10.07.2021 Nachricht

Wir trauern um Esther Bejarano (1924-2021)

Uns erreichte die traurige Nachricht, dass Esther Bejarano heute in Hamburg verstorben ist. Mit ihr verlieren wir eine unermüdliche Zeitzeugin und Mahnerin, eine Kämpferin gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus – und eine Freundin.

Esther Bejarano kam am 15. Dezember 1924 im heutigen Saarlouis als Tochter des Schuldirektors und jüdischen Kantors Rudolf und der Lehrerin Margarethe Loewy zur Welt. Nach den Novemberpogromen 1938 wurde sie von ihren Eltern nach Berlin in ein Vorbereitungslager auf die Emigration nach Palästina geschickt. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 verhinderte diesen Plan. Esther kam im Juni 1941 in ein Zwangsarbeitslager in Neuendorf. Ihre Eltern wurden aus Breslau nach Kowno in Litauen gebracht und dort von der SS ermordet. Esther erfuhr vom Tod ihrer Eltern erst nach dem Krieg.

1943 deportierten die Nationalsozialisten Esther Bejarano ins Konzentrationslager Auschwitz, wo die junge Frau schwere Zwangsarbeit leisten musste. Sie erfuhr davon, dass Musiker*innen für das lagerinterne Orchester gesucht wurden; obwohl sie keine Erfahrung mit dem Akkordeon hatte, konnte sie aufgrund ihrer guten Klavierausbildung überzeugen – und wurde Mitglied im Mädchenorchester von Auschwitz. Dem Orchester oblag die zynische Aufgabe, Märsche für die Arbeitskolonnen zu spielen und zur Tarnung zu musizieren, wenn Häftlinge neu ankamen und für die Gaskammern selektiert wurden. Esther erkrankte mit 18 Jahren an Typhus und Keuchhusten. Sie wurde in das Konzentrationslager Ravensbrück überstellt.

In Ravensbrück musste Esther Zwangsarbeit für die Firma Siemens leisten. Im Zuge der Räumung der Konzentrationslager wurde sie auf einen Todesmarsch geschickt, von dem sie gemeinsam mit sechs Mithäftlingen fliehen konnte. In der mecklenburgischen Stadt Lübz wurden sie von US-amerikanischen Truppen befreit.

Nach Kriegsende emigrierte Esther nach Israel.1960 kehrte sie zusammen mit ihrem Mann Nissim Bejarano nach Deutschland zurück und traf die Entscheidung, in das für sie mit keinen schlimmen Erinnerungen behaftete Hamburg zu ziehen. Das Schlüsselerlebnis für ihr künftiges antifaschistisches Engagement war 1979 der Aufbau eines Informationsstandes der NPD vor ihrer Boutique in Eimsbüttel. Ihr Protest dagegen wurde nicht ernst genommen. Esther Bejarano beschloss, etwas gegen den Neonazismus und das Vergessen der Shoah zu unternehmen und trat der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" bei. Sie wurde Vorsitzende des Auschwitz-Komitees und erhob lautstark und energisch ihre Stimme gegen rechts. Sie führte unzählige Schulbesuche und Veranstaltungen durch, um jüngere Menschen über die historischen Verbrechen der Nationalsozialisten und die aktuellen Verbrechen der Neonazis aufzuklären. Zusammen mit Tochter Edna und Sohn Joram gründete Esther Bejarano Anfang der 1980er Jahre die Band Coincidence und spielte jüdische antifaschistische Lieder. 

“Ich werde solange singen, bis es keine Nazis mehr gibt!”, sagte sie einmal. Auch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme begleitete sie den Jahrestag der Befreiung 2010 musikalisch mit der Rap-Band „Microphone Mafia“, mit der sie bis zuletzt deutschlandweit auftrat mit Liedern gegen Hass und Ausgrenzung, für Menschlichkeit und Miteinander. In besonderer Weise engagierte sie sich auch immer wieder für die Gedenkstätte Bullenhuser Damm, die an die Ermordung von 20 jüdischen Kindern erinnert, an denen die SS zuvor im KZ Neuengamme medizinische Versuche durchführte. Unter dem Vorsitz von Esther Bejarano entwickelte sich das Auschwitz-Komitee zu einem wichtigen Kooperationspartner der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. 

Dr. Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: „Esthers Tod ist für die Erinnerungskultur in Deutschland, aber vor allem in Hamburg ein riesiger Verlust. Vor allem geht damit auch eine wichtige kritische Begleiterin aktueller (geschichts)politischer Entwicklungen verloren. Wir werden sie schmerzlich vermissen.“

 

Weiterlesen:

Holocaust-Überlebende Esther Bejarano in Hamburg gestorben | NDR.de - Geschichte - Menschen
Trauer um Holocaust-Überlebende : Esther Bejarano ist tot | tagesschau.de
https://www.auschwitz-komitee.de/5249/esther-bejarano-wir-sind-da-meine-befreiung-im-mai-1945-und-meine-hoffnungen/
Zeugin der Zeit : Esther Bejarano - "Wo Musik spielt, kann es nicht so schlimm sein ..." (br.de)