23.02.2020 Bericht

Bericht über die internationale Tagung „Verfolgung und Deportationen“

Vom 13. bis 14. Februar 2020 fand im KörberForum in Hamburg die internationale Tagung „Verfolgung und Deportationen von 1938 bis 1945 in Europa dokumentieren und ausstellen“ statt. Auf Einladung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Körber-Stiftung sowie der Arolsen Archives trafen dort 140 Ausstellungsmacher*innen und Wissenschaftler*innen von Museen, Gedenkstätten und Forschungseinrichtungen aus mehreren europäischen Ländern und aus Israel zusammen und tauschten sich mit weiteren Interessierten über zeitgemäße Formen der Dokumentation, Ausstellung und Vermittlung von Verfolgung und Deportationen aus.

In sechs unterschiedlichen Panels stellten zwanzig Referent*innen ihre konzeptionellen Zugänge und Entwürfe vor. Im Vordergrund des ersten Panels stand zunächst die Frage, wie die räumlichen Beziehungen von Stadt und Land zu den Deportationsorten sowie das Verhältnis der Deportierten zur Mehrheitsgesellschaft Eingang in eine zeitgemäße Ausstellung finden können. Dazu wurde die transnationale Verflechtung der nationalsozialistischen Verfolgung und Deportationen der Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma und ihre Implikationen auf die Ausstellungskonzeption intensiv diskutiert.

So plädierte beispielsweise die Historikerin PD Dr. Heidemarie Uhl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien für einen mikrohistorischen Ansatz. Individuelle Erfahrungen, Handlungsspielräume und Überlebensstrategien können dabei ebenso dargestellt werden, wie das Verhalten des lokalen NS-Apparats und der Bevölkerung. Für die von ihr kuratierte Ausstellung „Letzte Orte vor der Deportation“ sei deshalb bewusst der Fokus auf das städtische Umfeld als Beginn des Weges in die Vernichtung gewählt worden. Es wurde sich auf die Struktur des Deportationsgeschehens fokussiert und versucht, die (Vor-)Geschichte der Deportation nachzuzeichnen und die Verflechtung der Tat- und Deportationsorte nachvollziehbar zu machen.

Auch Dr. Alina Bothe von der Freien Universität Berlin betonte in ihrer Vorstellung der Ausstellung „Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938. Die Geschichte der ‚Polenaktion‘“ die Chancen eines mikrohistorischen Zugangs für die Sichtbarmachung von Deportationsorten in urbanen Zentren. Dabei verwies sie nicht nur auf die historische Komplexität der „Polenaktion“, die eine Art „Deportation vor den Deportationen“ gewesen sei, sondern diskutierte zudem verschiedene Aspekte historischer, narrativer, ästhetischer sowie semantischer Natur, die die Konzeption der Ausstellung begleiteten. So könne man sechs Familiengeschichten auf drei Erzählebenen (Makrokontext, Familiengeschichte, Vielstimmigkeit) folgen und so ein differenziertes Bild der „Polenaktion“ gewinnen.

Beide Zugänge erwiesen sich als überaus fruchtbar für das von Dr. Oliver von Wrochem vorgestellte Grundkonzept des Projekts „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“. Auch hier sei erklärter Anspruch, am mikrohistorischen Beispiel der Deportationen von Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma aus dem norddeutschen Raum sowohl die Vernetzung der Deportationen mit dem Stadtraum als auch die transnationale Verflechtung zwischen Ausgangs- und Zielort der Deportationen in den Blick zu nehmen. Das Projekt steht unter dem Motto „Vor aller Augen“, womit sowohl die Sichtbarkeit des historischen Geschehens akzentuiert, zugleich aber auch Handlungsspielräume sowohl der Deportierten als auch der Mehrheitsgesellschaft in den Fokus gerückt werden sollen. Dies soll Ausgangspunkt für ein kritisches Verständnis der Makrogeschichte in transnationaler Perspektive sein. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang, ob es tatsächlich um Hin- und Wegschauen oder nicht viel mehr um die breite Zustimmung und das Mitmachen der Bevölkerung gehen müsse, was von Wrochem mit der Formel „Es gab keinen Freiraum der Nicht-Beteiligung“ auf den Nenner brachte.

In diesem Kontext wies Dr. Frank Reuter von der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg im Rahmen der folgenden Podiumsdiskussion auch auf die Parallelität von Verbrechen und Normalität im Nationalsozialismus hin. Um diese ausstellungskonzeptionell einzubinden, müsse gefragt werden, was an den Tagen der Deportationen zeitgleich in den Städten passiert sei. Eine Analyse zeitgenössischer Presseerzeugnisse könnte den Blick hierfür schärfen und zu einem kritischen Verständnis der sozialen Räume der Deportationen beitragen.

Insgesamt waren die Diskussionen in den verschiedenen Panels stark von der Frage getragen, wie NS-Verbrechen in Ausstellungen zeitgemäß dargestellt werden können. So wurde das Ausstellungskonzeptionen zugrunde liegende Spannungsfeld zwischen Präzision und sprachlicher Verständlichkeit eingehend diskutiert. Es bestand bei mehreren Teilnehmenden der Wunsch, für kommende Ausstellungsprojekte verstärkt „Alltagssprache“ zu nutzen um damit ein breiteres Publikum anzusprechen.

Des Weiteren verdeutlichten die verschiedenen Beiträge die Notwendigkeit, komplexe historische Zusammenhänge in Form eines individualisierten Zugangs konkret nachvollziehbar zu machen und dabei auch Gegenstände und Objekte als Bedeutungsträger ernst zu nehmen. Liefe eine Ausstellung nur über einen dezidiert biografischen Zugang, so verhindere die Quellenlage mitunter eine entsprechende Inszenierung. Bartlomiej Grzanka stellte am Beispiel des von ihm betreuten „Museum of the Former German Kulmhof Death Camp in Chelmo on Ner“ die Nutzung von Gegenstandsgeschichten vor, die auch ohne den Bezug auf konkrete Personen einen individuellen Zugang ermöglichten.

Das Ziel der Tagung, Ausstellungsmacher*innen und Wissenschaftler*innen zusammenzubringen und einen intensiven Austausch über eine zeitgenössische Dokumentation und Ausstellung der Deportationen zwischen 1938 und 1945 anzuregen, wurde vollumfänglich erreicht. Spannende Aspekte wie der Einsatz digitaler Medien in Ausstellungen, die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen von Gegenwartsbezügen, die Thematik der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Deportierten und die Frage nach dem Kontakt zwischen den Häftlingen als Teil der transnationalen Verflechtungsgeschichte konnten auf der Tagung lediglich angeschnitten werden. Darauf wies auch Dr. Ljiljana Radonić von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in ihrem Tagungskommentar deutlich hin. Sie stellte heraus, man dürfe nicht der Illusion erliegen, alle Fragen abschließend beantworten zu können. Vielmehr zeichne sich eine gelungene Ausstellung auch dadurch aus, Ambivalenzen auszuhalten und sie – auch in Form offen bleibender Fragen – für das Konzept nutzbar zu machen.

Lennart Onken (KZ-Gedenkstätte Neuengamme)