Das erste Außenlager, das dem KZ Neuengamme unterstellt war, wurde am 28. August 1942 in Wittenberge errichtet. Der Einrichtung des Lagers waren längere Verhandlungen zwischen dem SS Wirtschafts-Verwaltungshauptamt und den Phrix-Werken vorausgegangen, da es sich hier um eine der ersten Unterbringungen von Häftlingen außerhalb des Konzentrationslagers Neuengamme handelte. Das Lager für die 500 Häftlinge befand sich in Wittenberge direkt auf dem Werksgelände der Kurmärkischen Zellwolle und Zellulose AG an der Kaimauer zum Karthanehafen. Die Firma war eines der fünf Gründungsunternehmen aus der Zellstoff- und Kunstfaserbranche, die sich 1941 zur Phrix-Werke AG zusammengeschlossen hatten. Auch die Firmen Philipp Holzmann und Grün & Bilfinger waren am Betrieb des Außenlagers beteiligt. Das Lager bestand aus zwei Mannschaftsbaracken, einer Wachbaracke und Latrinen. Es war mit Stacheldraht umzäunt. Die KZ-Häftlinge wurden zunächst für den Auf- und Ausbau der Hefeproduktionsanlage des Werkes eingesetzt. Da viele von ihnen als Facharbeiter eingestuft waren, kam es ab März 1943 zu einem direkten Arbeitseinsatz der Häftlinge im Betrieb.
Die Lebensbedingungen im Lager Wittenberge werden von Überlebenden als äußerst schlecht bezeichnet. Die Häftlinge litten unter der völlig unzureichenden Ernährung, überfüllten Unterkünften und täglichen Prügeln und Schikanen durch SS-Männer und Kapos. Bis Dezember 1944 wurden für das Außenlager Wittenberge 119 Tote registriert. Die tatsächliche Zahl wird weitaus größer sein (geschätzt maximal 270). Am 17. Februar 1945 räumte die SS auf Betreiben der Firmenleitung das Lager und transportierte die Häftlinge ins Stammlager Neuengamme zurück.
Lagerführer war SS-Hauptscharführer Max Kierstein. Berüchtigt unter den Häftlingen war sein Stellvertreter Willi Dreimann. Nach der Ablösung Dreimanns im März 1943 besserte sich die Lage in Wittenberge für die Häftlinge. Dreimann wurde im Mai 1946 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.
28. August 1942 bis 17. Februar 1945
500 Männliche Gefangene
Aufbau einer chemischen Fabrik, Arbeit in der Produktion
Phrix-Werke, Kurmärkische Zellwolle und Zellulose AG, Phillip Holzmann, Grün & Bilfinge
Das Lagergelände befindet sich im Gewerbegebiet im Südosten von Wittenberge, Zufahrt über Bad Wilsnacker Straße und Garsedower Weg.
Nach dem Krieg wurde das Zellulosewerk weiter betrieben. Wie viele andere ehemalige Lager geriet auch das Außenlager Wittenberge in Vergessenheit. Öffentliches Gedenken an die Toten der Konzentrationslager war in der DDR im wesentlichen Aufgabe der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“.
Erst in den 1990er-Jahren begann die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des Außenlagers. Der Versuch, den ursprünglichen Standort des Außenlagers kenntlich zu machen, scheiterte an der Gleichgültigkeit oder an der ablehnenden Haltung der örtlichen Verantwortlichen. Heute erinnert dort nichts mehr an die Existenz eines KZ-Außenlagers. Das Wittenberger Zellulosewerk wurde kurz nach dem Ende der DDR abgerissen, da es den Erfordernissen der Marktwirtschaft nicht genügte. Das Gelände ist mittlerweile als Industriegebiet „Wittenberge-Süd“ ausgewiesen. Das ehemalige Lagerareal wird aktuell von einem Schrotthandel genutzt. Hinweise auf die Nutzung in der NS-Zeit sind nicht vorhanden.
Seit 2021 gibt es Bestrebungen sowohl der Stadt als auch in Kooperation mit dem Stadtmuseum Wittenberge, diesen Ort als Gedenk- und Erinnerungsort umzugestalten. Dazu zählt neben der Neukonzeption des ehemaligen Teichareals auch die Aufstellung von Informationsstelen.
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