01.02.2016 Zeitzeugengespräch

Zeitzeugengespräch mit Esther Bejarano

Am 25. Januar war Esther Bejarano zu einem Zeitzeugengespräch ins Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eingeladen und las Passagen aus ihren Lebenserinnerungen „Erinnerungen. Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts.“

Danach blieb noch Zeit, die zahlreichen Fragen aus dem Publikum, darunter vier interessierte Schulklassen, zu beantworten und von ihrer Zeit nach dem Krieg zu erzählen. Moderiert wurde die Veranstaltung von der ehrenamtlichen Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Heidburg Behling.

Kindheit und Jugend

Esther Bejarano kam am 15. Dezember 1924 im heutigen Saarlouis als Tochter eines jüdischen Kantors zur Welt. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde sie von ihren Eltern in ein Vorbereitungslager nahe Berlin geschickt, wo sie auf ihre Emigration nach Palästina vorbereitet werden sollte. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 verhinderte jedoch diesen Plan. Das Vorbereitungslager wurde von den Nationalsozialisten geschlossen und Esther im Juni 1941 in ein Zwangsarbeitslager in Neuendorf deportiert. Hier arbeitete sie bis 1943 in einem Blumengeschäft. Im gleichen Jahr wurden ihre Eltern in einem Waldstück in Kowno/Litauen durch Nationalsozialisten ermordet. Esther erfuhr vom Tod ihrer Eltern erst nach dem Krieg.

Auschwitz

1943 wurde Esther Bejarano ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Nach der entwürdigenden Aufnahmeprozedur, bei der man ihr die Häftlingsnummer 41948 auf den Arm tätowierte, musste sie zu schwere Zwangsarbeit leisten. Eines Tages hörte sie davon, dass in der Musikbaracke fähige Musiker für das lagerinterne Orchester gesucht wurden; eine Stelle als Akkordeonspielerin war frei. Zwar hatte Esther keinerlei Erfahrung mit dem Akkordeon, hatte jedoch von ihrem Vater die Liebe zur Musik und das Klavierspiel. Dieses Wissen konnte sie bei der Aufnahmeprüfung auf das neue Instrument übertragen und war fortan Mitglied im Mädchenorchester von Auschwitz. Dem Orchester oblag die zynische Aufgabe, Märsche für die Arbeitskolonnen zu spielen und die neuangekommenen Häftlinge, die für die Gaskammern selektiert wurden, mit Musik zu "begrüßen". Durch die schrecklichen Zustände in Auschwitz erkrankte Esther mit 18 Jahren an Typhus und Keuchhusten. Da sie nach der rassistischen Auffassung der Nazis zu einem Viertel "arisch" war, weil sie eine nicht-jüdische Großmutter hatte, kam sie für eine Verlegung in das Konzentrationslager Ravensbrück in Betracht. Obwohl Esther anfangs Bedenken hatte, ihre Mithäftlinge in Auschwitz zurückzulassen, nahm sie an den Untersuchungen für die Verlegung teil und wurde zugelassen.

Ravensbrück und Befreiung

In Ravensbrück kam Esther mit den anderen Deportierten für vier Wochen in Quarantäne, wurde danach zum Verladen von Kohle eingeteilt und später als Zwangsarbeiterin bei der Firma Siemens in der Montageabteilung eingesetzt. Im Januar 1945 hatte sie das Glück, ihren Judenstern gegen den roten Winkel eintauschen zu können, um fortan als politischer Häftling berechtigt zu sein, Briefe und kleine Pakete zu empfangen, da politische Häftlinge in der Lagerhierarchie über jüdischen Häftlingen standen. Ende April 1945 wurde das Konzentrationslager geräumt. Auf dem anschließende Todesmarsch traf Esther Bejarano sechs ihrer Freundinnen wieder und blieb mit ihnen zusammen. Nachdem die sieben Frauen mitbekommen hatten, dass der Befehl erteilt worden war, von jetzt an keine Häftlinge mehr zu erschießen, entschlossen sie sich, die Kolonne heimlich zu verlassen. In der mecklenburgischen Stadt Lübz wurden sie von US-amerikanischen Truppen befreit und in ein Restaurant eingeladen, in dem Esther von einem Soldaten ein Akkordeon geschenkt bekam, nachdem sie ihre Geschichte erzählt hatte. Ein Erlebnis aus den Tagen der Befreiung ist Esther Bejarano besonders in Erinnerung geblieben: Amerikanische und sowjetische Soldaten verbrannten gemeinsam auf einem Markplatz ein Portrait Adolf Hitlers, Esther spielte dazu auf ihrem neuen Akkordeon und ihre Freundinnen tanzten fröhlich mit den Soldaten.

Nachkriegszeit

Nach Kriegsende machte Esther sich auf die Suche nach ihren Angehörigen. Sie erfuhr von der Ermordung ihrer Eltern und entschied sich, nach Israel zu emigrieren. 1960 kehrte sie zusammen mit ihrem Mann nach Deutschland zurück und traf die Entscheidung, in das für sie mit keinen schlimmen Erinnerungen behaftete Hamburg zu ziehen, wo sie bis heute lebt.

Engagement für "antifaschistische Arbeit"

Auf die Frage, wann und warum sie sich dafür entschieden habe, öffentlich über ihre Erfahrungen zu sprechen, berichtete Esther von einem Schlüsselerlebnis: An einem Tag des Jahres 1979 arbeitete sie in Hamburg in ihrer kleinen Boutique in Eimsbüttel und bekam mit, dass vor ihrem Laden ein Informationsstand der NPD aufgebaut worden war. Vornehmlich junge Leute protestierten dagegen, wurden aber von der Polizei verhaftet. Im Gespräch mit einem Polizisten sagte man ihr, es habe in Russland ebenfalls Konzentrationslager gegeben und sie solle gefälligst nach Hause gehen, sonst werde sie auch verhaftet. Esther erwiderte, das könne die Polizei gerne machen, sie habe Auschwitz überlebt, worauf sich ein Mann der NPD in das Gespräch einschaltete und zu dem Polizisten sagte, er solle diese Frau doch verhaften, aus dem KZ Auschwitz kämen nur Kriminelle.

Nach diesem Erlebnis entschied sich Esther Bejarano, etwas gegen den Neonazismus und das Vergessen zu unternehmen und trat der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" bei. Sie führt bis heute Zeitzeugengespräche, um jüngere Menschen über die historischen Verbrechen der Nationalsozialisten und die aktuellen Verbrechen der Neonazis aufzuklären, schreibt Bücher über ihr Leben und pflegt auch mit 91 Jahren noch ihre Liebe zur Musik. So tritt sie in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Kölner Rap-Band Microphone Mafia auf, das, wie sie betont, drei Generationen und drei Religionen verbindet, um Musik zu machen, die ein klares Statement gegen rechts setzt.

Text: Nicolas Weidenbörner