26.11.2024 Konferenz

Bericht vom 10. Forum „Zukunft der Erinnerung“ 2024

Das diesjährige Forum „Zukunft der Erinnerung“ (13. und 14. November 2024) brachte wieder zahlreiche Teilnehmende aus verschiedenen Ländern zusammen, um sich über die Bedeutung der NS-Erinnerungskultur in einer sich wandelnden Welt auszutauschen.

Unter dem Titel „Erinnern an die nationalsozialistischen Verbrechen in Zeiten des internationalen Rechtsrucks“ lag der Fokus auf generationsübergreifendem Dialog, internationaler Vernetzung und der Frage, wie Erinnerungskultur angesichts aktueller politischer Herausforderungen heute gestaltet werden kann.

Prof. Dr. Oliver von Wrochem (Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) eröffnete das Forum unter der Fragestellung, wie die Erinnerung an die NS-Geschichte langfristig etabliert werden könne. Dabei ging er auf die Rolle der Nachkommen von NS-Verfolgten und Täter*innen als Akteur*innen in der Gesellschaft ein. Dr. Alexandre Froidevaux, der krankheitsbedingt für Dr. Susann Lewerenz einsprang, thematisierte die Bedeutung der Erinnerungskultur angesichts rechter Wahlerfolge weltweit. Ziel des Forums sei deswegen die gegenseitige Stärkung und Unterstützung im Austausch miteinander, für eine plurale und solidarische Gesellschaft.

Erinnerung an die Razzia von Murat

Im anschließenden Panel berichteten Anne Servet und Marc Hivernat, Angehörige französischer KZ-Häftlinge, über die Nachwirkungen der Deportationen aus dem französischen Ort Murat im Juni 1944. Beide engagieren sich aktiv im Verband Mémoire(s) & Déportation du Cantal, der sich der Erinnerung an die Deportierten widmet. Marc Hivernat schilderte die historische Bedeutung von Murat als Widerstandsstandort sowie den brutalen Vergeltungsakt der Nationalsozialisten, bei dem die Stadt in Flammen gesetzt und über 100 Männer deportiert wurden. Infolgedessen habe sich ein „Deckel des Schweigens“ über Murat gelegt, der durch das Trauma der Rückkehrenden gehalten wurde und die lokale Erinnerungskultur lange Zeit geprägt habe. Sowohl Anne Servet als auch Marc Hivernat betonten die Bedeutung lokaler, kollektiver Erinnerung und die Herausforderung, die Geschichte an die jüngeren Generationen weiterzugeben.

Bosnien-Herzegowina und Kroatien: Erinnerung vor dem Hintergrund der Kriege in den 1990er Jahren

In dem zweiten Panel fand ein Gespräch mit Aleksandar Bančić statt, Enkel eines kroatischen Partisanen, der Häftling des KZ Neuengamme war. Aleksandar Bančić schilderte die komplexe Identitätsgeschichte seines Großvaters, der als Kroate geboren wurde und als Italiener starb. Darüber hinaus berichtete er von der Erforschung der Familiengeschichte, die er durch künstlerische Projekte und Bildungsarbeit sichtbar macht. Dabei setzt er auf Theaterstücke, um Jugendliche anhand der Geschichte seines Großvaters für die Thematik des Nationalsozialismus zu sensibilisieren. Aleksandar Bančić wies zudem auf die Schwierigkeiten hin, in Kroatien eine einheitliche und kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu etablieren.

Projekte von Verbänden und Initiativen von Nachkommen ehemaliger KZ-Häftlinge

Im ersten Panel des Folgetages stellten Vertreter von Angehörigenverbänden aus Belgien, Deutschland und Spanien aktuelle Projekte vor, um die Geschichten von NS-Verfolgten lebendig zu halten. Tom Devos (Museum Meensel-Kiegezem) präsentierte sein Buch „Want als we hat vergeten… Meensel-Kiezegem, 80 Jaar na de Razzia’s.“ Die Publikation mache sich zur Aufgabe, persönliche Geschichten zu erzählen und am Leben zu halten, die andernfalls mit dem Sterben der Zeitzeug*innen verstummen würden.
Thomas Käpernick (Arbeitsgemeinschaft Neuengamme) stellte die Projektidee einer „Wand der Namen“ vor, ein Denkmal, das alle Namen der Häftlinge des KZ Neuengamme enthalten und so als Ort der Erinnerung für Angehörige dienen soll. Dabei sprach er über die Herausforderungen der Namensrecherche, insbesondere angesichts der Zerstörung von SS-Dokumenten.
José Luis Villaverde (Amical de Neuengamme) sprach abschließend über die geplante Pflanzung eines Sprösslings des Guernica-Baumes in der Gedenkstätte Wöbbelin. Dabei erläuterte er die Bedeutung des Baumes als Symbol der Zusammenkunft, des Zusammenhaltes, aber auch als Antikriegssymbol.

Surinamisch-niederländische Familiengeschichten

Das Panel mit Max Nods und Vincent de Kom befasste sich mit der Geschichte ihrer Vorfahren, die sowohl durch Nationalsozialismus als auch durch Kolonialismus geprägt ist. Waldemar Nods und Anton de Kom stammten aus der damaligen niederländischen Kolonie Surinam und lebten in den Niederlanden. Aufgrund ihres politischen Engagements im Widerstand wurden sie verhaftet und in das KZ Neuengamme deportiert. Beide überlebten nicht.
Mit ihrem erinnerungskulturellen Engagement bewahren Max Nods und Vincent de Kom die Geschichte ihrer Familien und fördern dadurch das Verständnis für soziale Ungerechtigkeiten und die Bedeutung des Widerstandes. Max Nods erzählte von dem Buch „Sonny Boy“, das die Geschichte seines Großvaters schildert, während Vincent de Kom über die Anton de Kom Foundation sprach, die sich erfolgreich für eine formelle Entschuldigung der niederländischen Regierung einsetzte.

„Trotzdem da!“ Kinder aus verbotenen Beziehungen

Das Nachmittagspanel thematisierte die Stigmatisierung und Diskriminierung von Kindern, die aus verbotenen Beziehungen zwischen Deutschen und Zwangsarbeiter*innen oder Kriegsgefangenen hervorgingen. Lucy Debus erläuterte die historischen Hintergründe und präsentierte das Projekt „Trotzdem da!“, das die Lebensgeschichten dieser Kinder im Rahmen wissenschaftlicher Forschung dokumentiert. Katharina Sämann und Christa Steffens berichteten eindrucksvoll von den Herausforderungen ihrer Kindheit und ihrer Suche nach Identität. Mit den bewegenden Worten ihrer Mutter - „Lass dir niemals deine Würde nehmen“ – brachte Christa Steffens das erfahrene Unrecht eindrucksvoll in Erinnerung.

Fishbowl

Zum Abschluss fand am Nachmittag eine Fishbowl-Diskussion statt, die zentrale Themen des Forums aufgriff. Diskutiert wurden unter anderem die nationalen Unterschiede in der Erinnerungskultur. Viele der Anwesenden nutzten die Möglichkeit, um sich für das Forum zu bedanken, die Gedenkstätte wurde von zahlreichen als ein bedeutsamer Ort beschrieben – ein Ort, an dem man sich aussprechen könne und zugleich auf aufmerksame Ohren und offene Herzen treffe. Abschließend wurde der Appell formuliert, sich künftig intensiver mit dem Erstarken rechtsradikaler Parteien auseinanderzusetzen und die Herausforderungen der Gegenwart aktiv anzugehen.

Bericht: Lisa Vitali