21.11.2019 Projekt
Dreizehn Schülerinnen und Schüler aus Hamburg und Olsztyn/Mragowo in Polen entwickelten auf einem 14-tägigen Workshop Anfang November 2019 Tonspuren für die Ausstellung im zukünftigen Dokumentationszentrum "denk.mal Hannoverscher Bahnhof." Auf ihren Stationen in Hamburg, Łódź, Kulmhof und Auschwitz sind Hörstücke entstanden, die die Perspektiven der Teilnehmenden auf die besuchten Gedenkorte und Geschichten widerspiegeln.
Die Wahrnehmungen und Reflexionen der 15- bis 17-Jährigen aus Olsztyn und Mrągowo sowie der Hamburger Max-Brauer-Schule standen bei der Reise im Mittelpunkt. Sie wurden von Mitarbeiterinnen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und des Kooperationspartners Fundacja Borussia aus Olsztyn sowie einer Journalistin und Sprachmittlerin begleitet.
Den inhaltlichen Rahmen des deutsch-polnischen Workshops bildete die Deportation und erzwungenen Wege der über 1.000 Hamburger*innen, die am 25. Oktober 1941 über den Hannoverschen Bahnhof in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz verschleppt wurden. Zunächst erkundeten die jungen Menschen das denk.mal Hannoverscher Bahnhof in Hamburg. Nach inhaltlichen Einführungen fingen die Jugendlichen in einem zweitägigen Fotoworkshop unter Anleitung von Mark Mühlhaus ihre Perspektive auf den Ort mit Spiegelreflexkameras ein. Was möchten sie zukünftigen Besuchenden zeigen? Was ist für sie am relevantesten?
Nach vier Tagen in Hamburg reiste die Gruppe mit dem Zug nach Lodz. In der zentralpolnischen Stadt besichtigten sie das ehemaligen Ghetto, den Neuen Jüdischen Friedhof und die Gedenkstätte Bahnhof Radegast. Auch hierbei waren die Aufnahmegeräte stets auf ‚record‘ geschaltet. Des Weiteren besuchten die Teilnehmenden das Marek Edelman Dialogzentrum und trafen den Vorsitzenden des Stadtrates. Als besonders spannend empfanden die Teilnehmenden den Besuch im Staatlichen Archiv Lodz wo sie in deutsch-polnischen Teams in einer aufwändigen Recherche Ghetto-Arbeitskarten und Meldekarten der Hamburger Deportierten suchten. Für einen Tag fuhr die Gruppe in das ca. 70 km entfernte Chełmno nad Nerem/Kulmhof, wo sich das erste NS-Vernichtungslager befand. Die Mitarbeitenden des Museum Kulmhof nahmen sich einen ganzen Tag Zeit und halfen den Teilnehmenden mit Rundgängen, Kurzvorträgen und einem Workshop sich dem historischen Ort anzunähern.
Für die letzten Tage der Begegnung reiste die Gruppe nach Oświęcim, wo die Teilnehmenden die ehemaligen Lager Auschwitz I und Auschwitz II – Birkenau besichtigten. 1944 wurden bei der sogenannten Liquidierung des Ghettos Litzmannstadt die meisten Jüdinnen und Juden in das größte Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten verschleppt. Der Großteil wurde unmittelbar nach der Ankunft dort ermordet.
Trotz oder gerade wegen der intensiven und langen Workshopreise, empfanden die Teilnehmenden es als besonders wichtig auch Auschwitz-Birkenau zu besuchen. Gemeinsam ließen sie in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim ihre Erfahrungen, Begegnungen und die besuchten Orte Revue passieren. So kommentierte ein Teilnehmender: "Ich fand am beeindruckendsten, dass in Auschwitz so viele Leute waren, damit hätte ich nicht gerechnet und auch nicht damit, dass dort Leute mit ihren Kindern und Babys hingehen. Auch dass Leute lautstark telefoniert haben und Selfies gemacht haben. Besonders stark ist mir das aufgefallen, weil in Kulmhof kaum Menschen waren." Für alle Teilnehmenden zählte das Treffen mit Paula Hoerling-Moser – Enkelin der von Hamburg nach Litzmannstadt Deportierten Marie und Bernard Moser – und das Gespräch mit Leon Weintraub – Überlebender des Ghetto Litzmannstadt und der Lager Auschwitz-Birkenau, Groß Rosen und Flossenbürg – zu den ganz besonders eindrücklichen Momenten des 14-tägigen Workshops.
Die Schülerinnen und Schüler hielten während der gesamten Reise ihre Eindrücke auf Audiogeräten fest. Sie interviewten sich gegenseitig, lasen Zitate von Überlebenden, Ausstellungstexte und Graffitis ein und hielten v.a. auch die Akustik der heutigen Gedenkorte fest. Dieser Aufgabe maßen die jungen Menschen viel Bedeutung zu, so sagt eine Teilnehmende: „Gut fand ich auch, dass wir wirklich was zu der Ausstellung beitragen konnten." Mit Hilfe dieser Aufnahmen entstehen mehrere Podcasts, die in die zukünftige Ausstellung im Dokumentationszentrum denk.mal Hannoverscher Bahnhof integriert werden.
Sara Elkmann/Sarah Grandke