12.04.2022 Nachricht

Erklärung

Erklärung zur Nichteinladung der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Föderation und der Republik Belarus zur Gedenkveranstaltung anlässlich des 77. Jahrestags der Befreiung der Häftlinge des KZ Neuengamme.

Die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen hat entschieden, dass offizielle Vertretungen der Regierungen von Russland und Belarus bei den diesjährigen Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Befreiung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme am 3. Mai nicht willkommen sind.

Diese Entscheidung wird von der Amicale Internationale KZ Neuengamme und den in sieben europäischen Staaten bestehenden Verbänden der ehemaligen Häftlinge des KZ Neuengamme und ihren Angehörigen sowie von der breiten Mehrheit des Beirats der Stiftung mitgetragen.

Die Stiftung verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine zutiefst. Unser Mitgefühl gilt zuvorderst den betroffenen Menschen in der Ukraine. Wir solidarisieren uns mit allen, die ihre Stimme gegen den Krieg erheben. Wir fordern die sofortige Beendigung der Kampfhandlungen.

Durch den von der russischen Regierung angeordneten Angriffskrieg auf die Ukraine werden KZ-Überlebende und ihre Angehörigen existentiell bedroht. Wir stehen mit mehreren Überlebenden und ihren Familien in der Ukraine in Kontakt und helfen ihnen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Auch haben wir Angehörige bei ihren Bemühungen unterstützt, dem lebensbedrohlichen Kriegsgeschehen zu entfliehen und in Hamburg und anderen Orten Schutz zu finden. Da die Regierung in Russland Kritik und Kriegsgegnerschaft als Landesverrat strafrechtlich verfolgt, haben wir gefährdeten Wissenschaftler:innen zudem ermöglicht,  im Rahmen von Auslandsaufenthalten vorübergehend in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu arbeiten.

Wir können es unseren aus vielen Staaten anreisenden Gästen nicht zumuten, dass sie und wir in diesem Jahr gemeinsam mit offiziellen Repräsentant:innen der Russischen Föderation und aus Belarus zu einem Gedenken zusammenkommen, während zeitgleich Russland mit Unterstützung von Belarus einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Wenn offizielle Regierungsvertreter:innen aus Russland und Belarus bei den Gedenkveranstaltungen zum 77. Jahrestag der Befreiung nicht willkommen sind, heißt dies nicht, dass KZ-Opfer aus diesen Ländern nicht geehrt würden, ganz im Gegenteil: Sie werden eine zentrale Rolle spielen. Zudem werden wir explizit daran erinnern, dass die ehemalige Sowjetunion neben Polen die Hauptlast des deutschen Raub- und Vernichtungskrieges getragen hat und dass es maßgeblich auch der Roten Armee zu verdanken ist, dass Deutschland und Europa von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit wurden.

Um deutlich zu machen, dass wir bei der internationalen Gedenkveranstaltung am 3. Mai, wie in den Jahren zuvor, aller Opfer gedenken, insbesondere auch der ehemaligen russischen, belarussischen und ukrainischen Häftlinge, die zusammen die größte Häftlingsgruppe unter allen Gefangenen im KZ Neuengamme ausmachten, werden wir von Vertreter:innen der Zivilgesellschaft aus Russland und Belarus Kränze niederlegen lassen. Vertreter:innen aus der ukrainischen und russischen Zivilgesellschaft werden auch einen Redebeitrag auf der Gedenkveranstaltung gestalten, zudem sind Überlebende und Angehörige ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme aus der Ukraine und Russland nach Hamburg eingeladen, um mit uns zu gedenken. Die Entscheidung richtet sich also nicht gegen die Erinnerung an die KZ-Opfer aus diesen Ländern, sondern lediglich gegen die beiden Regierungen, die derzeit schwere Kriegsverbrechen begehen bzw. diese dulden und die zudem auch massiv gegen die Opposition im eigenen Land vorgehen. Weiterhin bleibt uns das Vermächtnis der Überlebenden Verpflichtung: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Diese Erklärung wurde den Botschaften der Russischen Föderation und von Belarus in Berlin sowie dem Generalkonsulat der Russischen Föderation und dem Belarussischen Konsulat in Hamburg vor ihrer öffentlichen Bekanntmachung am 5. April 2022 schriftlich übermittelt.

Prof. Dr. Detlef Garbe (Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte)
Dr. Oliver von Wrochem (Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme)
Dr. Martine Letterie, Vorden/Niederlande (Amicale Internationale KZ Neuengamme)

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