04.12.2019 Bericht

Regionalgeschichtlicher Workshop „Der Hannoversche Bahnhof“

Am 22. November 2019 fand in der HafenCity Universität (HCU) in Hamburg der regionalgeschichtliche Workshop „Der Hannoversche Bahnhof: Ein Ort der Verfolgung und Deportationen von 1940 bis 1945“ statt. Die Teilnehmenden aus Wissenschaft, Museen, Gedenkstätten und Zivilgesellschaft tauschten sich über die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung und Deportation von Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma im norddeutschen Raum aus.

Prof. Dr. Lisa Kosok (HCU) begrüßte zu Beginn die neue Kooperation zwischen der HCU und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und stellte die Bedeutung des Projekts „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ für die Universität und die HafenCity als Ganzes heraus. Das Projekt trage die Themen Nationalsozialismus, der Verfolgung und Deportation in die HafenCity, in der sonst das Narrativ des wirtschaftlich starken und wichtigen Hafens vorherrsche.

Dr. Oliver von Wrochem (KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Leiter des Projekts „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“) führte in die Geschichte des Gedenkortes und den aktuellen Stand der Entwicklung des Dokumentationszentrums ein. Die Grundidee des Gestaltungsentwurfs folge dem Leitmotiv „Vor aller Augen“ und wolle das allgemeine Wissen der damaligen Mehrheitsgesellschaft über die Deportationen verdeutlichen.

Die anschließenden Panels mit Vorträgen, Workshops und Podiumsdiskussionen dienten insbesondere dem Erfahrungs- und Wissensaustausch der teilnehmenden Institutionen und Einzelpersonen.

Der Historiker Dr. Hans Hesse etwa stellte seine Forschungsergebnisse zu „Doppeldeportationen“ von Sinti und Roma aus Bremerhaven und der Weser-Ems-Region vor. Er ging dabei exemplarisch auf zwei Familien ein, die 1940 ins Arbeitslager Belzec im damaligen Generalgouvernement deportiert wurden. Das Lager wurde nach einigen Wochen aufgelöst. Einigen Deportierten gelang es, an ihren ehemaligen Wohnort zurückzukehren, wo sie teilweise aufgegriffen und erneut deportiert wurden.

Dr. Kristina Vagt vom Projektteam „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ unterstrich die überregionale Bedeutung des Hannoverschen Bahnhofs für die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus dem norddeutschen Raum. In diesem Zusammenhang plädierte sie dafür,  auch diejenigen in den Blick zu nehmen, die unter dem Verfolgungsdruck aus Kleinstädten und Dörfern nach Hamburg zugezogen waren und später von hier aus deportiert wurden, darunter auch Sinti und Roma.

Stefan Wilbricht, ebenfalls Mitarbeiter im Projektteam, gab einen Überblick über die gerichtliche Aufarbeitung der Deportationsverbrechen in Hamburg. Hierfür nahm er das breite Akteursfeld von Militärregierung, deutschen Behörden, Verfolgtenverbänden und Einzelpersonen in den Blick und arbeitete anhand dreier Fallbeispiele die wenig effektive Strafverfolgung heraus.

Eine von Prof. Dr. Detlef Garbe (Abteilung Gedenkstätten und Lernorte in der Behörde für Kultur und Medien) geleitete Podiumsdiskussion widmete sich der Geschichte der „Bewährungstruppe 999“. Zwar seien deren Mitglieder zu einem großen Teil als Kommunisten und Sozialdemokraten Opfer nationalsozialistischer Verfolgung geworden; später waren sie Wehrmachtsangehörige im Kriegseinsatz. So gebe es einen deutlichen Unterschied zu rassistisch verfolgten Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma, die in die Gettos, Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und dort ermordet worden seien.

Im Anschluss boten drei zeitgleich stattfindende Workshops den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich aktiv mit Mitgliedern des Projektteams auszutauschen. Hierbei ging es um Bezüge zwischen Metropole und Region, um Überlieferungen, Dokumente oder Fotografien, die den Blick der deutschen Volksgemeinschaft auf die Deportationen in den Blick rücken könnten, sowie um Möglichkeiten und Grenzen von Gegenwartsbezügen in einer Ausstellung.

Die abschließende Podiumsdiskussion zur Aufarbeitung der Deportationen aus regionalgeschichtlicher Perspektive brachte schließlich noch einmal verschiedene Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen und gab ihnen die Möglichkeit, Erfahrungswerte aus ihrer Arbeit zu teilen und konkrete Denkanstöße für das künftige Dokumentationszentrum zu geben.

Die enge Vernetzung und Verzahnung nicht nur mit den Wissenschaftsinstitutionen, sondern auch und insbesondere mit zivilgesellschaftlichen Akteuren war ein zentrales Ziel der Tagung, die somit einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des Dokumentationszentrums markierte. Auf einer internationalen Tagung, die am 13. und 14. Februar 2020 stattfinden wird, werden Ausstellungsmacherinnen, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Europa und Israel an die Ergebnisse dieser Tagung anknüpfen. Dann soll konkret weiter diskutiert werden, wie nationalsozialistische Verfolgung und Deportation von Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti, Romnja und Roma, politischen Gegnerinnen und Gegnern sowie weiteren Verfolgtengruppen zeitgemäß dokumentiert, ausgestellt und in Bildungsangeboten vermittelt werden kann.

Lennart Onken