27.08.2018 Bericht

Mein Jahr als Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

Dieses Jahr ging wirklich schnell vorbei. So viel ist passiert und es fühlt sich an, als wäre ich gerade erst angekommen. Zu Beginn des Frühlings erhielten Daria, die auch Freiwillige in der Gedenkstätte ist, und ich Fahrräder. Seitdem habe ich eine wunderschöne Radstrecke entdeckt, die uns von unserer Bergedorfer Wohnung bis zur Gedenkstätte führt - es ist der ehemalige Marschbahndamm, eine vormalige Zugstrecke, heute ein Radweg durch Land und Weide. Diese 22 Minuten, die ich täglich mit dem Rad fahre, sind zu einer wertvollen Ergänzung meines Tages geworden, die mir Kraft gibt für die tägliche Arbeit.

Meine Tage haben mehr Routine bekommen, wenn man das so sagen kann, denn als Freiwillige zu arbeiten heißt immer, neue Aufgaben zu entdecken und neue Ideen zu erhalten. Ich fahre mit dem Rad zur Arbeit, checke meine Emails, mache Übersetzungsarbeiten, arbeite am Memoryscapes Projekt (das ich später erkläre) und verbringe Zeit mit meinem großen Ravensbrück Projekt, mit dem ich das Archiv unterstütze. Zwischendurch mache ich Mittagspause - draußen oder drinnen, je nachdem, wie warm es ist (und es ist sehr warm in diesem Sommer in Hamburg!) .

Die Übersetzungsarbeiten, die ich mache, sind vielfältig. Ich helfe dem Archiv bei einem spannenden Projekt, einer Initiative, die sich ein neues Denkmal auf dem Gelände der Gedenkstätte wünschen. Dieser Wunsch ging von Angehörigen von ehemaligen Häftlingen aus. Außerdem übersetze und schreibe ich Blogeinträge und Beiträge für die Sozialen Medien der Gedenkstätte. 

Memoryscapes hat sich zu einem großen Projekt entwickelt. Diese britische Initiative versammelt Experten aus der Forschung, den Künsten und der Gedenkstättenarbeit und wurde im zweiten Halbjahr zu einer zentralen Tätigkeit für mich. Wir sind zwar noch immer in einer Phase der Konzeption, aber ich denke, dieses Projekt kann zu einem spannenden Rahmen werden, welches zu hilfreichen Produkten führt, die digitale Techniken nutzen, um eine Kommunikation zwischen Gedenkstätten und Besucherinnen und Besuchern zu erleichtern - sowohl on-site als on-line, und dabei verschiedene Zeiten und Räume überwindet. Im Projekt werden die Vor- und Nachteile von Augmented Reality diskutiert, eine Technik die es erlaubt, die Zweidimensionalität zu verlassen und schnelle Informationen zu erhalten. Es ist eine sehr spannende und zum Nachdenken anregende Diskussion. In diesem Rahmen war die Gedenkstätte auch Gastgeberin eines internationalen Workshops im Juni. Und als englische Muttersprachlerin durfte ich nicht nur zuhören, sondern selber aktiv werden, Feedback geben, und in die Diskussion einsteigen. Nach dem Workshop habe ich geholfen, Material zum Testen einiger Ideen zusammenzustellen.  

Mein großes Ravensbrück Projekt, die Edition und Kommentierung der Ravensbrücker War Crimes Trial Transkripte aus dem Jahr 1947, ist noch größer geworden - aus 1200 Seiten wurden 1500 Seiten. Es ist eine langsame, aber sehr lohnende Arbeit. Ich habe so viel gelernt bei der Arbeit an den Texten dieses Gerichtsverfahrens, sowohl über die damalige Zeit, aber auch über mich selber. Probleme mit Zeugenaussagen, Sprachbarrieren, unzulängliches Wissen über internationale Verfahren, viele Probleme liegen verborgen unter dem tatsächlich niedergeschriebenen Text und müssen entschlüsselt werden. In verschiedener Form hat mir das Lesen des Textes deutlich gemacht, was es heißt, inter-nationale Gespräche zu führen - mit Menschen, die zum Beispiel unterschiedliche Wertevorstellungen, Ausbildungen und Hintergründe haben. An dieses Thema musste ich öfter denken, wenn ich als ASF-Freiwillige mit verschiedenen Menschen aus verschiedenen Ländern zu tun hatte. Meine Gedanken, die ich während der Arbeit an der Mitschrift der Ravensbrück-Prozesse hatte, hatte ich auch im Hinterkopf, als wir als große Gruppe internationaler Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Auschwitz besuchten. Unsere Gespräche und auch das, was nicht ausgesprochen wurde, führte zu Diskussionen darüber, was Dialog wirklich bedeutet. Es war für mich wie ein faszinierendes Fenster, ein kleiner Ausschnitt internationalen Dialoges, welches zeigt, welche Hindernisse nicht nur im kleinen, sondern gerade auch beim Dialog zwischen Nationen aus dem Weg geräumt werden müssen, um eine gemeinsame Sprache zu finden. Wie können wir eine gemeinsame Grundlage und gemeinsame Worte finden, so dass ein Miteinander und ein Verständnis gefunden wird? Diese Fragen werden mich weiter begleiten.

Auch meine Arbeit mit der Solidarischen Hilfe habe ich fortgeführt. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich meine Seniorin kennenlernen durfte. Sie hat mich zu Theaterstücken und Konzerten mitgenommen, wir haben uns unsere Biografien gegenseitig erzählt und sie hat mir die Geschichten ihrer Freunde erzählt. Wir haben getanzt und hartgekochte Eier gegessen. Zeit mit ihr zu verbringen hat meine Fähigkeit für Empathie definitiv erweitert und mir gezeigt, wie die Wünsche einer anderen Person zu meinen eigenen werden können.

Hamburg ist eine tolle Stadt und ich bin noch immer auf Entdeckungsreise, gerade jetzt, mit meinem Fahrrad. Ich habe Seen und andere wunderschöne Plätze in und um Bergedorf entdeckt und ich bin eines Abends ganz bis in die Innenstadt gefahren. Ich fand es toll, die langsamere Geschwindigkeit des Lebens hier zu entdecken (ich komme aus New York). Die schönsten Nachmittage habe ich einfach am See verbracht und die Familien beobachtet, die mit ihren Kindern ihre Freizeit dort verbracht haben. Diese Eindrücke vom Alltag deutscher Familien fand ich faszinierend und beachtenswert. Hamburg hat mich auch überrascht mit seinen Kunst-Angeboten. Ich habe einige sehr gute Ausstellungen mit Freunden besucht und die Kunsthalle ist mir insbesondere ans Herz gewachsen. Und da sich meine Deutsch-Kenntnisse massiv verbessert haben, bin ich sogar in Kinofilme gegangen. Ich habe tolle Freunde gefunden - die aus der ganzen Welt stammen. Und ich bin dankbar für die Flexibilität eines Freiwilligenjahres, das es mir erlaubt hat, dafür die Zeit zu finden. 

In einer Zeit, wo die Welt globaler wird, danke ich der Freiwilligenorganisation für all die Dialoge und Erfahrungen, die es mir ermöglicht haben, ein tieferes Verständnis dafür zu finden, meinen eigenen Platz in der Welt zu definieren - gerade jetzt in einer Zeit, in der nationalistische wie internationale Kräfte stark sind. Teil einer Gruppe zu sein, die sich für Erinnerung und Gedenken einsetzt, hat mir neue Einsichten geschenkt, dich ich für den Rest meines Lebens mitnehmen werde. 

Yaffa Fogel