23.01.2022 Archivmeldung
Das Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme beherbergt umfangreiches Quellenmaterial zu verschiedenen Themen nationalsozialistischer Verfolgung. Die Sammlung umfasst neben Original-Schriftgut aus der Lagerverwaltung auch Duplikate andernorts verwahrter Dokumente sowie einen bedeutenden Bestand von Nachlässen, Erinnerungsberichten und Interviews. Das Archiv ist damit ein Ort, an dem Forschende und Studierende mit historischen Quellen arbeiten können. Wir stellen hier einige aktuelle Forschungsarbeiten vor, die mithilfe von Dokumenten aus unserem Archiv entstanden sind, sowie einige Beispiele, die zur Bearbeitung anregen.
Mehrere Bachelor- und Master-Arbeiten sind in jüngster Zeit vorgelegt worden, für die Nachwuchswissenschaftler*innen Quellenmaterial des Archivs der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ausgewertet haben. Drei der Qualifizierungsschriften befassen sich mit dem Neuengammer Lagerbordell, das die SS eingerichtet hatte.
Eine weitere Arbeit thematisiert den „Flensburg Death Ship Trial“ der britischen Militärregierung im Jahr 1946: Das Verfahren zog SS-Personal und Funktionshäftlinge für Verbrechen zur Verantwortung, die diese bei den Häftlings-Räumungstransporten per Schiff aus dem KZ Stutthof bei Danzig nach Flensburg verübt hatten. Grundlage war das das 1500-seitige Wortprotokoll der Verhandlungen. Mit Wehrmachtssoldaten im KZ-Dienst hat sich ein weiterer Examenskandidat beschäftigt und dazu eine Reihe von Biographien recherchiert. Das praktische Verhalten der Wehrmachtsangehörigen im Lager wurde - so gut es ging - aus Erinnerungsberichten ehemaliger Häftlinge sowie Justizüberlieferung rekonstruiert: Welche Handlungsspielräume gab es und wie nutzten die Wehrmachtssoldaten sie?
In einer anderen Arbeit geht es um die KZ-Häftlinge, die bei der Befreiung in Hamburger Außenlagern des KZ Neuengamme lebten: Nach der Befreiung fasste die britische Besatzungsmacht die befreiten KZ-Häftlinge, die zivilen Zwangsarbeitskräfte aus den deutsch okkupierten Gebieten sowie die demobilisierten „fremdvölkischen“ Angehörigen der Waffen-SS als „Displaced Persons“ zusammen. Die Kampfverbände der britischen Armee legte eine Art „Inventur“ über die zahlreichen DP-Unterkunftslager im Hamburger Stadtgebiet an und mussten dann die Daseinsvorsorge und Repatriierung organisieren. In der Gedenkstätte liegen Kopien der Diensttagebücher der britischen Armee vor, so dass die Situation in den Unterkünften detailreich dargestellt werden konnte.
Was gäbe es noch zu tun? Unbearbeitet liegen in den Regalen des Neuengammer Archivs etwa die Unterlagen der „Fuhlsbüttel Cases“ II und III der britischen Militärjustiz, in denen es um Verbrechen im Zeitraum zwischen 1936 und 1945 ging. 1936 war das KOLAFU zum Polizeigefängnis umorganisiert, das von Kriminalpolizei und Gestapo genutzt wurde. Die frühe Zeit bis 1936 ist bearbeitet, die Zeit danach bislang noch nicht. Vorhanden ist zudem die Häftlingsdatenbank mit 25.000 Einträgen. Deren Auswertung dürfte sicherlich quantifizierende Einblicke dahingehend geben, gegen welche nationalen, sozialen und ethnischen Gruppen der Inhaftierungsterror gerichtet war, wie groß die jeweilige Opfergruppe war und ob sich Phasen unterschiedlicher Verfolgungsintensität identifizieren lassen. Das umfangreiche Aktenmaterial könnte genutzt werden, um gruppenbiographische Aufschlüsse über das Personal zu gewinnen. Die Akten bieten sicherlich reiches Material zu Fragen der Organisation, der inneren Abläufe, von möglichen Funktionswandelprozessen und schließlich zur Auflösung der Einrichtung. Interessierte sind herzlich eingeladen, sich zu informieren und das Archiv zu besuchen.