02.02.2016 Bericht

Meine ersten Monate als Freiwillige in der Gedenkstätte

Ich heiße Olga. Ich komme aus Moskau, Russland. Im Jahr 2015 habe ich mein Masterstudium abgeschlossen und mich entschieden, ein Jahr zu investieren, um etwas Wichtiges zu tun.

Mein Weg zum Freiwilligendienst begann im Januar 2015 oder sogar noch früher, als ich im Jahr 2014 an der Internationalen Jugendbegegnung in Dachau teilnahm. Der Name der Stadt wird stark mit dem Konzentrationslager assoziiert, das zwischen 1936 und 1945 in der Nähe der Stadt gelegen hatte. Vielleicht hat diese Nähe zu dem historisch wichtigen Ort mich verändert. Es ist wichtig, an die Millionen von verlorenen und durch den Krieg genommenen Leben zu erinnern. Diese Gedanken brachten mich auf die Idee, die Geschichten der Überlebenden an die nächste Generation weiterzugeben zu wollen.

Im Januar 2015 entschied ich mich, mich bei der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) (https://www.asf-ev.de/) zu bewerben. Es dauerte mehrere Wochen lang, mein Motivationsessay zu schreiben, um alle meine Gedanken auf dem Papier zum Ausdruck zu bringen. Die E-Mail wurde gesendet und in nur einigen Tagen erhielt ich eine Antwort der russischen Koordinatorin der ASF. Sie hatte mich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen! Ich kann nicht beschreiben, wie aufgeregt und ängstlich ich mich fühlte, als ich an die Tür klopfte. Was passiert, wenn mein Wissen über die Geschichte nicht ausreichend ist? Was, wenn sie mein Deutsch prüft und ich so nervös bin, dass ich alles vergesse? Keine meiner Befürchtungen ist wahr geworden. Die Atmosphäre war sehr gemütlich, wir haben mehrere Stunden über meine Erwartungen an den Freiwilligendienst geredet. Ich machte meine Wahl der Projekte von den Aufgaben abhängig und versuchte zu verstehen, wo ich den größten Einfluss haben und am meisten beitragen könnte. Schließlich wurde ich für ein kombiniertes Projekt in Hamburg von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Verein Solidarische Hilfe (http://www.solihilfe.de/) eingeladen.

Alles ging reibungslos und am 2. September begann der Dienst in Berlin mit einem 10-tägigen Seminar, auf dem 18 Freiwillige aus verschiedenen Ländern sich trafen, um ihre Vergangenheit, die Geschichte ihrer Länder und Begegnungen mit dem Nationalsozialismus zu diskutieren. Es war eine erstaunliche Zeit, die mit wirklich tiefen Diskussionen und Gesprächen im Rahmen des Workshops und auch darüber hinaus in der Freizeit gefüllt war. Es war eine tolle Erfahrung, die uns von ein paar Leuten, die einander gerade getroffen haben, in Freunde verwandelt hat.

Der erste Tag in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme war ein wenig verwirrend; gemeinsam mit einer anderen Freiwilligen wurden wir von einem Raum zum anderen geführt, und haben verzweifelt versucht, uns an alle Namen zu erinnern. Trotzdem war es interessant, unsere neuen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen, und die Gedenkstätte zu sehen. In der ersten Woche bin ich von einer Ausstellung zur anderen gegangen und habe die Geschichten gelesen. Es ist erstaunlich, wie groß die Gedenkstätte ist und wie viele verschiedene interessante Materialien es gibt.

Ungefähr nach einem Monat der Arbeit in der Gedenkstätte wurde ich gefragt, ob ich eine Führung auf Englisch machen könnte, weil ein Mitarbeiter, der dafür verantwortlich war, krank war. Ich war nicht sicher, ob ich dafür bereit war, aber es gehörte nicht zu meinen Prinzipien, eine Möglichkeit zu vergeben, etwas Neues zu lernen, also stimmte ich zu. Es war eine wirklich nette Gruppe aus Großbritannien, bestehend aus zwei verschiedenen Altersgruppen: 12 bis 14 und 14 bis 16. Wir machten eine dreistündige Führung über die Gedenkstätte und führten eine Reihe von tiefen Gesprächen. Ich fühlte mich so stolz darauf, dass ich es geschafft hatte, die richtigen Worte zu finden, um ihre Herzen und Köpfe zu erreichen. Zwei Tage später stand eine noch schwierige Aufgabe vor mir. Nun musste ich eine Führung auf Deutsch machen! Ich erinnere mich an das Gefühl von Unsicherheit, aber im Moment, als ich die Gruppe getroffen habe, waren alle meine Zweifel weg. Ich hatte eine klare Aufgabe vor mir, und das einzige, auf das ich fokussiert war, war, es so gut, wie ich konnte, zu machen. Im Allgemeinen mag ich diese Gelegenheiten, Schülerinnen und Schülern zu begegnen und mit ihnen darüber zu sprechen, wie sie die Ereignisse der Vergangenheit sehen. Unter meine Aufgaben fallen auch der Korrespondenzaustausch mit russischsprachigen ehemaligen Häftlingen, Übersetzungen von Interviews aus dem Russischen ins Deutsche und die Unterstützung bei verschiedenen anderen Projekten.

Meine Erfahrungen hier sind nicht nur wertvoll für mich, wegen der Leute, die ich hier treffe, sondern auch wegen der Geschichten, die mir erzählt werden. Ich las einige Beispiele atemberaubender Menschlichkeit. Eine Geschichte, die mich bewegt hat, ist die von Fritz Bringmann, der ein deutscher politischer Häftling im KZ Neuengamme war. Eines Tages hatte Fritz den Befehl bekommen, eine Gruppe sowjetischer Häftlinge mit Spritzen umzubringen. Er hat den Befehl verweigert, dadurch sein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Solche Geschichten stellen meinen Glauben an die Menschheit wieder her. Für mich ist es wichtig, zu wissen, dass auch unter solch unmöglichen, unmenschlichen Bedingungen die Menschen noch in der Lage waren, Trost in einander zu finden. Für mich ist dies eine Darstellung der besten Seiten der menschlichen Natur.

Bisher bekam ich in meinem Freiwilligendienst alles, worauf ich gehofft hatte: Ich traf viele interessante Menschen, lernte eine Menge über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und lernte etwas über mich selbst. Ich hoffe, dass in den nächsten Monaten noch mehr Herausforderungen und interessante Aufgaben auf mich warten.