Digital Memory : Neue Perspektiven für die Erinnerungsarbeit

Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung, Band 4
Herausgegeben von: Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland
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Beschreibung

 

Thomas Lutz
Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Vernetzung der Gedenkstätten aufgrund der zunehmenden Digitalisierung
Mit der Verfügbarkeit von Personal Computern in den 1980er-Jahren hat auch in Gedenk- und Dokumentationsstätten zu NS-Verbrechen die Digitalisierung eingesetzt. Zunächst wurden Dokumente gelistet, Datenbanken mit Häftlingsverzeichnissen angelegt und Bibliotheksbestände digital erfasst. Später haben digitale Anwendungen in den Ausstellungen Einzug gehalten, um vertiefende Informationen zur Verfügung zu stellen und vor allem die historischen Entwicklungen und die Topografie besser verständlich zu machen. Möglichkeiten der digitalen Kommunikation werden sowohl in der internen Kommunikation als auch im Kontakt mit Besuchenden immer stärker genutzt. Zunehmend finden diese Dialoge über soziale Medien statt. Gedenkstätten fokussieren ihre historische Erzählung auf den historischen Ort. Bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten sind daher Konzepte zu entwickeln, wie die Aura der Orte besser
dargestellt werden kann und wie Interessierte und Besuchende Zusammenhänge besser begreifen und idealerweise selbst tätig werden können. Der Aufsatz schildert Beispiele für die Nutzung digitaler Anwendungen in den Gedenk- und Dokumentationsstätten und erörtert Möglichkeiten und Grenzen der zunehmenden Digitalisierung vor dem Hintergrund des besonderen Charakters der historischen Verbrechensorte.

 

Steffi de Jong
Zeitreisen nach Auschwitz. Die Veränderung des Holocaustgedenkens durch Virtual Reality
Virtual Reality (VR) etabliert sich zurzeit als neues Medium der Erinnerung an den Holocaust. Der Aufsatz analysiert sechs VR-Anwendungen, die digitale Zeitreisen in ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager erlauben. Solche VR-Anwendungen, so die These, stehen am Anfang einer digital-somatischen Phase der Holocausterinnerung. In dieser Phase werden immersive digitale Medien dazu genutzt, um eine physische und emotionale Präsenz in der virtuell dargestellten, vergangenen Realität zu simulieren. Indem die Nutzer:innen dieser VR-Anwendungen digital in die Rolle von Zeitzeug:innen versetzt werden, definiert diese Art der Präsenz sowohl das Verständnis einer Zeugenschaft des Holocaust als auch ihre Praxis neu. Dabei rekurrieren die VR-Anwendungen auf ein Bedürfnis nach Unmittelbarkeit, das die Holocausterinnerung seit 1945 prägt, sowie auf die Vorstellung von VR als einer »Empathie-Maschine«. Empathie wird dabei sehr eng als Spiegelung von Gefühlen und Erfahrungen verstanden. Der Aufsatz argumentiert deshalb, dass sich zukünftige VR-Anwendungen für die Holocausterinnerung eines umfassenderen, komplexeren Empathiebegriffs bedienen sollten, der die sozialen, ethnischen und historischen Unterschiede zwischen Individuen hervorhebt, statt sie zu verschleiern.

 

Felix Zimmermann
Vergangenheitsatmosphären als Herausforderung für KZ-Gedenkstätten und digitale Spiele. Erlebnis, Kognition und das Potenzial atmosphärischer Störungen
Der Aufsatz versteht sich als Beitrag zu einer Debatte um Potenziale und Risiken einer erlebnisorientierten Geschichtskultur und deren Einfluss auf eine gegenwärtige Erinnerungskultur.
Es wird argumentiert, dass sowohl KZ-Gedenkstätten als auch digitale Spiele vor der Herausforderung stehen, sich im Spannungsfeld von Erlebnis und Kognition zu positionieren. KZ-Gedenkstätten werden gemeinhin eher aufseiten der Kognition verortet, also einer bewussten, reflektierten Auseinandersetzung mit Vergangenheit, da eine Erlebnisorientierung der Schwere des Holocaust zuwiderlaufe. Das digitale Spiel wiederum gilt vielen als Speerspitze einer solchen erlebnisorientierten Erinnerungskultur und damit als ungeeignet für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Holocaust. Ausgehend von einer zentralen Dimension der Erinnerungskultur – der Räumlichkeit der Orte der ehemaligen Konzentrationslager
– versucht der Aufsatz, eine Verbindungslinie zwischen KZ-Gedenkstätten und digitalen Spielen zu ziehen. Zentrale These ist, dass sich KZ-Gedenkstätten ebenso wie digitale Spiele an »Vergangenheitsatmosphären« abarbeiten, die mit einer spezifischen Unmittelbarkeit im Sinne eines Eintauchens in die Vergangenheit assoziiert sind. Gedenkstättenpraktiker:innen und Spieleentwickler:innen gehen mit diesem Phänomen unterschiedlich um: Während digitale Spiele vielfach nach brechungsfreien, nicht gestörten Vergangenheitsatmosphären und der Illusion vergangener Wirklichkeit streben, sind in KZ-Gedenkstätten atmosphärische Störungen alltäglich. Diese Unterscheidung ist allerdings nicht mehr trennscharf möglich, da sich KZ-Gedenkstätten und digitale Spiele in ihrem Umgang mit Täterorten zunehmend annähern. Darin liegt großes Potenzial für eine zukunftsorientierte Erinnerungskultur.

 

Mykola Makhortykh, Aleksandra Urman, Roberto Ulloa and Juhi Kulshrestha
Kann sich ein Algorithmus an den Holocaust erinnern? Eine vergleichende Algorithmenanalyse Holocaust-bezogener Informationen in Suchmaschinen
Der Aufsatz erörtert die immer größere Rolle algorithmischer Systeme, wie z. B. Internetsuchmaschinen, im Kontext der Erinnerung an den Holocaust. Während diese Systeme für die Bewältigung der Informationsflut unerlässlich sind und den Nutzer:innen helfen, sich in der Fülle der Holocaust-bezogenen Inhalte zurechtzufinden, gibt ihre Auswirkung auf die Erinnerung an den Holocaust wegen häufiger Intransparenz und aufgrund des Potenzials für systematische und nicht systematische Fehlleistungen Anlass zur Sorge. Um besser zu verstehen, wie Suchalgorithmen mit der Erinnerung an den Holocaust verfahren, wird mit einer auf einem virtuellen Agenten basierenden Algorithmenanalyse die Darstellung des Holocaust als Antwort auf Suchanfragen in lateinischer und kyrillischer Schrift in vier großen Suchmaschinen untersucht. Das Interesse am Vergleich von Suchanfragen in lateinischer und kyrillischer Schrift steht im Zusammenhang mit in früheren Untersuchungen festgestellten erheblichen Unterschieden in der Qualität von Suchergebnissen in Bezug auf Bildmaterial zum Holocaust. Die Ergebnisse zeigen, dass die einzelnen Suchmaschinen dazu neigen, verschiedene Arten von Quellen zu bevorzugen (z. B. journalistische Medien, Nachschlagewerke und Bildungswebsites), sich aber meist auf Materialien konzentrieren, die einen allgemeinen Überblick über den Holocaust geben. In dem Aufsatz werden auch mehrere beunruhigende Aspekte der algorithmischen Behandlung von Informationen zum Holocaust vorgestellt, insbesondere die Tendenz einiger Suchmaschinen, bei Abfragen in kyrillischer Schrift Materialien zu bevorzugen, die die Leugnung des Holocaust unterstützen, sowie die erheblichen Unterschiede in der Darstellungsweise, wie verschiedene Suchmaschinen den  Holocaust abbilden.

 

Martina Staats
Digitale Vermittlungselemente in der Dauerausstellung der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel
Die Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wolfenbüttel erinnert an die Rolle der Justiz in der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Mordpolitik, insbesondere an die im Strafgefängnis Wolfenbüttel Inhaftierten und Hingerichteten. Sie besteht heute aus zwei Bereichen: Zum einen sind dies innerhalb der JVA die historischen Orte – ehemalige Haftzellen und das Hinrichtungsgebäude – mit einer multimedialen Lernumgebung, zum anderen ist es das über einen Durchbruch in der Gefängnismauer frei zugängliche Dokumentationszentrum mit Dauerausstellung. Bei der didaktischen Konzeption der Dauerausstellung war zu klären, ob und mit welchen Zielen digitale Vermittlungselemente eingesetzt werden sollen. Die realisierten digitalen Vermittlungselemente eröffnen den Besucher:innen weitere Zugänge und machen zusätzliche Informationen verfügbar, vermitteln im Zusammenhang mit den Objekten Geschichte in Erzählform und erzeugen gegebenenfalls auch Spannung und wecken so Interesse. Sie ermöglichen darüber hinaus einen Einblick in die nicht spontan, sondern nur nach Voranmeldung zugänglichen historischen Orte. Eine interaktive Installation an einem historischen Modell des Strafgefängnisses mithilfe einer Augmented-Reality-Anwendung auf Tablets, das faksimilierte Hinrichtungsbuch als Interface für eine interaktive Medieninstallation mit einer Wandprojektion ergänzender Angaben zu Hingerichteten und ein auf Schienen laufender Medienschlitten – ein seitlich verfahrbarer Monitor zur Darstellung tiefender Informationen – an einer Vitrine mit Objekten zur Geschichte der Gedenkstätte werden in dem Aufsatz im Einzelnen vorgestellt. Abschließend werden Möglichkeiten und Chancen, aber auch Herausforderungen, die die digitalen Elemente bieten, beschrieben.

 

Henning Borggräfe
#everynamecounts. Die Digitalisierung der Arolsen Archives und die Erinnerung an die NS-Verbrechen im 21. Jahrhundert
Basierend auf praktischen Erfahrungen und Beobachtungen im Feld behandelt der Aufsatz Wege und Herausforderungen der Digitalisierung und der Zugänglichmachung von  personenbezogenen Sammlungen zu den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung. Im ersten Teil steht dabei die durch die Tätigkeit des Internationalen Suchdienstes seit der frühen Nachkriegszeit entstandene Sammlung der Arolsen Archives im Fokus. Die mehr als 30 Millionen Dokumente sind bereits weitgehend gescannt und im Internet veröffentlicht. Aktuell  werden die Daten tiefer erschlossen. Dies geschieht auch über ein Crowdsourcing-Projekt, #everynamecounts, das im zweiten Teil des Aufsatzes mit einem besonderen Fokus auf den  Nutzer:innen und ihrer Beteiligung diskutiert wird. Der dritte Teil behandelt zum einen Aspekte der Partizipation an digitalen Erinnerungsangeboten, zum anderen Fragen der automatisierten Narration von Lebenswegen, die auf Basis der Datenerfassung von Sammlungen einerseits immer besser möglich wird, andererseits aber auch spezifische neue  Schwierigkeiten mit sich bringt. Das Fazit beleuchtet daraus erwachsende Herausforderungen für die digitale Erinnerung an die NS-Verbrechen im 21. Jahrhundert.

 

Karola Fings
»Voices of the Victims«. Eine virtuelle Gegenerzählung
»Voices of the Victims« ist eine in den Sprachen Deutsch, Englisch und Romanes präsentierte digitale Edition, die erstmals die Geschichte des NS-Völkermords an den Sinti:ze und Rom:nja in seiner europäischen Dimension ausschließlich aus der Perspektive der Betroffenen erzählt. Die Fokussierung auf schriftliche Selbstzeugnisse ist ein Mittel, um der nach 1945  vorherrschenden Marginalisierung und Delegitimierung der Stimmen der Überlebenden entgegenzuwirken. Sinti:ze und Rom:nja waren, dies veranschaulichen die 60 Zeugnisse der Edition, die für 20 Länder zusammengetragen, transkribiert, übersetzt und kontextualisiert wurden, keine sprachlosen Opfer. Sie haben sich sowohl im Angesicht der Verfolgung als auch unmittelbar nach der Befreiung auf vielfältige Weise zu Verfolgung und Völkermord zu Wort gemeldet. Mit den in den Jahren 1938 bis 1952 entstandenen Zeugnissen der Edition werden Individualität, Heterogenität und Agency der Verfolgten sichtbar. Jede Quelle ist mit einer Audioaufnahme auch hörbar gemacht, um Sinti:ze und Rom:nja nicht als stumme Opfer zu zeigen und ihren nach 1945 marginalisierten Stimmen Gewicht zu verleihen. Die Edition »Voices of the Victims« ist eine von zehn kuratierten Sektionen der mehrfach ausgezeichneten Website »RomArchive«,  eines von 2015 bis 2019 realisierten digitalen Archivs der Sinti:ze und Rom:nja, das hegemonialer Fremdbestimmung eine diversitätsorientierte und rassismuskritische Selbstrepräsentation entgegensetzt.

 

Swenja Granzow-Rauwald und Natascha Höhn
Das Multimediaprojekt #WaswillstDutun? Digitale Angebote zu Familiengeschichten während des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges
Ausgehend von den Erfahrungen des 2020 bis 2022 durchgeführten Multimediaprojekts #WaswillstDutun? der KZ-Gedenkstätte Neuengamme befasst sich der Aufsatz mit Potenzialen und Hürden digitaler Angebote zu Familiengeschichten während der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Bedingt durch die Einschränkungen aufgrund der  Coronapandemie mussten Interviews, Workshops, Begegnungen und öffentliche Projektveranstaltungen überwiegend in den digitalen Raum verlegt werden. Trotz begrenzten Finanz- und Zeitbudgets konnten dadurch mehr Interviews mit Nachkomm:innen von NS-Verfolgten und mit Studierenden zu ihren Familiengeschichten sowie pädagogische Angebote und öffentliche  Veranstaltungen als ursprünglich geplant realisiert werden. Allerdings benötigen digitale Angebote wegen der eingeschränkten Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation und eines informellen Austauschs eine intensivere Moderation und einen gut strukturierten Ablauf. Digitale Formate bergen zudem die Gefahr von Störungen durch technische Probleme. Mit den digitalen Angeboten war es jedoch einerseits möglich, neue Zielgruppen und ein breiteres, überregionales und internationales Publikum zu erreichen, da eine Teilnahme z. B. sowohl für körperlich eingeschränkte Personen als auch durch den Wegfall gegebenenfalls beschwerlicher An- und Abreisen leichter ist. Andererseits besteht auch ein Ausschließungspotenzial, da digitale Veranstaltungsangebote für Menschen ohne die erforderliche technische Ausstattung und das nötige Know-how schlechter zugänglich sind.

 

Tobias Ebbrecht-Hartmann
Hashtags, Stories, Videomemes. Die Erinnerung an den Holocaust auf TikTok und Instagram
Der Aufsatz beschäftigt sich mit der Präsenz historischer Themen und mit verschiedenen Formen des Erinnerns auf sozialen Medienplattformen am Beispiel von NS-Geschichte und Holocaust-Erinnerung. In Soziale-Medien-Umgebungen wird die Vergangenheit zu einem Teil der Gegenwart, indem sie zum Bestandteil eines technologisch und kuratorisch generierten Gefüges wird. Dies gilt insbesondere für Plattformen und Medienumgebungen, die vor allem mit Bildern operieren und auf visueller Kommunikation basieren. Der Aufsatz konzentriert sich daher auf TikTok und Instagram und auf die dort vorherrschenden Text-Bild-Kompositionen und Videomemes als Formen der Erinnerung in sozialen Netzwerken. Neben dem Modus des Präsentischen, der die Erinnerungsbilder und Geschichtsvideos in ein relationales Geflecht von gegenwarts- und oft selbstbezogenen Alltagsdokumentationen einbettet, sind für das Erinnern auf sozialen Medien weitere mediale Eigenschaften typisch: der Segmentcharakter von Postings, die immer fragmentarisch, unabgeschlossen und an andere Posts anschlussfähig sind, Hashtags als Form der Kombination solcher Segmente, die zur Herstellung von virtuellen Erinnerungsräumen führen kann, und die multimodale Struktur von Postings und Videos. Davon ausgehend werden das Potenzial sozialer Medienkommunikation über Geschichte und Erinnerung untersucht und deren Ästhetik und Adressierungsformen von einer medienhistoriografisch informierten Perspektive aus neu betrachtet und einer Revision unterzogen. Im Zentrum steht die Frage, wie sich Ästhetiken und Praktiken sozialer Medien zu Formen der Geschichtsschreibung verhalten, die ihrerseits immer bereits medial vermittelt sind. Erinnern auf sozialen Medien ist heute vor allem eine partizipative Praxis. Selbst dort, wo rituelle Formen des Gedenkens auf den Plattformen reproduziert werden, entstehen neue Verbindungen und Deutungen, die aufgegriffen, anverwandelt, aktualisiert – und unter Umständen auch entstellt werden können. Zwar haben unterschiedliche Akteur:innen auf sozialen Medien unterschiedliche Reichweiten, dennoch schaffen gerade Plattformen wie TikTok auch für User-generated-Content jenseits etablierter Institutionen größere Sichtbarkeit und bieten damit die Möglichkeit, Erinnerung aktiv mitzugestalten.

 

Pia Schlechter
Zeigen, Anprangern, Verhandeln. Eine intersektionale Perspektive auf den Diskurs um Selfies in KZ-Gedenkstätten
In den Debatten um Selfies an Holocaustgedenkorten und in KZ-Gedenkstätten wird vielen Selfiemachenden, insbesondere Angehörigen der jungen Generation, abgesprochen, »richtig« zu erinnern, und unterstellt, die Erinnerungsorte respektlos, narzisstisch und geschichtsvergessen als Fotokulissen zu missbrauchen. Der Aufsatz untersucht den Diskurs im Verlauf der 2010er- Jahre über die (Un-)Angemessenheit von Selfies, die in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und am Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin entstanden sind. Die Grundlage
bilden Onlineartikel von Zeitungen aus Deutschland, den USA und Israel. Wurden Selfies an Holocaustgedenkorten zunächst als positive neue Form der Erinnerung in Kunstausstellungen und Blogs gezeigt, erfuhren sie ab 2012, nachdem sie im Internet viral verbreitet wurden, jedoch heftige öffentliche Kritik. Ab etwa 2015 ist das Phänomen Gegenstand der Forschung. KZ-Gedenkstätten setzen Selfies inzwischen in ihrer Vermittlungsarbeit ein. Selfies und Social Media bieten das Potenzial, Erinnerungskultur neu zu verhandeln. Der Diskurs wird mit einer intersektionalen Perspektive unter Berücksichtigung der Kategorien Geschlecht, Sexualität, Alter, Religion und Nationalität untersucht. Es wird aufgezeigt, dass im Absprechen einer »richtigen« Form der Erinnerung Ausschlüsse der Selfiemachenden aus einem hegemonialen Erinnerungskollektiv produziert werden.

 

Christian Günther und Jan Schenck
Gedenkstätten auf Twitter. Eine Datenanalyse von Social-Media-Kampagnen
2018 haben Gedenk- und Dokumentationsstätten zu NS-Verbrechen begonnen, sich auf Twitter über Hashtags zu bestimmten Anlässen zu vernetzen, um so gemeinsam Bildungsarbeit zu leisten. Der Aufsatz analysiert die gemeinsamen Kampagnen #NSGedenken (2018), #75Befreiung (2020) und #GeschichtenDerBefreiung (2021) unter der Fragestellung, wie sich die  Teilnahme an ihnen in den jeweiligen Verläufen der Kampagne entwickelt hat. Der Datenerhebung lag ein Korpus von Tweets aus den drei Kampagnen zugrunde. Ausgewertet wurden je Kampagne die Gesamtzahlen der Tweets, Retweets, Replys, Likes und Quotes sowie Follower:innen derjenigen beteiligten Accounts, die mit mindestens sechs Tweets als »stärker beteiligt« eingestuft wurden. Aus der Auswertung lassen sich in Hinblick auf die Social-Media-Strategien von Gedenkstätten einerseits nur begrenzt Aussagen treffen. So kann z. B. eine kontinuierliche Beteiligung an der Kampagne eines Accounts mit wenig Follower:innen die Reichweite einer Institution mit vielen Follower:innen erreichen, wobei sich die Wahrnehmung auffällig überproportional auf sehr wenige Tweets bzw. Hashtags verdichtet. Zudem deuten die Ergebnisse der Erhebung darauf hin, dass die Kampagnen schnell an Aufmerksamkeit verloren haben. Die generierten Daten führen andererseits jedoch zu weiterführenden Fragestellungen, deren Beantwortung die Analyse und den Vergleich einzelner Accounts erfordern würde.

 

Alexandra Reuter
Das erinnerungskulturelle Phänomen Anne Frank auf Instagram
Der Aufsatz untersucht die Darstellung und Rezeption des erinnerungskulturellen Phänomens Anne Frank auf der Social-Media-Plattform Instagram und geht der Frage nach, ob und wie konventionelle Geschichtsbilder und -narrative auf Instagram reproduziert werden. Die Grounded Theory nach Barney Glaser und Anselm Strauss dient dabei als methodische Grundlage zur Analyse exemplarischer Beiträge von zwei institutionellen Accounts, dem Account des Anne Frank Hauses in Amsterdam und des US-amerikanischen Anne Frank Center for Mutual Respect in New York, und von drei privaten Accounts sowie von Kommentaren. Die Untersuchung zeigt, dass erinnerungskulturelle Inhalte auf Instagram vornehmlich im  medienspezifischen Modus sogenannter Erinnerungsbeiträge erfolgen. Dabei reproduzieren sowohl institutionelle als auch private Accounts Visualisierungs- und Rezeptionsmuster, die maßgeblich auf Prägungen in der Popularisierungsgeschichte Anne Franks und ihres Tagebuchs zurückgeführt werden können. Traditionelle Geschichtsbilder und Erinnerungsnarrative
werden dabei nicht nur medienspezifisch reproduziert, sondern durch die Anpassung an die Medienlogik von Instagram auch transformiert. Historische Erinnerungsstätten wie das Anne Frank Haus oder das KZ Bergen-Belsen werden hierbei Teil einer auch auf Instagram populären Verehrung Anne Franks.

Details

Artikelnummer
504
ISBN
978-3-8353-5365-7
Jahr
2023
Sprachen
Deutsch