01.09.2021 Bericht

Mein Freiwilligenjahr für die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Mein Name ist Elena Borodina. Ich komme aus Russland (Moskau) und habe meinen Freiwilligendienst für die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) in Deutschland von September 2020 bis August 2021 absolviert. Mein Projekt bestand aus der Arbeit in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Pflegedienst Solidarische Hilfe im Alter in Hamburg. Diese Tätigkeit wurde von der Evangelisch-Lutherischen Kirche unterstützt.

Von Anfang an wollte ich in einer Gedenkstätte arbeiten. An dieser Arbeit interessierte mich vor allem die Art und Weise, wie das Land mit der NS-Vergangenheit umgeht. Jeder ASF-Freiwilligendienst beginnt mit einem Vorbereitungsseminar. Diese Veranstaltung hilft den Freiwilligen sich an die neue Umgebung anpassen. Bei mir war es auch der Fall. Der einzige Unterschied war, dass das Seminar online durchgeführt wurde.

In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme arbeitete ich vier Tage pro Woche. Meine Aufgaben waren mit vier Bereichen verbunden, die ich mir ausgewählt hatte — Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Archiv, Ausstellungen sowie pädagogische Arbeit. Wie ich meine Zeit einteilte, bestimmte ich selbst. Diese Freiheit ist meiner Ansicht nach ein großer Vorteil dieses Freiwilligendienstes: Viele Freiwillige entscheiden sich für solche Freiwilligenprojekte nach dem Abitur oder gleich nach dem Universitätsabschluss, wenn ihnen noch nicht klar ist, was sie weiter mit ihrem Leben anfangen sollen. Das Projekt ermöglicht es ihnen, sich gleichzeitig auf unterschiedlichen Gebieten zu versuchen.

Der Kontrast zwischen trauriger Vergangenheit dieses Ortes und meinen positiven Eindrücken davon als von einem Zentrum der historisch-politischen Bildung bewegte mich tief, wenn ich jeden Morgen zur Arbeit kam.

Meine Aufgaben in der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hatten in der Regel mit sozialen Netzwerken zu tun. Einerseits entwickelten wir neue Formate, die u.a. den Menschen in der Corona-Zeit den Besuch der Gedenkstätte zumindest teilweise ersetzen konnten. Ich habe z.B. eine Videoreihe aus der Geschichte des KZs und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme geschnitten. Andererseits versuchten wir der Häftlinge des KZs zu gedenken sowie die Menschen mit unterschiedlichen historischen Materialien bekannt zu machen. Als Beispiel kann ich die Rubrik #OTD auf Twitter nennen: Wir verbanden das Datum mit dem Ereignis aus dem Schicksal von einem der ehemaligen Häftlinge und fügten dem Post Zitate oder Fotos aus Archivmaterialien hinzu. Die Gedenkstätte verfügt über echte Schätze, von denen die meisten Besucher*innen gar nichts wissen. Es ist auch von Belang, dass ich nicht nur etwas Interessantes machte, sondern auch mich weiter entwickelte. Die oben erwähnten Aufgaben waren mit DaVinci Resolve 16 und Adobe InDesign verbunden, und die Fähigkeit, in diesen Programmen zu arbeiten, war ein weiterer Betrag zu meinem CV.

Meine Arbeit hing auch mit dem Archiv der Gedenkstätte zusammen. Jetzt habe ich eine Vorstellung davon, wie dieses System aufgebaut worden ist, wie Anfragen bearbeitet werden sowie wie Dokumente aufbewahrt und gesichert werden. Im September habe ich mit einem Passregister aus dem Jahre 1945 gearbeitet, der eine einzigartige Quelle zur Geschichte jüdischer Überlebender der Shoa ist. Es ist ein überwältigendes Erlebnis, so etwas in der Hand zu halten. Ich half auch gerne bei den Recherchen ehemaliger Zwangsarbeiter*innen aus den russischsprachigen Ländern und befasste mich auch mit Zeitzeugeninterviews, die aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt werden sollten. Das ermöglichte mir, sowohl meine Fremdsprachenkenntnisse zu verwenden und zu verbessern als auch die Gegenwärtigkeit der Geschichte zu erleben.

Leider sah es mit den Ausstellungen in meinem Freiwilligenjahr nicht gut aus. Trotzdem ist uns nach mehreren Verschiebungen gelungen, den Ort der Verbundenheit zu eröffnen. Dieses Projekt erlaubt Angehörigen ehemaliger Häftlinge aus aller Welt, ihr inhaftiertes Familienmitglied namentlich zu ehren und ihre persönliche Verbundenheit mit ihm am historischen Ort seines Leidens mithilfe eines Plakats auszudrücken. Ich beteiligte mich an der Vorbereitung der Eröffnung, übersetzte alle Materialien für die Projektwebseite ins Russische und druckte in der Druckwerkstatt Plakate, die Familienmitglieder von den ehemaligen Häftlingen entworfen hatten.

Die Abteilung für pädagogische Arbeit ist für Führungen, Jugend- und Erwachsenenbildung zuständig. Am Anfang meines Freiwilligendienstes gelang es mir, einige Führungen mitzumachen. Meine besonders starken Eindrücke sind mit der Situation verbunden, als ich am Ende meiner Freiwilligenzeit öffentliche Kurzführungen durch das Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme machen sollte. Wäre es keine Corona-Pandemie, dann könnte so was zum Alltag gehören. Dass ich Führungen in Deutsch und Englisch machen würde, erfuhr ich am Vorabend. Das brachte mich ein bisschen aus der Bahn: Aber ich hatte von solch einer Gelegenheit das ganze Jahr geträumt, und dachte mir, dass die Besucher*innen mich zum ersten und zum letzten Mal in ihrem Leben sehen werden, und falls ich etwas falsch mache, geht davon die Welt nicht unter. Dazu kam noch, dass aus schlechten Erfahrungen sehr oft lustige Geschichten entstehen. Letztlich klappte alles für eine kurzfristige Vertretung ganz gut.

In der Gedenkstätte ist ständig was los. Sogar in der Corona-Zeit fand z.B. ein Online-Gespräch mit der Holocaust-Überlebenden Dita Kraus statt. Meine Kolleginnen und Kollegen empfahlen mir viele Bücher, Filme, Podcasts und andere Quellen über die Geschichte des KZs Neuengamme und NS-Verbrechen, und die ganze Bibliothek der Gedenkstätte steht den Freiwilligen zur Verfügung.

Ende Oktober gelang es mir zusammen mit dem FSJ-Freiwilligen Justin, mit dem ich die Wohnung teile, bei einem dreitägigen Fotoworkshop dabei zu sein. Danach hatten wir die Möglichkeit, unsere Fertigkeiten weiterzuentwickeln: Wir machten Fotos für das neue Gedenkstättenportal der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Diese Aufgabe erlaubte uns, Hamburg besser kennenzulernen und neue Orte zu entdecken.

Was besondere Begegnungen während des letzten Jahres angeht, möchte ich vor allem das ASF-Präsenzseminar in Berlin erwähnen. Es war gut organisiert: Das Programm war unheimlich interessant und durchdacht. Unter anderem hatten wir uns mit der leitenden Vorsitzenden des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg Petra Rosenberg sowie mit Berliner Stadtteilmüttern getroffen.

Die Zeit, die ich mit einer alten Dame in Hamburg im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Solidarischen Hilfe  im Alter verbrachte, war wie in der ersten Hälfte des Freiwilligendienstes schön. Ich finde, dass die Abwechslung zwischen den Aufgaben in der Gedenkstätte und der Tätigkeit bei der SoliHilfe eine gute Lösung ist und den Freiwilligentätigkeit sehr bereichert. In der Gedenkstätte befasst man sich eher mit der „Theorie“ der Geschichte, dabei macht die Arbeit mit den älteren Menschen diese Geschichte lebendig.

Im Rahmen meines Freiwilligendienstes habe ich viel über Geschichte, Erinnerungskultur, Formen der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfahren sowie die Tätigkeit von einem Erinnerungsort von innen kennen gelernt. Bei mehreren Fortbildungen der Gedenkstätte habe ich mich mit ungewöhnlichen Methoden der Gruppen- und Einzelarbeit bekannt gemacht. Ich freue mich darauf, dass ich all diese Kenntnisse nach Russland mitnehmen kann.