15.04.2021 Bericht

Erinnerung an die Frauen des Außenlagers Neugraben

Schon seit 1985 gibt es immer am 15. April eine Führung über das Gelände des ehemaligen Neuengammer Frauen-Außenlagers in Neugraben. Berichtet wird über die 500 Frauen jüdischen Glaubens, die hier zur Zwangsarbeit untergebracht waren. Sie waren in Auschwitz selektiert und nach Deutschland verbracht worden. Überwiegend kamen sie ursprünglich aus der damaligen Tschechoslowakei. Unter ihnen waren auch deutsche Frauen, die mit ihren Familien vor den Nazis nach Prag geflüchtet waren. Unter diesen waren auch wenige Hamburgerinnen. Kurz vor Kriegsende wurden die Frauen nach Bergen-Belsen gebracht, wo die überlebenden Frauen am 15. April 1945 von englischen Truppen befreit wurden.

Wie schon im letzten Jahr kann auch 2021 die Führung wegen der Pandemie nicht stattfinden. Aber acht Stolpersteine am Falkenbergsweg, eine Bronzeplatte am Neugrabener Markt, der Gedenkstein auf dem ehemaligen Lagergelände und eine Stele an der Bushaltestelle Neugrabener Heideweg erinnern täglich an das Unrecht, das den Frauen angetan wurde. An diesen Orten kann der Opfer gedacht werden, zum Beispiel, indem Besucher*innen einen kleinen Stein ablegen und einen Augenblick innehalten.

Eine der Hamburgerinnen dieses Außenlagers, die die Zeit von 1933 bis 1945 überlebte und nur ganz selten über das erlittene Unrecht sprach, war Erna Fuchs. Sie wurde 1913 in Hamburg geboren und lebte mit den Eltern und sechs Geschwistern in der Hamburger Neustadt. Ihr Vater war Schneidermeister. Nach dem Schulabschluss war sie bis 1935 als ausgebildete Tänzerin auf Tournee. Dann kam das Berufsverbot für sie und von der „staatlichen Dienstelle für Judeneinsätze“ wurde sie in einem Betrieb in Lokstedt zur Zwangsarbeit eingesetzt. Da die Arbeitszeit um 6 Uhr begann, sie aber keine Verkehrsmittel benutzen durfte, musste sie um 4.15 Uhr das Haus verlassen, um die Arbeitsstelle pünktlich zu Fuß zu erreichen.

Im März 1943 starb die Mutter. Im 13. Deportations-Transport aus Hamburg, der am 9. Juni 1943 die Stadt mit dem Ziel Theresienstadt verließ, waren auch Erna und ihr Vater Philipp Fuchs. Er wurde mit 68 Jahren in Theresienstadt umgebracht. Erna wurde im Dezember 1943 in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und gehörte zu den 1000 Frauen, die in einen Güterzug gezwängt Anfang Juli 1944 das Neuengammer Außenlager im Speicher G am Dessauer Ufer in Hamburg erreichten. Vom Außenlager Dessauer Ufer kam sie in die Außenlager Neugraben und Tiefstack.

Sie konnte einen der Bewacher überreden, ihre Schwester zu benachrichtigen, dass sie wieder in Hamburg ist. Die Schwester konnte immer wieder Kontakt zu Erna aufgenommen und ihr gelegentlich Lebensmittel zustecken und ein paar Worte mit ihr sprechen. Im März 1945 wurde Erna bei der Kontrolle am Lagereingang mit einem kleinen Lebensmittelpaket erwischt. Sie weigerte sich, den Namen des Gebers zu nennen. Der Neugrabener Lagerleiter Kliem peitschte sie daraufhin bis zur Bewusstlosigkeit aus. 

Anfang April wurde das Lager Tiefstack aufgelöst und die Frauen wurden im Güterwagen nach Bergen-Belsen gebracht. Bei einem Halt schafften es ihre Lagerschwestern und eine Bewacherin, Erna zur Flucht zu überreden. Zurück in Hamburg konnte sie sich bei einer Schulfreundin ihrer Schwester bis zur Befreiung am 3. Mai 1945 verstecken. Ihr Ziel war die Auswanderung nach Amerika, wo drei ihrer Geschwister die Nazizeit überlebt hatten. Das wurde durch ihren schlechten Gesundheitszustand verhindert. Sie war 100% erwerbsunfähig und bezog eine kleine monatliche Rente. Erna Fuchs, die ihren Lagerschwestern während der Hamburger Lagerzeit und danach unterstützte, starb im Januar 1996. Seit 2019 erinnert ein Stolperstein in der Seilerstraße an sie. Ein in Amerika lebender Neffe hat ihn und fünf weitere für Familienangehörige setzten lassen.

Heiner Schultz von der Initiative „Gedenken in Harburg

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