15.05.2022 Veranstaltung

Call for Papers für die Tagung: "Fürsorgepolitik und Sozialrassismus im Nationalsozialismus"

Für die Tagung "Fürsorgepolitik und Sozialrassismus im Nationalsozialismus" am 06./07. Oktober 2022 im Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme werden bis zum 18. Juli Referent*innen gesucht. Auf der Tagung werden die Überwachungs-, Disziplinierungs- und Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Fürsorge für die „Volksgemeinschaft“ in den Blick genommen, ihre Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz herausgearbeitet sowie deren Nachwirkungen untersucht.

Im Nationalsozialismus strukturierten eugenische und sozialrassistische Kriterien die Wohlfahrtspflege. Die bereits vor und in der Weimarer Republik praktizierte Unterscheidung von Empfänger*innen staatlicher Sozialleistungen in „würdige“ und „unwürdige“ Hilfsbedürftige erhielt durch den „rassenhygienischen“ Fokus der Fürsorge eine neue Dimension: Der „Volkskörper“ sollte „gereinigt“ und „Minderwertige“ beseitigt werden. Die nationalsozialistische Auffassung von „Asozialität“ und Kriminalität als vererbbare Merkmale begründete eugenische Maßnahmen gegen „Gemeinschaftsfremde“. Immer mehr als „asozial“ Stigmatisierte wurden nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert. Zudem drohten ihnen Entmündigung sowie die Zwangsunterbringung bei Arbeitszwang in Heimen, Arbeitshäusern, geschlossenen „Bewahranstalten“ und Lagern. Fürsorge, Wohlfahrtsanstalten, Jugend-, Arbeits- und Gesundheitsämter arbeiteten bei der Entrechtung der Betroffenen eng mit Polizei und Justiz zusammen. Die Fürsorge nahm somit eine Schlüsselrolle in der Ausgrenzung und Verfolgung von als „asozial“ Stigmatisierten ein. Dabei schrieb sie den Betroffenen eine maßgeblich durch die Kategorie Geschlecht geprägte Devianz zu.

Nach dem „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ konnte die Polizei ab 1937 reichsweit Personen verhaften, die als vermeintliche „Berufsverbrecher“ oder durch angeblich „asoziales Verhalten“ die Allgemeinheit gefährdeten. Sie kamen in polizeiliche „Vorbeugungshaft“ und damit zeitlich unbefristet in Konzentrationslager. Fürsorgebehörden und Arbeitsämter lieferten Namen für Verhaftungsaktionen angeblich „Arbeitsscheuer“ zu. Die Fürsorgebehörden betrachteten die KZ-Haft teils als Möglichkeit, sich kostensparend missliebiger Unterstützungsempfänger*innen und als deviant angesehener Personen zu entledigen. Teils konkurrierten sie mit der Polizei um die Arbeitskraft der Eingewiesenen und Verhafteten.

Die Tagung will die Überwachungs-, Disziplinierungs- und Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Fürsorge für die „Volksgemeinschaft“ in den Blick nehmen, ihre Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz herausarbeiten und deren Nachwirkungen untersuchen.

Insbesondere zu folgenden Aspekten sind Vorträge erwünscht:

  • Begrifflichkeiten, ideologische Vorläufer und Grundlagen der eugenischen bzw. sozialrassistischen Verfolgung
  • Eugenik und Sozialrassismus im System der nationalsozialistischen Fürsorge
  • Die Rolle von Arbeit, Familie, Sexualität, Alter und insbesondere des Geschlechts für die Fürsorge und ihre Bedeutung in der Konstruktion der „Volksgemeinschaft“
  • Fürsorge und Zwangserziehungssysteme im Netzwerk nationalsozialistischer Verfolgungsinstanzen, an dem neben Polizei und Justiz noch eine Vielzahl weiterer Institutionen und Organisationen beteiligt war
  • Überschneidungen der „Asozialen“-Verfolgung mit anderen Strängen der NS-Verfolgungspolitik, darunter das Verhältnis der Verfolgung von „Asozialen“ und „Berufsverbrechern“, die Zwangssterilisationsverfahren, die Verfolgung von Sinti*ze und Rom*nja
  • Die europäische Dimension der Verfolgung von „Asozialen“
  • (Dis-)Kontinuitäten sozialrassistischer NS-Verfolgung, v.a. im Hinblick auf Betroffene, Tatbeteiligte und die Nachnutzung maßgeblicher Fürsorgeeinrichtungen
  • Transgenerationale Folgen der Verfolgung als „asozial“ stigmatisierter Personen
  • Die Verfolgungsgeschichte als „asozial“ Verfolgter in der heutigen Bildungs- und Vermittlungsarbeit vor dem Hintergrund fortdauernder Stigmatisierung und Marginalisierung

Es ist geplant, einzelne Vorträge der Tagung in Heft 5 der Zeitschrift „Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung“ zu veröffentlichen, dessen Erscheinen für den Herbst 2024 vorgesehen ist. Wissenschaftler*innen, die auf der Tagung zu einem der oben umrissenen Themenbereiche einen Beitrag leisten möchten, sind herzlich zur Teilnahme und Mitwirkung eingeladen. Die Vorträge sollen den Charakter von Impulsreferaten haben, an die sich jeweils eine Diskussion anschließt.

Wir bitten alle Interessierten, uns bis spätestens 18. Juli 2022 ein Abstract des geplanten Vortrags (max. 600 Wörter) sowie eine Kurzbiografie an folgende E-Mail-Adresse zu senden: amina.edzards@gedenkstaetten.hamburg.de.

Die Benachrichtigung der ausgewählten Referent*innen erfolgt bis zum 8. August 2022. Für Referent*innen werden die Reise- und Übernachtungskosten übernommen.

Die Tagung wird veranstaltet von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen in Kooperation mit dem Ausstellungsprojekt „Als ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘ verfolgte Menschen im NS“ der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.

Call for Papers

Interessierte können sich bereits jetzt für eine Teilnahme vormerken lassen bei Amina Edzards, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Studienzentrum, Tel.: +49 40 428131 - 522, E-Mail: amina.edzards@gedenkstaetten.hamburg.de