04.05.2022 Gedenkveranstaltung

Bericht über die Gedenkfeiern zum 77. Jahrestag der Befreiung

In diesem Jahr konnte die Stiftung gemeinsam mit der Amicale Internationale KZ Neuengamme wieder zu Veranstaltungen anlässlich des Jahrestags der Befreiung vor Ort in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einladen. In den letzten Jahren hatten wir zu unserem großen Bedauern aufgrund der Corona-Pandemie keine Gedenkveranstaltungen abhalten (2020) oder keine Gäste in Hamburg willkommen heißen können (2021). Anlässlich des Jahrestags des Kriegsendes und der Befreiung der Konzentrationslager fand in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme neben der zentralen Gedenkfeier am 3. Mai 2022 eine ganze Reihe von Programmpunkten statt.

Kammerkonzert mit Lesung

Den Auftakt bildete am 29. April ein Kammerkonzert mit Lesung in den ehemaligen Produktionshallen der Firma Walther in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Unter dem Motto "Den Nazis eine schallende Ohrfeige versetzen" boten der Schauspieler Roman Knižka und das Bläserquintett Ensemble OPUS 45 eine ausdrucksstarke Collage aus Musik und Literatur dar. Literarische Zeugnisse des Widerstands gegen das NS-Regime wechselten sich ab mit fast vergessenen Werken für Bläserquintette von Komponisten, die zu Opfern der nationalsozialistischen Diktatur und des Holocausts wurden.

Präsentation einer Gedenktafel

Im Jahr 2020 gründeten Angehörige ehemaliger spanischer Häftlinge des KZ Neuengamme den Freundeskreis Amical de Neuengamme. Auf Initiative der Amical und nach einem Entwurf des Bildhauers und Angehörigen Serge Castillo  soll im Gedenkhain der KZ-Gedenktätte ein Denkmal errichtet werden. Am 1. Mai wurden in Gedenken an die spanischen KZ-Häftlinge ein Bronzerelief sowie die Tafel mit der Widmung unter Anwesenheit von 30 Angehörigen der Öffentlichkeit präsentiert. Es sprachen Pedro Villena, Generalkonsul von Spanien in Hamburg, Dr. Martine Letterie, Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme und Balbina Rebollar, Präsidentin der spanischen Amical de Neuengamme.

Zeitzeuginnengespräche

"Die Erinnerungen lassen sich nicht abschütteln". In der Friedrich-Ebert-Stiftung sprach die in Prag geborene Dita Kraus vor mehr als 200 Personen. Als Jugendliche wurde sie mit ihrer jüdischen Familie aus der Tschechoslowakei deportiert und überlebte das Getto Theresienstadt, das Konzentrationslager Auschwitz sowie Frauenaußenlager des KZ Neuengamme in Hamburg, bevor sie aus dem KZ Bergen-Belsen befreit wurde. Dita Kraus sprach mit Ulrike Jensen von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme über die Zeit ihrer Verfolgung, ihr Leben nach dem Überleben, die Weitergabe der Erinnerung in ihrer Familie und ihr Engagement gegen das Vergessen bis heute. 

Geboren und aufgewachsen im nationalsozialistischen Hamburg erlebte Marianne Wilke  als Kind eines jüdisch verfolgten Vaters und einer nichtjüdischen Mutter eine Kindheit ständiger Bedrohung und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Am 2. Mai berichtete sie Jugendlichen auch von Akten der Solidarität in dieser Zeit und legte viel Wert darauf, die jungen Menschen zu ermutigen, kritisch zu sein und Stellung zu beziehen, wenn Unrecht geschieht.

Am 4. Mai hatten Schüler*innen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme die Gelegenheit, mit Helga Melmed und Dita Kraus zu sprechen. Beide überlebten Auschwitz und Außenlager des KZ Neuengamme, berichteten über ihre persönliche Geschichte und stellten sich den Fragen der Jugendlichen.

Ort der Verbundenheit

Auf beeindruckende Weise haben Angehörige ehemaliger KZ-Häftlinge aus den Niederlanden, Spanien, Frankreich, der Ukraine, Polen und Deutschland an ihre Familienmitglieder erinnert. Am "Ort der Verbundenheit" hatten sie die Möglichkeit, ihre selbst gestalteten Plakate zu drucken, zu präsentieren und öffentlich zugänglich zu machen. Auf der Gedenkfeier sprachen – modereriert von Bernhard Esser, ebenfalls ein Angehöriger – Balbina Rebollar, Präsidentin der spanischen Amical de Neuengamme, die ein Plakat für ihren Vater Evaristo Rebollar vorstellte, Yvonne Cossu, Ehrenpräsidentin der französischen Amicale de Neuengamme et de ses Kommandos, die ein Plakat vorstellte für alle diejenigen ehemaligen KZ-Häftlinge, die keine Nachkomm*innen haben, um ihr Andenken zu ehren und Karin van Steeg, Angehörige von 14 niederländischen KZ-Häftlingen, die ihre Aktion Plakate für ehemalige KZ-Häftlinge aus Putten vorstellte.

Gedenkveranstaltung in Neuengamme

Mehrere Hundert Personen kamen ins historische Klinkerwerk auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte, um gemeinsam zum 77. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des KZ Neuengamme zu gedenken. Nach der Begrüßung von Prof. Dr. Detlef Garbe, Vorstand Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, der auch an die im vergangenen Jahr verstorbenen Überlebenden erinnerte, und Dr. Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen der Freien und Hansestadt Hamburg, die über die Bedeutung von Gedenkorten sprach, berichtete die Schoah-Überlebende Helga Melmed in bewegenden Worten von ihren Verfolgungserfahrungen und rief dazu auf, sich zu bilden und es statt mit Hass besser mit Liebe zu versuchen.

Stimmen aus der Ukraine und der russischen sowie belarusischen Diaspora gegen den Krieg wurden vorgetragen, bevor Dr. Jean-Michel Clère, Präsident der Amicale de Neuengamme et de ses Kommandos (Frankreich) die aktuelle Lage reflektierte und aufforderte, die wirkmächtige Botschaft der Überlebenden anzunehmen, niemals zu vergessen, um künftige Kriege zu verhindern. Aleksandar Bančić (Kroatien) sprach im Dialog mit Natascha Höhn vom Projekt #Waswillstdutun über seinen Großvater Josip Bančić, der im Neuengammer Außenlager Spaldingstraße starb, und darüber, welchen Einfluss dessen Geschichte auf sein eigenes Leben hat, unbesehen davon, dass er nie die Chance hatte, ihn kennenzulernen. Der Neue Chor Hamburg begleitete die Veranstaltung musikalisch.

Die Aufzeichnung der Gedenkfeier ist hier abrufbar (Untertitel deutsch, englisch, französisch werden zeitnah ergänzt).

Im Anschluss wurden am internationalen Mahnmal der Gedenkstätte Kränze und Blumen niedergelegt.

Reden Speeches Discours Przemówienia Toespraken Talerne Выступления Discursos

Gedenken in Neustadt (Holstein)

Anlässlich des 77. Jahrestages der Bombardierung der KZ-Schiffe in der Neustädter Bucht durch die Britische Royal Air Force fanden verschiedene Veranstaltungen der Amicale Internationale KZ Neuengamme (AIN) in Neustadt in Holstein statt. Am 2. Mai sprachen auf einer Podiumsveranstaltung Prof. Bill Niven, der einen kritischen Blick auf die britische Erinnerungskultur warf, Kristof van Mierop von der belgischen Amicale und Françoise Plaza-Carlstroem von der französischen Amicale, die Einblicke in das verschiedenartige Schweigen über die Verfolgung ihrer Verwandten in ihren jeweiligen Familien gaben. Auf der Gedenkveranstaltung am 3. Mai am Cap-Arcona-Ehrenmal sprachen nach den Grußworten von Kirsten Eickhoff-Weber, erste Landtagsvizepräsidentin Schleswig-Holsteins, Sönke Sela, Bürgervorsteher der Stadt Neustadt in Holstein sowie Dr. Martine Letterie, Präsidentin Amicale Internationale KZ Neuengamme, Magda Wajsen, Enkelin von Kazimierz Wajsen, Überlebender der "Athen" und Bernard Jeune, Sohn von Eugène Jeune, der auf der "Cap Arcona" starb. Schüler*innen des Küstengymnasiums beteiligten sich mit einem Beitrag, ehe die Veranstaltung mit einem Kaddisch beendet wurde. Diese Veranstaltung stellte die Stadt Neustadt als Livestream zur Verfügung. Im Anschluss bestand für Familienangehörige die Möglichkeit zu einer Schifffahrt zu den Untergangsstellen der Schiffe.

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Filmvorführung

Das Programm endete am 4. Mai, 19.00 Uhr mit dem Film „Das Zelig“. Das Café Zelig ist ein jüdisches Begegnungscafé in München, in dem sich Schoah-Überlebende regelmäßig treffen. Unter ihnen mit Natan Grossmann auch ein ehemaliger Häftling des KZ Neuengamme, der zur Kinovorführung und einem anschließenden Gespräch mit der Filmemacherin Tanja Cummings im Abaton-Kino anwesend war.