05.07.2022 Nachricht

Liselotte Ivry verstorben

Wir erhielten die traurige Nachricht, dass Liselotte Ivry am 21. Juni 2022 im Alter von 96 Jahren verstorben ist. Sie überlebte die KZ Auschwitz, Neuengamme und Bergen-Belsen.

Liselotte Ivry, geborene Epstein, kam 1925 in Líšťany im heutigen Tschechien zur Welt. Sie wuchs mit ihrem Bruder in einem liebevollen Haushalt auf. Ihr Vater verstarb bereits sehr früh, weshalb ihre Mutter den gemeinsamen Gemischtwarenladen übernehmen musste. Lisl, wie sie von Freunden und Familie genannt wurde, hatte viele schöne Erinnerungen an diese Zeit, in der sie und ihr Bruder im Laden aushalfen und ihre Mutter unterstützten.

Durch die deutsche Besetzung ihrer Heimat im Jahr 1938 endete nicht nur ihre Schulausbildung abrupt, sondern auch ihre unbeschwerte Kindheit. Es begannen die antisemitischen Stigmatisierungen, Repressalien und Ausgrenzungen und unfreiwillig wurde sie selbst zur Zeitzeugin dieser schweren Zeit.

1942 deportierten die Deutschen die 17-jährige in das Getto Theresienstadt, von wo aus sie im Herbst des Jahres 1943 in das KZ Auschwitz transportiert wurde. 1944 gehörte sie dort zu den ersten 1000 jüdischen Frauen und Mädchen, die für einen Zwangsarbeitseinsatz in Hamburg ausgewählt wurden. Im Juli 1944 kam sie in das KZ-Außenlager Veddel des KZ Neuengamme, das im Lagerhaus G am Dessauer Ufer eingerichtet wurden war. In einem anderen Teil des Speichergebäudes waren Italienische Militärinternierte unterbracht. Lieselotte Ivry gelang es, sich heimlich mit einem von ihnen anzufreunden, obgleich sie sich nur ein einziges Mal heimlich im Keller des Gebäudes persönlich treffen konnten. Nach ihrer Verlegung in das KZ-Außenlager Hamburg-Neugraben im September 1944 gelang es ihm, sie einmal bei einem Arbeitseinsatz aufzusuchen und ihr ein paar Lebensmittel zuzustecken. In Neugraben arbeitete Lieselotte Ivry im Behelfsheimbau. Im Februar 1945 verlegte die SS die Frauen in das KZ-Außenlager Hamburg-Tiefstack, wo Lieselotte Ivry bei den benachbarten Diago-Werken eingesetzt war. Als das Lager am 20. März 1945 von einer Fliegerbombe getroffen wurde, überlebte Lieselotte Ivry nur knapp. Kurz darauf wurde das Lager geräumt und die gefangenen Frauen in das KZ Bergen-Belsen gebracht, in dem katastrophale Zustände herrschten. Dort wurde Lieselotte Ivry am 15. April 1945 von den Alliierten befreit. Sie war die einzige Überlebende ihrer Familie.

Nach der Befreiung kehrte Liselotte Ivry nach Prag zurück und studierte Englisch. Während ihres Studiums arbeitete sie für Zeitungen und für das American Jewish Joint Distribution Committee. Schließlich wanderte sie 1949 nach Kanada aus. Dort lernte sie ihren Ehemann kennen, den sie 1950 heiratete. Sie bekamen zwei Kinder. Sie schrieb sich an der Universität ein und machte dort ihren Abschluss in Kunst. Fortan unterrichtete sie Vorschulkinder in Kunst und folgte damit einer ihrer Leidenschaften. Neben ihrem künstlerischen Interesse engagierte sie sich zusätzlich ehrenamtlich als Zeitzeugin. Sie war Gastrednerin im Montrealer „Holocaust Centre“, eine häufig eingeladene Rednerin an vielen High Schools und Universitäten in den USA und Kanada und nahm an mehreren „March of the Living“-Reisen nach Polen und Israel teil. Ihr 2007 veröffentlichtes Buch „I‘m their voice“ umfasst eine Zusammenstellung von Gedichten und Geschichten, die Schülerinnen und Schüler für sie verfasst haben.

Liselotte Ivry bezeichnete sich selbst nie als Überlebende, sondern immer als Zeugin der nationalsozialistischen Verbrechen. Ihre Zeugenschaft war ihr wichtig. 2013 nahm sie Kontakt zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme auf, um auf eine Unstimmigkeit in einer Darstellung zum KZ-Außenlager Tiefstack hinzuweisen. Aus der einer per Email teils hitzig geführten Debatte um historische Fakten erwuchs eine jahrelange Brieffreundschaft. Mit Liselotte Ivry verlieren wir nicht nur eine starke Stimme gegen Antisemitismus, menschenfeindliches Handeln und Ausgrenzungen jeglicher Art, sondern auch eine geschätzte Freundin. Unser Beileid gilt ihrer Familie und allen, denen sie am Herzen lag.

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