzwerks Bildungsarbeit im Sport) führten die beiden Gruppen über das Gelände, erklärten dessen unterschiedliche Nutzung ab 1939 bis heute, ließen die Teilnehmenden eigenständig die Ausstellung erkunden und stellten, wo möglich, Bezüge zum Sport her. Die Rundgänge waren für alle Teilnehmenden sehr eindrücklich und lösten unterschiedliche Gefühle und weitergehende Fragen aus.
Eine Abschlussrunde bot die Möglichkeit, das zuvor Gehörte und Gesehene nachzubesprechen und gemeinsam auszuloten, welche Anknüpfungspunkte Gruppen aus dem Sport bei einem Besuch der Gedenkstätte herstellen können – und welche vielleicht eher nicht. Auch wurde darüber gesprochen, welche weiteren Zielgruppen das Netzwerk durch unterschiedliche Formate zukünftig erreichen könnte. Für alle Teilnehmenden stand fest, dass der Bedarf nach weiterer Vernetzung und Austausch nicht nur gewünscht, sondern auch notwendig ist.
Bericht: Paula Scholz und Uli Heinze