06.02.2025 Projekt
Zum Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2025 wurde vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg eine neue Website zum Holocaust in Ungarn und die Deportationen nach Norddeutschland gelauncht. Das Projekt wurde auch von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme unterstützt.
Das von der EU-Kommission geförderte transnationale Projekt „Digitale Gedenk- und Forschungsinfrastruktur – Der Holocaust in Ungarn 80 Jahre später“, hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Namen und biografische Daten der aus dem damalige Ungarn deportierten Jüdinnen und Juden, Roma und Romnja zusammenzutragen. Die Ergebnisse werden auch auf einer neuen Webseite präsentiert: https://holocaust-ungarn-norddeutschland.de
Wissenslücken schließen
Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages erscheint es den beteiligten Forschungs- und Gedenkeinrichtungen wichtig, die Aufmerksamkeit auf „blinde Flecken“ und offene Fragen in der Geschichte zu richten. Weder ist nämlich in der Forschung über Nationalsozialismus und Holocaust „schon alles bekannt“, noch können wir selbstverständlich davon ausgehen, dass die kritische Erinnerung an die NS-Verbrechen als zivilisatorisches Gut dauerhaft gesichert ist. So gibt es auch im Jahr 2025 noch Wissenslücken in Bezug auf die Geschichte des Holocaust und seiner Opfer aus ganz Europa.
Deportationen aus Ungarn
Das von der EU-Kommission im Rahmen des CERV-Programms geförderte transnationale Projekt „Digitale Gedenk- und Forschungsinfrastruktur – Der Holocaust in Ungarn 80 Jahre später (HUNGMEM)“, koordiniert vom Jüdischen Museum und Archiv in Budapest (Ungarn), hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Namen und biografische Daten der 500.000–600.000 deportierten Jüdinnen und Juden, Roma und Romnja aus dem damaligen Ungarn zusammenzutragen. Die Ergebnisse dieses transnationalen Forschungsprojektes fließen in eine gemeinsame Datenbank, die gleichermaßen Forschungs- als auch Gedenkinfrastruktur darstellen soll. Eine unverzichtbare Basis bilden dabei die jahrzehntelangen Recherchen der verschiedenen Gedenkstätten, Archive sowie zahlreicher Einzelforscherinnen und -forscher.
Neue Forschungen aus Hamburg und Niedersachsen
Das Institut für die Geschichte der deutschen Juden hat in enger Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Bergen-Belsen und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme umfangreiche Recherchen in den Sammlungen und Datenbanken der Gedenkstätten und weiterer Archiven durchgeführt. Aufgrund der lückenhaften Überlieferung ist trotz dieser Recherchen keine realistische Schätzung der Gesamtzahl der in die Konzentrationslager Neuengamme und Bergen-Belsen aus Ungarn deportierten Personen möglich. Die Namen vieler Deportierter bleiben unbekannt.
Damit stellen sich gerade in einem Gedenkjahr wie 2025 Fragen nach einem Umgang mit diesen „namenlosen“ Opfern, mit dem nicht (mehr) rekonstruierbaren Wissen und offenen Fragen – Aspekte, die uns wichtig erscheinen, um der Vorstellung einer abgeschlossenen Vergangenheit ohne Gegenwartsbezug entgegenzuwirken und um Gedenken jenseits ritualisierter Formen ernst zu nehmen.
Neue Webseite
Ein erster Ansatz, um die Opfer und ihre Geschichten in Forschung und Gedenken einzuschreiben, ist die vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden herausgegebene Website https://holocaust-ungarn-norddeutschland.de. Auf dieser werden anhand von Fallstudien Schlaglichter auf verschiedene Häftlingsbiographien und -gruppen geworfen und zugleich in der (öffentlichen) Wahrnehmung oftmals vernachlässigte Aspekte wie der Zusammenhang von Deportationen und Kriegsverlauf oder die Sichtbarkeit der Verfolgung im Stadtraum beleuchtet. Die Projektergebnisse verdeutlichen die Potenziale einer internationalen Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen und der Zusammenschau von an unterschiedlichen Orten bewahrten Quellen und Informationen für die Rekonstruktion von Biografien und Deportationsrouten.
Familiengeschichten
Die Ergebnisse sind auch direkt für die betroffenen Familien relevant, von denen viele bis heute über das Schicksal ihrer deportierten Angehörigen im Unklaren sind. Im Fall der ungarischen Journalistin und Schriftstellerin Judit Kárpáti ist es gelungen, im Kontext der Projektkooperation, der Familie Gewissheit über das Schicksal ihres Großvaters László Schächter zu geben. Schächter war 1944 aus Ungarn deportiert worden und anschließend zur Zwangsarbeit in Norddeutschland eingesetzt gewesen. Zunächst in einem Außenlager des KZ Neuengamme interniert, wurde er später nach Bergen-Belsen überstellt, wo er – wie nun herausgefunden werden konnte – Opfer der NS-Gewalt wurde.
Die in Hannover geborene und in Hamburg lebende Gabriela Fenyes, deren Eltern die Deportationen überlebten, sagt: „Dieses Forschungsprojekt hat mich mehr bewegt als viele andere. Das liegt daran, weil Ungarn, das Land meiner Familie, meiner Vorfahren ist. Fast alle wurden deportiert und ermordet. Gerade in dieser Zeit halte ich es für bedeutsam, die deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen historischen Schnittmengen wissenschaftlich und auch persönlich zu vertiefen. Ein Anfang ist mit diesem Projekt auf den Weg gebracht worden.“