18.07.2023 Bericht

Bericht Netzwerktreffen Games und Erinnerung

Am 5. Juni 2023 fand in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme das erste Vernetzungstreffen von Personen statt, die an Gedenkstätten und Erinnerungsorten digitale Spiele entwickeln.

Handlungsmacht in digitalen Spielen von Gedenkstätten

Der Impulsvortrag „Das Problem mit der Handlungsmacht. Digitale Spiele von Gedenkstätten“ von Christian Günther (Bergische Universität Wuppertal und Arbeitskreis „Digitale Spiele und Geschichtswissenschaft“) führte mit einem übergeordneten Blick in das Thema des Treffens ein. Den Schwerpunkt seines Impulses setzte er auf die Faktoren Teilhabe – Potential – Handlungsmacht für das Spielerleben und Spielmotivation. Bei „Gedenkstätten-Spielen“ seien diese Faktoren eingeschränkt, was Frustration zur Folge habe.

Anhand des Spiels “Through the Darkest of Times” arbeitete er heraus, dass das Spiel beispielhaft den inhärenten Widerspruch der Handlungsmacht bei Spielen zum Thema NS-Verbrechen deutlich macht. Ein Entzug der Handlungsmacht könne auch interpretiert werden als „Schutzschild“ gegen eine zu starke Immersion (Nachempfinden). Die moralische Dimension (Entzug der Handlungsmacht) verstärkt sich beim mehrmaligen Durchspielen. Christian Günther schlug die Kategorisierung von Spielen vor in eine Makro (Kontext und Metatext) / Mikro (Narration) / Substruktur (Spielelemente), um den Faktor „Handlungsmacht“ zu differenzieren. Eine Erweiterung der Handlungsmacht sieht er im Erschließen von zusätzlichen Handlungs- und Zeitebenen.

Die Präsentationsfolien zum Impulsvortrag sind abrufbar auf: https://speakerdeck.com/derguenther/2023-06-04-keynote

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass in allen aktuellen Projekten Thema sei, wie der Verlust der spieletypischen „Heldengeschichten“ kompensiert werden könne. Die Teilnehmenden diskutierten Lösungsansätze. Zur Erweiterung der von Günther angesprochenen Handlungsmacht könnte führen:

  • mehrere Perspektiven zu erzählen, wobei es hier problematisch werden könne, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten,
  • Möglichkeiten kontrafaktischen Erzählens auszuloten,
  • Aktionsebenen aus der (NS-)Zeit rausnehmen,
  • die Gestaltung eines Ergebnisses/Produkts, wobei hier das Problem mitzudenken sei, wie ein redaktionelles Eingreifen möglich gemacht werden könne,
  • Spielelemente (im Sinne einer „Substruktur“) einzubauen, die „Spaß“ machten.

Dokumentation zu den Hintergründen eines Games

Die Teilnehmenden besprachen, auf welche Weise eine Dokumentation zum Spiel kommuniziert werden könnte. Als eine Möglichkeit wurde vorgeschlagen, Designentscheidungen in einem „director’s cut“ zu dokumentieren. Eine Dokumentation

  • schaffe Transparenz,
  • könne Grundlage für weitere Forschung und Evaluation im Bereich Games und Erinnerungskultur bilden,
  • könne Unterrichtsanwendung unterstützen.

Problemfelder und Perspektiven bei digitalen Spielen von Gedenkstätten

In der Diskussion wurden Problemfelder deutlich, darunter z.B. die Lenkung der Spielenden im Sinne eines „korrekten Wahrnehmens“. Aufgefallen sei, dass Hinweise, z.B. „Triggerwarnungen“ häufig beim Spielen übersehen würden, ein weitere Herausforderung ist die gleichzeitige Adressierung von verschiedenen Altersklassen und Generationen.

Eine Empfehlung der Teilnehmenden war, bei der Entwicklung von digitalen Spielen die Zugänge erfahrener Spieler*innen mehr einzubeziehen - und zwar zusätzlich zu generell zu empfehlenden Fokusgruppen.

„Spiele-Speeddating“

Beim anschließenden Spiele-Speeddateing war das individuelle Erspielen von Spielsequenzen und Protoypen der folgenden Spiele möglich:

  • Hidden Codes
  • Last Seen
  • Spuren auf Papier
  • Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm
  • Mission 1929
  • Friedrich Ebert: Der Weg zur Demokratie
  • Als Let’s Play gezeigt: "Gezeichnet - Unsere Flucht 1945"

Werkstattberichte und Austausch

Anschließend haben in Form von kurzen Werkstattberichten die Teilnehmenden folgende Fragen beantwortet:

  1. Wieso und für wen wollten wir ein digitales Spiel entwickeln?
  2. Was war die größte Herausforderung für uns?
  3. Was war die größte Überraschung im Entwicklungsprozess?
  4. Welcher Aspekt hat beim Einsatz mit der Zielgruppe gut funktioniert? 
  5. Welcher Aspekt hat nicht funktioniert?
  6. Was würden wir heute anders, was genau so wieder machen?
  7. Welchen Ratschlag haben wir?

Die Präsentationsfolien / Niederschriften zu den Werkstattberichten sind für Interessierte aus der Gedenkstättenarbeit auf der Arbeitsplattform Digital Collective Memory abrufbar: https://memory-collective.org/s/memory-culture-and-serious-games/

Während der Vorträge wurden in Stichpunkten Antworten notiert:

Zielsetzungen

  • Die digitale Erweiterung des Gedenkortes, weil der Ort zu klein ist, und / oder eine Ergänzung oder eine Vertiefung eines inhaltlichen Aspekts gewünscht sei,
  • Wunsch einer breiten Ausstrahlung,
  • Erreichen der Fokuszielgruppe Schüler*innen

Herausforderungen auf arbeitsstruktureller Ebene:

  • Herausforderung bei der Nutzung der personellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen: Alle Teilnehmenden berichteten von hohem Ressourcenaufwand, besonders für die Partizipation und die pädagogische Implementierung.
  • Herausforderung der administrativen Verzahnung, was z.T. an den begrenzten Möglichkeiten flexibler Finanzplanung in den Institutionen begründet sei. Gleichzeitig bestehen Erwartungen an Zahlungspläne vonseiten der Dienstleister*innen
  • Alle Projekte verfolgen ein interaktives Vorgehen im Arbeitsprozess, was kreative Möglichkeiten erweitere, aber auch z.T. die oben genannten Probleme im Ressourcenmanagement verstärke, eine Rahmensetzung für die Teamstarts und kreativen Phasen sei notwendig.

Herausforderungen auf inhaltlicher Ebene:

  • Die partizipativen Prozesse (Erwartungsmanagement) und der Austausch auf „Augenhöhe“ mit den jugendlichen Zielgruppen wurden von den Teilnehmenden trotz des hohen Arbeits- und Zeitaufwands als sehr gewinnbringend beschrieben
  • Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Planung und Entwicklung von pädagogischem Begleitmaterial und konkrete Vorschläge für Einsatzmöglichkeiten rechtzeitig erfolgen müsse, dazu gehört auch die frühzeitige Entscheidung für eine Plattform. Als problematisch wurde empfunden, wenn sich der (pädagogische) Einsatzbereich auf den schulischen Bereich beschränke.
  • Die Teilnehmenden beschrieben den Aufbau von Spielerfahrung und daraus folgend gute Kenntnisse von Spielelementen als zentral für den Entwicklungsprozess
  • Alle Teilnehmenden betonten die Freude an der kreativen Entwicklung und der interdisziplinären Zusammenarbeit.
  • Alle Projekte haben mit Textlastigkeit zu kämpfen

.... was ich gerne vorher gewusst hätte

Abschließend besprachen die Teilnehmenden Themen für ein „Good to know“ – Welche Empfehlungen würden die Teilnehmenden anderen Gedenk- und Erinnerungsorten geben, die ein digitales Spiel entwickeln möchten? So wurde die Grundlage für die Entwicklung von 10 Punkten für eine Praxishandreichung geschaffen.

Good to know