07.12.2020 Projekt

Seminar-Zyklus Places of Violence, Places of Learning

Wie werden ehemalige Gewaltorte zu Orten historisch-politischer Bildung? Welche Herausforderungen und Probleme, aber auch Chancen und Neuerungen bietet die Umwandlung ehemaliger Täterorte zu Gedenkorten? Und gibt es unterschiedliche Herausforderungen in verschiedenen Ländern? Diese und andere Fragen diskutieren wir zurzeit in einem tri-nationalen Seminarzyklus mit Multiplikator*innen aus Albanien, Frankreich und Deutschland.

Ziel von „Places of violence, places of learning“ ist neben dem Kennenlernen der Orte und ihren jeweils spezifischen historisch-politischen Kontexten die Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten im Zuge der Entwicklung zu Gedenkorten sowie die Reflektion zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Beteiligte Institutionen und Organisationen sind die Crossborder factory (Berlin), die KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hamburg), das Memorial National de la Prison de Montluc (Lyon) und die Organisation Cultural Heritage without Borders Albania (Tirana), der Zyklus findet statt im Rahmen der Südosteuropa-Initiative des Deutsch-Französischen Jugendwerks und Memory Lab (transeuropäische Austauschplattform zu Geschichte und Gedenken). Die Seminarsprache ist Englisch.

Geplant waren drei Seminare in Hamburg, Tirana und Lyon, in denen wir uns gemeinsam mit der Geschichte des jeweiligen Ortes, seiner Entwicklung zu einer Gedenkstätte, innovativen Formen der Vermittlung und damit verbunden Überlegungen zu digitalen pädagogischen Formaten beschäftigen wollten. Im Mittelpunkt sollten die Besuche der historischen Orte stehen: der Gedenkstätte am Ort des ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslagers Neuengamme in Hamburg, des ehemaligen Militärgefängnisses Montluc in Lyon, in dem im Zweiten Weltkrieg u.a. mehrere Tausend französische Widerstandskämpfer*innen sowie Juden und Jüdinnen inhaftiert waren, sowie des ehemaligen Gefängnisses Spaç im Norden Albaniens, in dem während der kommunistischen Herrschaft zwischen 1968 und 1991 Regimegegner*innengefangen gehalten wurden.

Durch die Corona-Pandemie änderte sich das geplante Setting. Die Reise nach Hamburg wurde für die albanischen und französischen Teilnehmenden unmöglich. So wurde eine Online-Plattform eingerichtet. Wir nutzten nicht nur Zoom (für Plenum und Break-out-sessions), sondern auf Microsoft Teams wurde darüber hinaus eine Pinnwand eingerichtet, auf der sich alle Teilnehmenden mit Foto und kurzer Vita vorstellen konnten, sowie das virtuelle „Café Hamburg“ als Ort für informelle Treffen erstellt. Obwohl einzelne Teilnehmende immer mal Probleme mit dem Internet oder einzelnen Zugängen hatten, lief die technische Seite durchgehend zufriedenstellend, u.a. auch deswegen, weil Mitarbeiter der crossborder-factory für Rückfragen und Hilfe zur Verfügung standen.

Hamburg

Das erste Seminar in Hamburg im Oktober 2020 fand also digital statt. Nach Inputs u.a. zur deutschen Erinnerungskultur besuchte die Gruppe der in Deutschland lebenden Teilnehmenden die Orte, die ursprünglich von allen gemeinsam hatten besucht werden sollen, und stellte sie den albanischen und französischen Teilnehmenden per Livestream vor: die ehemaligen Außenlager des KZ Neuengamme am Dessauer Ufer (Initiative Dessauer Ufer) und am Bullenhuser Damm (Gedenkstätte Bullenhuser Damm), das ehemalige KZ Neuengamme (www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de) sowie den Ort, an dem der türkisch-stämmige Kaufmann Süleyman Tasköprü 2001 vom so genannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet wurde (Gedenkstein für die Opfer des NSU).

Evaluation

Obwohl es schade war, dass die albanischen und französischen Teilnehmenden nicht nach Hamburg reisen konnten, überwogen am Ende des Seminars die positiven Rückmeldungen und die Freude darüber, zu einer Gruppe zusammengewachsen zu sein, obwohl die persönliche Begegnung auf den virtuellen Raum beschränkt bleiben musste:

Das Seminar hat mir gezeigt, dass viele, die in diesem Bereich arbeiten, sehr viel persönliches Engagement zeigen, und das hat mich berührt.

Die Gruppe ist fantastisch. Sie ist die perfekte Mischung aus nett und freundlich sowie neugierig und klug und engagiert. Ich mag die Gruppe sehr und freue mich auf ein Wiedersehen.

Ich war von der Reaktion der Gruppe bewegt, als wir die digitale Tour in der Gedenkstätte für die Kinder hatten. Die Intensität der Reaktion der Gruppe war überwältigend.

Als uns mitgeteilt wurde, dass das erste Seminar online sein würde, war ich sehr skeptisch, was seine Wirksamkeit betrifft, aber was in der Hamburger Woche geschah, übertraf meine Erwartungen. Eine besondere Anerkennung für all das Engagement des Hamburger Teams, ich glaube, sie haben das Maximum gegeben!

Der bewegendste Moment war für mich der Besuch der Gedenkstätte für Süleyman Tasköprü und die Geschichte des Sterns, den seine Familie für ihn vor der offiziellen Gedenkstätte aufgestellt hat.

Ich war sehr beeindruckt von dem Engagement der Hamburger Teilnehmer*innen und dem Niveau der Reflexionen, die sie in ihren Besuch eingebracht haben. Besonders gefallen haben mir die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu den in Hamburg verübten rassistischen Straftaten. Ich fand es sehr lehrreich, wie ein Land über seine tieferen Angelegenheiten nachdenken kann. Ich habe das Gefühl, dass Frankreich in diesem Teil meist versagt, und ich fand es wirklich inspirierend, das zu sehen. 

In der Hoffnung, alle gemeinsam im Herbst 2021 nach Albanien und im Frühjahr 2022 nach Frankreich reisen zu können, endete das erste Seminar mit der Bildung verschiedener Kleingruppen, die sich in der Zwischenzeit online zu bestimmten Themen austauschen wollen. Diese sind

  • Die Funktion von Gedenkstätten
  • Jugendliche und Erinnerungsarbeit
  • Noch nicht existierende Erinnerungsorte,
  • Die Verknüpfung der Vergangenheit mit aktuellen Konflikten und Verbrechen

So kann der gute Kontakt, der sich untereinander entwickelt hat, auch über die zeitliche Distanz aufrecht erhalten werden und der inhaltliche Austausch weitergehen. Erste dieser Kleingruppen haben sich mittlerweile bereits online getroffen.

Bericht von Ulrike Jensen