27.09.2020 Konferenz
Am 18. September 2020 fand im Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme das 5. Treffen der Initiativen und Gedenkstätten an Orten ehemaliger Außenlager des KZ Neuengamme statt. Im Zentrum standen der Austausch über aktuelle Projekte und die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeit von Gedenkstätten.
Zum Einstieg fand eine Plenumsdiskussion zu den praktischen, personellen und materiellen sowie möglichen politischen Folgen der Corona-Pandemie für die Gedenkstättenarbeit statt. Eingangs berichtete Oliver von Wrochem über die Auswirkungen auf die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Die Verbreitung des Virus im Frühjahr und der damit verbundene Shutdown stellte die Gedenkstätte vor neue Herausforderungen. Unter anderem galt es, die Voraussetzungen für Home Office zu ermöglichen, ein Konzept für die interne Kommunikation zu erarbeiten, ein „Notprogramm“ für die freien Mitarbeiter:innen der Gedenkstättenpädagogik sowie die Kolleg:innen des Besucherservice zu erstellen und digitale Vermittlungskonzepte zu entwickeln. Ein besonderer Einschnitt bestand in der Corona-bedingten Absage der Gedenkveranstaltungen anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des KZ Neuengamme, anstelle derer eine Plattform für ein virtuelles Gedenken geschaffen wurde. Er stellte abschließend zur Diskussion, welche gesellschaftspolitischen Folgen es habe, dass die Gedenkstätten derzeit ihren Bildungsauftrag bezogen auf die Gedenkstättenbesuche nur bedingt erfüllen könnten.
Ulrike Jensen (KZ-Gedenkstätte Neuengamme) leitete die Diskussion und stellte die im Vorfeld kommunizierte Zwischenbilanz der Teilnehmenden zu den Folgen der Pandemie für ihre Einrichtungen vor. So sei mehr Zeit geblieben, um sich auf die inhaltliche Arbeit zu konzentrieren und sich mit Kolleg:innen – auch anderer Gedenkstätten – auszutauschen. Jedoch fielen durch die notwendige Teilung von Besuchsgruppen mehr Kosten an und auch die unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnisse der Mitarbeiter:innen stellten eine Herausforderung dar. Diskutiert wurden unter anderem auch die subjektiven Wahrnehmungen einer Radikalisierung des politischen und gesellschaftlichen Klimas bzw. von gesellschaftlichen Gruppen wie z.B. Corona-Leugner:innen. Zwar gebe es generell weniger Populismus, so die diesjährige Populismus-Studie der Bertelsmann-Stiftung; doch sei dieser deutlich radikaler als in den Jahren davor, was bei den meisten Teilnehmenden zu der Einschätzung führte, dass die Gedenkstättenarbeit umso wichtiger sei.
Anschließend stellte Iris Groschek die digitalen Angebote der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus vor. Das digitale Gedenken zum 75. Jahrestag und weitere Social-Media-Aktionen erlangten eine große Reichweite und sprachen ein neues und anderes Publikum an als die herkömmlichen Angebote. Ihrer Meinung nach bieten digitale Formate wie Kurzvideos oder auf Interaktivität fußende Live-Streams eine Chance für die Gedenkstättenarbeit, zusätzliche Social-Media-affine Personengruppen anzusprechen, auf diese Weise digitale Communities zu bilden und zugleich den – ggf. auch physischen – Besuch der Gedenkstätte für solche Zielgruppen attraktiv zu machen.
Andreas Ehresmann präsentierte die Erfahrungen, Chancen und Schwierigkeiten von digitalen Angeboten der Gedenkstätte Lager Sandbostel. Er sei mit der Einführung digitaler Angebote zufrieden, da sie gut angenommen worden seien und sich die Besucherzahlen der Website der Gedenkstätte in der Zeit des Shutdowns verdoppelt hätten. Allerdings seien die in diesem Zeitraum hochgeschnellten Abrufzahlen anschließend sogar unter den Stand der Abrufe „vor Corona“ gesunken. Dies deute zum einen darauf hin, dass die Zielgruppen sich durch eine gewisse Online-Müdigkeit auszeichneten – vor allem aber sei festzustellen, dass Online-Angebote dauerhaft, zielgenau und zeitnah angeboten werden müsse, wofür jedoch die personellen Kapazitäten oft zu knapp seien. Zudem präsentierte er das Konzept der digitalen Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung, die weiterhin auf der Website der Gedenkstätte abrufbar ist.
Thomas Lange von der KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica zeigte die Grenzen und Herausforderungen der Arbeit einer nicht institutionell geförderten Gedenkstätte während der Pandemie auf. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel konnten kaum digitale Formate angeboten werden und auch die innere Organisation, die auf ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen beruht, erwies sich in der Zeit des Shutdowns als schwierig. Auch die besonderen Bedingungen in der Gedenkstätte Porta Westfalica und insbesondere die Tatsache, dass Online-Rundgänge die Eindrücke beim Besuch des Stollens nicht annähernd wiedergeben könnten, stellten sich als Herausforderung heraus. Trotz der Schwierigkeiten sehe er die digitalen Medien aber als Chance für die Gedenkstättenarbeit.
In einer offenen Diskussion besprachen die Teilnehmenden verschiedene Möglichkeiten für neue digitale Formen des Gedenkens und der Geschichtsvermittlung und sahen die Einführung digitaler Formate insgesamt als eine positive Veränderung, die auch nach Ende der Pandemie weitergeführt werden müsse. Insbesondere wurde darauf verwiesen, dass mit digitalen Angeboten auch Interessierte angesprochen werden könnten, die keine Möglichkeit hätten, den Ort selbst zu besuchen. Auch wurde betont, dass digitale Angebote der Vor- und Nachbereitung eines Besuchs in den Schulen und anderen Institutionen dienen könnten, auch hybride Bildungsformate denkbar wären. Trotz des positiven Effekts waren sich die Teilnehmenden zugleich aber auch einig, dass die digitalen Formate keineswegs den Besuch einer Gedenkstätte ersetzen können und sollen. Auch wurde betont, dass Professionalität für eine nachhaltige Umsetzung digitaler Angebote wichtig sei, fehlende Qualifikation, eine mangelhafte technische Ausstattung sowie strukturelle Probleme jedoch bisweilen große Herausforderungen darstellten.
Im letzten Teil der Veranstaltung tauschten sich die Teilnehmenden über aktuelle Anliegen und Projekte an Orten ehemaliger Außenlager des KZ Neuengamme aus. Frank Ehrhardt stellte die Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße vor und berichtete über den Trägerschaftswechsel sowie die Zukunftsperspektiven der Gedenkstätte. Lucy Debus und Lisa Hellriegel stellten die Initiative Dessauer Ufer vor. Da sich die ehemalige Häftlingsunterkunft am Dessauer Ufer, das Lagerhaus G, in Privatbesitz befinde, sei sie nicht öffentlich zugänglich. Zurzeit setze sich die Initiative für die Einrichtung eines Gedenk- und Lernortes ein und hoffe auf die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen. Mark Czichy schilderte die aktuelle Situation der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen bezüglich der personellen Strukturen und des Ausbaus der Bildungs- und Vermittlungsangebote.
Bericht von Pia Mischke