20.11.2017 Bericht

Bericht zur Veranstaltung „30 Jahre nach Giordanos „Die zweite Schuld“

Dr. Isabella Vértes-Schütter, Dr. Lea Wohl von Haselberg, Doğan Akhanlı und Dr. Detlef Garbe diskutierten im Gespräch mit Dr. Susann Lewerenz (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) Herausforderungen für eine kritische Gedächtnisarbeit in der postnationalsozialistischen Gegenwart.

„Jede zweite Schuld setzt eine erste voraus – hier: die Schuld der Deutschen unter Hitler. Die zweite Schuld: die Verdrängung und Verleugnung der ersten nach 1945“, schrieb Ralph Giordano 1987 in seinem Buch „Die zweite Schuld“. Doch wie sieht es heute mit dieser zweiten Schuld aus? Als wie gelungen kann die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit angesehen werden, in Anbetracht aktueller politischer Entwicklungen wie dem NSU-Terror und der Enttabuisierung rassistischer Diskurse? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung, zu der die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, die Geschichtswerkstatt Barmbek und die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von „Die zweite Schuld“ eingeladen hatten.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Dr. Oliver von Wrochem (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) fasste Cornelia Siebeck (Historikerin, Berlin) die Kernthesen von Giordano zusammen und nannte wichtige Eckpunkte seines Lebens. Damit lieferte sie für die 45 interessierten Zuhörer*innen, die sich in dem Vortragsraum der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg eingefunden hatten, den thematischen Einstieg in den Abend.

Anschließend diskutierten Dr. Isabella Vértes-Schütter (Vorstand des Bertini-Preis e.V.), Dr. Lea Wohl von Haselberg (Mitherausgeberin des Magazins „Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart“), Doğan Akhanlı (Schriftsteller, Köln) und Dr. Detlef Garbe (Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme) im Gespräch mit der Moderatorin des Abends Dr. Susann Lewerenz (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) über aktuelle Herausforderungen für eine kritische Gedächtnisarbeit. Angesichts der Konjunktur rechter Gewalt, der NSU-Morde, der Zunahme rassistischer, antisemitischer und sozialdarwinistischer Diskurse, der Sehnsucht nach einem ungebrochenen Verhältnis zu nationaler Geschichte und Identität und schließlich des Einzugs einer rechtsextremen Partei in die Parlamente sei es wichtig, sich unbequemen Fragen zu stellen und in die Gesellschaft aktiv zu intervenieren. Denn die vermeintliche Gewissheit, dass die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit die Gesellschaft demokratischer macht, erscheine zunehmend fragwürdig und habe bei genauerem Hinsehen wenig mit der gesellschaftspolitischen Realität zu tun. Deshalb müsse man Vergangenheit und Gegenwart stärker miteinander verknüpfen und neue, transnationale Perspektiven eröffnen, die auf gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur reagiere, sondern diese auch mitgestaltet.

Bericht von Marje Trescher

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