30.08.2021 Zeitzeugengespräch
Marione Ingram aus den USA war am 16. August 2021 gemeinsam mit ihrem Mann Daniel in der Gedenkstätte Neuengamme zu Besuch. Vor Schüler*innen des Marion-Dönhoff-Gymnasiums und des Louisengymnasiums las sie aus ihrem Buch „Kriegskind. Eine jüdische Kindheit in Hamburg“ und sprach anschließend mit der Moderatorin Karin Heddinga und dem Publikum über ihre Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und ihren politischen Kampf danach. Organisiert wurde die Veranstaltung von Stefanie Engel vom Friedrich-Ebert-Gymnasium in Kooperation mit der Gedenkstätte.
Marione, geboren 1935, wuchs in Hamburg als Kind einer jüdischen Mutter und eines nicht-jüdischen Vaters auf. Von den Nationalsozialisten als „Halbjüdin“ klassifiziert durfte sie keine Schule besuchen. Sie musste erleben, wie viele ihrer Verwandten deportiert wurden und war dabei, als ihre Großmutter an der Hamburger Moorweide mit Tausenden anderen Hamburger Jüd*innen abtransportiert wurde. Marione selbst entging der Deportation aufgrund des Hamburger Feuersturms, dem Bombenangriff der britischen Royal Air Force auf Hamburg im Juli 1943. Eine Bombe traf ihr Wohnhaus, dabei verbrannte u.a. der Deportationsbefehl für sie, ihre Schwestern und ihre Mutter. Ihr Vater versteckte die Familie für den Rest des Krieges bei Freunden in einem Gartenhaus. Nach dem Krieg erlebte Marione weiter starken Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung. Mit 17 Jahren wanderte sie mit ihrer Mutter in die USA aus.
Marione erzählte sehr lebhaft und schilderte detailreich, wie sie als Kind den Antisemitismus in Deutschland und die Schrecken der Bombardierung erlebt hatte. Ihre Erfahrungen vor und nach dem Krieg hatten sie darin bestärkt, weiter gegen Diskriminierung zu kämpfen und bei Unrecht nicht zu schweigen. Sei es in den USA der 50er und 60er Jahre, als sie Teil der Bürgerrechtsbewegung war, sei es in den vier Jahren der Trump-Präsidentschaft, bis heute. An die anwesenden Schüler*innen richtete sie den eindringlichen Appell, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen und in Hinsicht auf die wachsende Gefahren durch antidemokratische Politik und der Klimakrise aktiv zu werden. Sie drückte ihre große Bewunderung für die jüngeren Generationen aus und bezeichnete sich selbst als großen Fan der jungen Menschen. Ihre Hoffnung liege darauf, dass diese die neuen technologischen Möglichkeiten nutzten, um sich international zu vernetzen und gemeinsam für den Frieden in der Welt zu arbeiten.
Es war sehr beeindruckend, Marione zuzuhören. Die Erfahrungen ihrer Kindheit haben sich stark in ihr Gedächtnis eingebrannt und sie entschied sich bewusst gegen das Schweigen. Im Gegenteil, sie schöpfte aus ihren Erlebnissen die Kraft, ihr Leben lang gegen Diskriminierung und für Frieden zu kämpfen. Ihr ungebrochener Wille und die Hoffnung, aber auch der Zorn über bestehende Ungerechtigkeiten, ermutigten die Zuhörenden, gerade in Zeiten, in denen eine Krisennachricht auf die nächste zu folgen scheint. Es war schwer, sich nicht persönlich von Mariones eindringlichen Worten angesprochen und aufgefordert zu fühlen, da sie auch immer wieder die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen betonte, selbst verantwortlich für eine gute Zukunft zu sein. Mariones Besuch hinterließ einen tiefen Eindruck und wir hoffen und freuen uns darauf, sie bald wieder in Hamburg begrüßen zu dürfen.