Zwangsarbeit und Gesellschaft

Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, volume 8
publié par: KZ-Gedenkstätte Neuengamme
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Synthèse

Aus dem Inhalt:

  • Friederike Littmann: Kriegsgefangene in Hamburg
  • Janet Anschütz/Irmtraud Heide: "Niemand wird hier umsonst gefüttert!" Arbeits- und Lebensbedingungen polnischer Häftlingsfrauen in den KZ-Außenlagern Langenhagen und Limmer
  • Angelika Meyer/Erika Schwarz/Simone Steppan: Die Außenlager des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück - eine Bestandsaufnahme
  • Beatrix Herlemann: Zwangsarbeit in der nordwestdeutschen Landwirtschaft während des Zweiten Weltkriegs
  • Beate Meyer: Das "Sonderkommando J". Zwangsarbeit der "jüdisch Versippten" und der "Mischlinge ersten Grades" in Hamburg
  • Tobias Frank: Das Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg. Ein Beitrag zum nationalsozialistischen Lagersystems
  • Bernhild Vögel: "Rassisch unerwünscht". Sowjetische und polnische Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder
  • Andreas Seeger: Andrzej Szablewski - ein Arbeiterleben unter Zwang

Friederike Littmann: Kriegsgefangene in Hamburg

Kriegsgefangene waren von der NS-Führung weit vor Beginn des Krieges als Arbeitskräftepotenzial, insbesondere für die Arbeit in der Landwirtschaft, vorgesehen worden. Die Reihenfolge ihres Eintreffens im Deutschen Reich bestimmte der Kriegsverlauf. Sie wurden in großen Lagern untergebracht und dort von Vertretern der Kommunen und öffentlichen Verwaltungen ebenso wie von Abgeordneten großer Unternehmen für den Arbeitseinsatz "ausgesucht". Die in Hamburg eingesetzten Kriegsgefangenen kamen in ihrer überwiegenden Mehrheit zunächst aus Belgien und Frankreich, später aus der Sowjetunion und ab Herbst 1943 aus Italien. Sie mussten trotz gegenteiliger Regelungen der Genfer Konvention in Rüstungsunternehmen arbeiten, aber ihre Hauptaufgabe bestand im Wiederaufbau der zerstörten Hansestadt. Als "Feinde" Deutschlands wurden sie auf dem geringst möglichen Lebensniveau gehalten und ihre Arbeitskraft rücksichtslos ausgebeutet. Da sie nicht ständig in Hamburg eingesetzt waren, sondern auch in anderen zerstörten norddeutschen Städten zum Einsatz kamen, kann ihre Zahl nicht exakt beziffert werden. Nach den schweren Angriffen im Juli 1943 mögen zwischen 20 000 und 30 000 Kriegsgefangene in Hamburg gewesen sein.

Friederike Littmann: Prisoners of War in Hamburg during WW II

In 1936 the German Government had already recognized the important role POWs would play as working forces especially in the agricultural sector. The order in which they arrived was given by the course of the war. They were put up in big camps, where members of local boards as well as representatives of sizeable industrial enterprises "chose" the workers they needed. In the beginning the majority of POWs employed in Hamburg came from Belgium and France. Later on, most of them came from the Soviet Union and since the fall of 1943 from Italy. Despite the regulations of the Geneva convention they were force to do work in armaments industry. Their main assignment however was the rebuilding of the destroyed parts of the Hanse city. As "enemies" of Germany their living conditions were kept to an absolute minimum and their working force was exploited ruthlessly. Since they were not only stationed in Hamburg but were also moved to other cities in the north of Germany it is impossible to state an exact number of POWs who worked in Hamburg. It is estimated that after the heavy attacks in July 1943 between 20 000 and 30 000 POWs lived in Hamburg.

Janet Anschütz/Irmtraud Heike: Arbeits- und Lebensbedingungen polnischer Häftlingsfrauen in den KZ-Außenlagern Langenhagen und Limmer

Eine Gruppe von Warschauerinnen berichtet nach über 50 Jahren zum ersten Mal von ihrem Schicksal als Gefangene in den Konzentrations- und Außenlagern Stutthof, Langenhagen, Limmer und Bergen-Belsen, das ihr ganzes weiteres Leben bestimmen und prägen sollte. In den mit ihnen geführten Interviews entsteht so ein konkretes Bild speziell vom Außenlager Langenhagen des KZ Neuengamme, das dadurch erstmals von seiner Entstehung bis zur Zerstörung dokumentiert wird.

Janet Anschütz/Irmtraud Heike: Working and Living Conditions of Polish Female Prisoners in the Satellite Camps Langenhagen and Limmer

Over fifty years after the events, a group of women from Warsaw talk for the first time about their time as prisoners in the Stutthof and Bergen-Belsen concentration camps and Langenhagen and Limmer satellite camps. Their experiences in the camps were to determine and shape their entire lives. In the interviews carried out with them, the women draw a particularly concise picture of Langenhagen, a satellite camp of Neuengamme concentration camp, thus allowing the history of the camp, from its erection to its destruction, to be documented for the first time.

Angelika Meyer/Erika Schwarz/Simone Steppan: Die Außenlager des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück – eine Bestandsaufnahme

Mit der kriegswirtschaftlichen Ausrichtung des KZ-Systems veränderte sich ab 1942 die Struktur des Arbeitseinsatzes im Frauenkonzentrationslager. Ravensbrück wurde zur Drehscheibe bei der Ausnutzung der Häftlingsarbeit vor allem in der Fertigungsindustrie für Munition, in der Produktion von Flugzeugen und im Ausbau von Flugplätzen. Die Außenlager standen im Interessenbereich von SS- Unternehmen, Privat-und Staatsbetrieben und Wehrmachtseinrichtungen. Nicht alle der 39 Außenlager, die durch das Stammlager Ravensbrück eingerichtet wurden, unterstanden bis Kriegsende seiner Verwaltung. Im September 1944 erfolgte eine Neuordnung. 16 dieser Außenlager wurden der Verwaltung der Konzentrationslager Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen und Sachsenhausen unterstellt. Die wechselhafte Geschichte der Ravensbrücker Außenlager mit ihren Veränderungen birgt für die historische Forschung bis heute neue Fragen und befindet sich in einem Prozess der Aufarbeitung.

Angelika Meyer/Erika Schwarz/Simone Steppan: The Satellite Camps of the Ravensbrück Concentration Camp for Women – a Summary

The economic stress of the war effort within the concentration camp system changed the work structure in the women's camp after 1942. Ravensbrück became a center for the exploitation of prisoner labor, particularly in the manufacturing of ammunition, the assembly of planes and the construction of airfields. The satellite camps served SS-owned, private and state-owned companies, as well as institutions of the Wehrmacht. Not all of the 39 satellite camps that were established by the main camp in Ravensbrück remained under its administration until the end of the war. In September 1944, the administrative order was rearranged. Sixteen of these satellite camps were put under the administration of the Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen and Sachsenhausen concentration camps. To this day, the variable history of the Ravensbrück satellite camps raises many questions and is the subject of intense historical research.

Beatrix Herlemann: Zwangsarbeit in der nordwestdeutschen Landwirtschaft während des Zweiten Weltkrieges

Der Arbeitseinsatz polnischer, französischer, serbischer und sowjetischer Kriegsgefangener und ZivilistInnen in der nordwestdeutschen Landwirtschaft offenbart einen Widerspruch zwischen den ökonomischen Interessen und der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Einerseits wurden die so genannten "Ostarbeiterinnen" und "Ostarbeiter" dringend benötigt, weil die Rüstungsindustrie für einen dramatischen Verlust von deutschen Arbeitskräften auf dem Lande gesorgt hat; andererseits sollten die als "minderwertige Rasse" angesehenen Menschen aus Polen, der Sowjetunion und dem Balkan zwar eingesetzt werden, aber von der deutschen Bevölkerung während des Tagesablaufs (der Arbeit, der Mahlzeiten) "getrennt von Tisch und Bett" bleiben. Nicht aus Widerspenstigkeit oder Erbarmen, sondern aus Alltagspragmatismus ignorierten die Bäuerinnen und Landarbeiter diese Anordnungen, so dass es nach allgemeiner Einschätzung den Betroffenen meist besser ging als den Arbeitssklaven in der Industrie.

Beatrix Herlemann: Slave Labor on Farms in Northwest Germany during the WW II

The examination of the use of POWs and civilians from Poland, France, Serbia and the USSR as slave laborers on farms in northwest Germany reveals a conflict between economical interests and the Nazi's racist policies. On the one hand, the so-called "Eastern workers" ("Ostarbeiter") were urgently needed, since the arms industry had dramatically drained the countryside of its German workforce. On the other hand, while people from Poland, the Soviet Union and the Balkan states, who were considered to be of an "inferior race", were to be used for labor, they were also to be kept separate from the Germans at all times (during their work, at meals, etc.). It was not opposition or pity that caused the farmers and farm workers to disobey these orders, but sheer pragmatism. This led to the general opinion among survivors that their situation was not as bad as that of the slave laborers who were used in industrial production.

Beate Meyer: Das »Sonderkommando J«. Zwangsarbeit der »jüdisch Versippten« und der »Mischlinge ersten Grades« in Hamburg

"Mischlinge ersten Grades" , so die NS-Terminologie für "Halbjuden", die keiner jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, fielen zwar unter Sondergesetze, waren aber seit 1935 besser gestellt als "Volljuden". Trotz Diskriminierung konnten sie zumeist bis 1943/44 einer regulären Arbeit nachgehen und dabei teilweise sogar vom Arbeitskräftemangel während des Krieges profitieren. So waren sie ein Bindeglied zwischen den jüdischen Elternteilen und Verwandten und der Mehrheitsbevölkerung, bis sich ihre eigene Situation Anfang der 1940er-Jahre verschärfte. Ähnlich blieben die "Mischehen" mit "deutschblütigen" Männern bis in die 1940er-Jahre von etlichen einschneidenden Maßnahmen verschont, wenn sie nicht gerade im öffentlichen Dienst arbeiteten oder auf staatliche Genehmigungen, Konzessionen o. Ä. angewiesen waren. Doch nach der Wannsee-Konferenz und einigen Folgetreffen verschärfte sich auch die Situation der "Mischlinge" und "jüdisch Versippten". 1943/44 erhielten diese die "Dienstverpflichtung" zur Zwangsarbeit und sollten in Arbeitslager eingewiesen werden. In Hamburg wurden mehr als 1 000 Männer zum "Sonderkommando J" der Bauverwaltung unterstellt und vor allem zu Aufräumarbeiten in der kriegszerstörten Stadt eingesetzt. Während die ZwangsarbeiterInnen andernorts fern ihrer Heimatstädte "kaserniert" wurden, blieben die Hamburger davon weitgehend verschont. Zwar versuchten die NS-Verantwortlichen bis zum Kriegsende, die Kasernierungspläne umzusetzen, aber abgesehen von einem Lager konnten die notdürftig von den Zwangsarbeitern selbst hergerichteten Behelfsunterkünfte nicht bezogen werden: entweder wurden sie als KZ-Ausweichlager benötigt oder durch Luftangriffe zerstört. Im Lager auf dem Ohlsdorfer Friedhof mussten die Zwangsarbeiter Gräber ausheben, Leichen aus dem KZ Neuengamme bestatten, Bäume roden und andere harte körperliche Arbeit bei schlechter Verpflegung und ständiger Androhung von KZ-Haft verrichten.

Beate Meyer: The »Sonderkommando J« – a Slave Labor Commando of «Aryans« in Mixed and »Mixed-race People of the First Degree« Marriages in Hamburg

In Nazi terminology, the sons and daughters of a Jewish and an "Aryan" parent were referred to as "mixed-race people ("Mischlinge") of the first degree", if they were not affiliated with a Jewish congregation. They were discriminated against by special laws, but from 1935 onwards their position was somewhat better than that of so-called "full Jews". Despite discrimination, they were usually still able to make a regular living for themselves until 1943/44, and they sometimes even benefited from the shortage of manpower during the war. They thus formed a link between their Jewish parents and relatives and the majority of the population, until their own situation deteriorated in the early 1940s. Similarly, men "of German blood" in mixed marriages ("jüdisch Versippte") were spared from many drastic measures until the 1940s, as long as they were not employed in the public service or dependent on official permits, concessions or the like. But after the Wannsee Conference and several follow-up meetings, the situation of people put into one of the two categories worsened. In 1943/44, they were conscripted for slave labor and were to be put into work camps. In Hamburg, over 1,000 men were forced into the "Sonderkommando J", which was in the service of the building authority and was mostly used to clear and rebuild the bombed city. While most slave laborers were put into barracks far from their homes, the men from Hamburg were largely spared this fate. The Nazi authorities tried until the end of the war to implement their plans to lodge the slave laborers in barracks, but with the exception of one camp, the makeshift quarters provisionally erected by the prisoners themselves could not be occupied, as these barracks were either needed as satellite camps for the concentration camps, or they were destroyed in air raids. In the camp on the grounds of Ohlsdorf cemetery, the prisoners - undernourished and under constant threat of imprisonment in a concentration camp - were forced to dig graves, bury those who died in Neuengamme concentration camp, cut down trees and perform other hard physical Labor.

Tobias Frank: Das Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg. Ein Beitrag zum nationalsozialistischen Lagersystem

Um die Komplexität des nationalsozialistischen Lagersystems zu verdeutlichen, ist es unumgänglich die "Arbeitserziehungslager" zu betrachten. Sie wurden im Unterschied zu den Konzentrationslagern durch die regionalen Gestapoleitstellen verwaltet. Am Beispiel des Arbeitserziehungslagers Wilhelmsburg (in Hamburg) wird gezeigt, dass unter dem Vorwand des juristischen Straftatbestandes des "Arbeitsvertragsbruches" ein direkter, unkontrollierter Zugriff auf die Arbeiterschaft möglich war. Im Vergleich zu den Konzentrationslagern stand bei den Arbeitserziehungslagern jedoch der - im Sinne der NS-Ideologie interpretierte - "Erziehungsauftrag" im Vordergrund. Ein genauere Betrachtung der Lagerverhältnisse zeigt jedoch, dass die Häftlinge - wobei hier die Zivil- und Zwangsarbeiter aus Polen, Sowjetuinion, Frankreich, Belgien und den Niederlanden eine Mehrheit stellten - in den 56 Tagen ihrer "Erziehungshaft" täglich um ihr Leben kämpfen mussten. "Ich dachte manchmal, daß man einen Film vom Lager Wilhelmsburg drehen müßte; darin Aufnahmen nur von den schreitenden Füßen der Frauen - als Begleitmusik das mühsame Schlurfen der Füße und das unaufhörliche Wimmern der Frauen, denen jeder Schritt weh tat." (Rosemarie S., ehemalige Gefangene des Arbeitserziehungslager Wilhelmsburg)

Tobias Frank: The Wilhelmsburg work education camp as a contribution to the Nazi concentration camp system

In order to make clear the complexity of the Nazi concentration camp system, it is imperative to closely examine the so-called "work education camps" ("Arbeitserziehungslager"). In contrast to the concentration camps, these were under the administration of the regional Gestapo headquarters. The example of the Wilhelmsburg work education camp in Hamburg illustrates how supposed breaches of work contracts were used as an excuse to gain direct and uncontrolled power of exploitation over members of the general workforce. As opposed to the concentration camps, however, an "educational mission" (in the sense of national-socialist ideology) was stressed in the "work education camps". A closer examination of the conditions in the camps reveals, however, that for the prisoners (the majority of whom were civilians and slave laborers from Poland, the Soviet Union, France, Belgium and the Netherlands), the 56 days of their imprisonment involved a daily struggle for survival. "I often thought that a film should be made about the Wilhelmsburg camp, in which you would only see the treading feet of the women. And the music on the soundtrack would be made up of the sounds of their arduously shuffling feet and their ceaseless, pained whimpering at every step." (Rosemarie S., former prisoner in the Wilhelmsburg work education camp)

Bernhild Vögel: »Rassisch unerwünscht«. Sowjetische und polnische Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder

Kinder von sowjetischen und polnischen Zwangsarbeiterinnen ("rassisch minderwertiger Nachwuchs von Ostarbeiterinnen und Polinnen") sollten "möglichst unterbunden werden". Während die "Nationalsozialistische Volkswohlfahrt" ab 1942 die "Eindeutschungsfähigkeit" von Kindern deutscher Väter prüfte und Abtreibungen bei deutschen "erbgesunden" Frauen sogar mit dem Tod bestraft werden konnten, wurden nach realistischen Schätzungen 100 000 Kinder von sowjetischen und polnischen Zwangsarbeiterinnen getötet. Sie wurden entweder gar nicht erst geboren oder nach der Geburt getötet. Die auch juristische Verdrängung dieser Verbrechen in Deutschland und die Stigmatisierung der Frauen als "Deutschenhuren" in der Sowjetunion nach 1945 führen dazu, dass nur wenige Betroffene ihr Recht auf erhöhte Entschädigung wahrnehmen.

Bernhild Vögel: »Racially undesirable« –Female Polish and Soviet slave laborers and their children

Female Soviet and Polish slave laborers were to be prevented from having children ("racially inferior offspring of eastern workers and Poles" in Nazi terms). After 1942, the Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ("National Socialist Organization for the Welfare of the German People") explored the possibilities of "Germanizing" the children of German fathers, and abortions by "racially pure" German women were punishable by death. At the same time, however, around 100,000 children of female Soviet and Polish slave laborers are estimated to have been killed, either through abortion or after birth. Because these crimes were rarely prosecuted in post-war Germany, and because the women concerned were stigmatized as "Germans' whores" in the Soviet Union, very few women have made use of their right to extra reparations.

Détails

Référence
131
ISBN
3-86108-379-5
Année de parution
2004
Langues
Allemand