07.10.2022 Veranstaltung

Widerstand und Kriegseinsatz. Vom Hannoverschen Bahnhof ins "Bewährungsbataillon 999"

Am 29. September 2022 fand ein öffentliches Gespräch im Ökumenischen Forum in der HafenCity statt, welches sich mit der Geschichte des sogenannten Bewährungsbataillons 999 und mit den Perspektiven von vier Nachkomm*innen beschäftigte.

Viele der über 1000 Männer aus Hamburg, die ab Herbst 1942 als Soldaten ins "Bewährungsbataillon 999" eingezogen wurden, waren politische Widerstandskämpfer, die im nationalsozialistischen System zunächst als „wehrunwürdig“  eingestuft worden waren. Sie wurden vom Hannoverschen Bahnhof in Hamburg in das Ausbildungslager Heuberg in Südwestdeutschland transportiert, bevor sie in den Kriegseinsatz geschickt wurden.

Inga Grunst und Carmen Galba schilderten ihren Vater bzw. Großvater Oskar E. Meyer als einen Menschen, der sich schon mit 12 Jahren sozialpolitisch engagierte, erst in Jugendverbänden der SPD, später in der KPD. Sein politisches Engagement führte dazu, dass er 1933 verhaftet wurde und zu einem halben Jahr Haft im Konzentrationslager Fuhlsbüttel und anschließend zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Carmen Galba arbeitet zurzeit an einem Buch über das Leben ihres Großvaters.

Carola Kieras berichtete von ihrem Großvater Georg Kieras. Nach dem Verbot der SPD 1933 engagierte er sich in der nun als illegal eingestuften Parteileitung. Er wurde von 1935 bis 1938 im Emslandlager Aschendorfermoor inhaftiert. Auf Druck der Familie ließ sich seine erste Ehefrau von ihm scheiden. Nach dem Krieg wanderte Georg Kieras nach Brasilien aus. Carola Kieras kannte ihn durch Briefkontakte, war aber durch ihn geprägt und wurde durch ihn in ihrem politischen Engagement gestärkt.

Manfred Schumanns Eltern lernten sich über ihr sozialdemokratisches Engagement kennen. Karl Schumann war Zimmerer und Mitglied der SPD. Er war im Widerstand aktiv, indem er unter anderem Geld für Inhaftierte sammelte. Er wurde verhaftet und kam für fast drei Jahre in den Lagern Esterwegen und Aschendorfermoor in Haft. Durch diese Inhaftierung verlor Karls Ehefrau die gemeinsame Wohnung. Sie fühlte sich im Stich gelassen, zeit ihres Lebens litt sie unter diesen psychischen Belastungen. Karl Schumann geriet kurz vor Kriegsende in Kriegsgefangenschaft und verstarb dort.

Während des Gesprächsabends stellten die Angehörigen fest, dass ihre Väter und Großväter alle am selben Tag, also am 3. Februar 1943, zum Ausbildungslager transportiert worden waren und sich wahrscheinlich im selben Zug befunden hatten. Alle drei wurden in Griechenland eingesetzt. Sowohl Oskar E. Meyer als auch Georg Kieras waren in der Sanitätskompanie eingesetzt, was ihre Überlebenschancen wohl etwas erhöhte.

An diesem Abend bekamen die "999er" durch ihre eigenen Familienangehörigen eine Stimme. Die Gedanken der Angehörigen waren berührend und die Zuhörenden erfuhren über diesen persönlichen Zugang viel über die Auswirkungen, Verbindungen und Einflüsse, die die Geschichte der Väter und Großväter auf das Leben der Kinder und Enkel gehabt haben und vor allem, wie sie ihr politisches Engagement bis heute prägen.

Als die Podiumsdiskussion für die Fragen des Publikums geöffnet wurde, war das große Interesse der Besucher*innen zu spüren. Es stellte sich heraus, dass sich unter ihnen noch weitere Angehörige von "999ern" befanden. Mehrere Nachfragen zielten auf die Nachkriegszeit: Es gab praktisch keine öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der "999er". Eine Aufarbeitung begann erst ab den 1970er Jahren.

Kristina Vagt (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) wies in ihrem Schlusswort darauf hin, dass die Forschung auch aufgrund der Quellenlage nicht leicht sei. Sie verwies auf das Buch von Ursula Suhling "Wer waren die 999er?", die aus den verfügbaren Einzelfallakten etwa im Staatsarchiv Hamburg eine Liste der ehemaligen Hamburger Bewährungssoldaten erstellt hat. Für das geplante Dokumentationszentrum denk.mal Hannoverscher Bahnhof, das 2026 eröffnet werden soll und auch das Thema der "999er" aufnehmen wird, werde es darauf ankommen, die Ereignis- und Strukturgeschichte überzeugend mit den persönlichen Einzelgeschichten zu verbinden.