30.08.2016 Nachricht

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme trauern um Dr. Henning Voscherau

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat Dr. Henning Voscherau viel zu verdanken. Wir trauern um den ehemaligen Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie und seinen Freunden.

Ohne Henning Voscherau wäre die KZ-Gedenkstätte Neuengamme nicht das, was sie heute ist. Seine Entscheidung zur Schließung und Verlegung des 1948 auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme eingerichteten Gefängnisses, die den Weg freimachte für die Einrichtung einer würdigen Gedenkstätte, war unter Hamburger Politikerinnen und Politikern und in der Bevölkerung nicht unumstritten. Sich der eigenen Geschichte zu stellen, die unrühmliche Rolle Hamburgs nicht nur während des Nationalsozialismus, sondern auch in der Nachkriegszeit zu benennen und hier eine Änderung herbeizuführen, war bis in die 1980er Jahre hinein nicht populär und musste hart erkämpft werden.

Henning Voscherau setzte sich auch gegen die Widerstände im Senat durch, indem er als damaliger Erster Bürgermeister in der ihm eigenen unverstellten und gradlinigen Art anlässlich des 45. Jahrestages des Kriegsendes und der Befreiung der Konzentrationslager vor Hunderten aus Europa und Übersee angereisten Überlebenden des KZ Neuengamme Tatsachen schuf, indem er Folgendes versprach: „Falsch war es, die Justizvollzugsanstalt Vierlande ausgerechnet auf dem ehemaligen Gelände des Lagers einzurichten. [...] Was falsch war, wollen wir so nennen – und endlich ändern. Der Senat und diese Stadt werden die Justizvollzugsanstalt Vierlande verlegen, werden die früheren Gebäude des Konzentrationslagers der Gedenkstätte zurückführen. Das ist nicht Wiedergutmachung, die kann es nicht geben. Es ist das Eingeständnis einer Unzumutbarkeit.“

Er hielt Wort. Unter seinem Vorsitz tagte ab Mai 1991 eine Kommission zur Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Politikerinnen und Politikern auch Überlebende des KZ Neuengamme angehörten. Die Zusammenarbeit mit ihnen schuf persönliche Verbindungen. Zwar sollte es lange dauern, Hürden mussten überwunden werden und die Verlegung der Strafanstalt drohte mehrfach zu scheitern, aber schließlich konnte die neu errichtete KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Mai 2005 als Dokumentations- und Studienzentrum eingeweiht werden. Henning Voscherau war längst kein Bürgermeister mehr, aber er blieb auch nach seinem Rücktritt der Gedenkstätte und vielen Überlebenden des KZ Neuengamme, die er im Rahmen der Beratungen über eine Neugestaltung kennen gelernt hatte, verbunden. Häufig sah man ihn, bescheiden im Hintergrund, als Privatmann Gedenkveranstaltungen besuchen, ein Indiz dafür, wie wichtig ihm dieser Ort geworden war.

Legendär war seine Freundschaft zu Fritz Bringmann, dem langjährigen Generalsekretär der Amicale Internationale KZ Neuengamme. Und auch vielen anderen Überlebenden des KZ Neuengamme, hier seien nur Jean Le Bris und Robert Pinçon genannt, blieb er verbunden. In einer sehr bewegenden Feierstunde verlieh ihm die Amicale française vor zwei Jahren, am 31. Mai 2014, in Würdigung seiner vielen Verdienste um die Bewahrung der Erinnerung und die internationale Verständigung die „Médaille de la déportation“.

Heute nimmt die KZ-Gedenkstätte Neuengamme am historischen Ort einen zentralen Platz in der Erinnerungskultur der Freien und Hansestadt Hamburg ein. Sie ist zu einer Stätte nicht nur der individuellen Trauer und des kollektiven Gedenkens, sondern auch des Lernens und Forschens sowie der historisch-politischen Bildung geworden und wird jährlich von 100 000 Menschen besucht. Ohne Henning Voscherau wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen.

Henning Voscherau wird fehlen. Wir verdanken ihm sehr viel.