Displaced Persons, Internierte und Flüchtlinge in ehemaligen Konzentrationslagern 1945-1953
Aus dem Inhalt:
- Henrike Illig: Die Befreiung des Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglagers Sandbostel und der Umgang der britischen Befreier mit der deutschen Bevölkerung
- Andreas Ehresmann: Die frühe Nachkriegsnutzung des Kriegsgefangenen- und Auffanglagers Sandbostel unter besonderer Betrachtung des britischen No. 2 Civil Internment Camp Sandbostel
- Alyn Beßmann: "Der sozusagen für Euch alle im KZ sitzt." Britische Internierungspraxis im ehemaligen KZ Neuengamme und deutsche Deutungsmuster
- Stefan Wilbricht: Das DP-Lager in Moringen 1945-1951
- Karl Liedke/Christian Römmer: Das polnische DP-Camp Bergen-Belsen
- Thomas Rahe: Das jüdische DP-Camp Bergen-Belsen und sein deutsches Umfeld
- Martina Staats: Neu-Hohne 1946 bis 1953: Die Weiternutzung des ehemaligen Vorlagers des Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagers Bergen-Belsen
- Norbert Ellermann: Die Nachnutzungen des ehemaligen Konzentrationslagers Niedernhagen in Wewelsburg von 1943 bis 1967
- Anne Drescher: Das Lager Wöbbelin nach Kriegsende bis 1948
Das Kriegsgefangenenlager Stalag XB Sandbostel wurde im Frühjahr 1945 zu einem sogenannten "Auffanglager" für Räumungstransporte aus dem Konzentrationslager Neuengamme und seinen Außenlagern. Etwa 8000 KZ Häftlinge trafen im April 1945 in Sandbostel ein. Sie wurden zunähst sich selbst überlassen; Enge, Durst, Hunger, Erschöpfung, Krankheiten und Gewalt bestimmten die Lebensverhältnisse. Nachdem die SS-Wachmannschaften am 20. April 1945 das Lager fluchtartig verlassen hatten, leistete ein Komitee von Kriegsgefangenen erste Hilfe und übernahm die Versorgung und Verwaltung des "Auffanglagers". Am 29. April 1945 erreichte die britische Guards Armoured Division das Lager. Die Truppenangehörigen waren über die vorgefundenen katastrophalen Verhältnisse schockiert. Zu den sofort ergriffenen Hilfsmaßahmen zählten u. a. Dienstverpflichtungen deutscher Männer und Frauen aus den umliegenden Ortschaften und junger Frauen aus Delmenhorst zur Pflege und Versorgung der Kranken, zum Aufräumen von Baracken und zum Ausheben von Gräbern. Diese adäquate Reaktion der Alliierten rettete das Leben vieler ehemaliger KZ-Häftlinge.
Als britische Soldaten am 29. April 1945 das Kriegsgefangenenlager Sandbostel betraten, trafen sie weitgehend unvorbereitet auf grauenvolle Zustände. Im hier noch kurz vor Kriegsende eingerichteten KZ-Auffanglager fanden sich zahlreiche unbestattete Leichen und ca. 6000 ausgezehrte und entkräftete KZHäftlinge lagen teilnahmslos in diesem Lagerbereich oder irrten in dem Areal umher. In den ersten Planungen war beabsichtigt, das Lager Sandbostel so schnell wie möglich niederzubrennen. Doch wurden nur wenige Baracken zerstört und auf dem Gelände wurde am 9. Juli 1945 das No. 2 Civil Internment Camp eingerichtet, in dem ganz überwiegend SS-Angehörige interniert wurden. Mit der Übernahme der Leitung des Internierungslagers durch einen Justizangestellten, Lt. Col. (RETD) Edward Roger Vickers, änderten sich die Verhältnisse in Sandbostel Mitte Dezember 1946 grundlegend. Wesentliche Elemente seines Ansatzes waren eine umfassende Selbstverwaltung des Internierungslagers und ein vielschichtiges demokratisches Wahlprinzip. Neben den durchgeführten grundlegenden politisch-administrativen Änderungen entstanden zahlreiche kulturelle Einrichtungen (Musik, Theater, Vorträge), ein sehr umfangreiches Bildungsprogramm (anerkannte Aus-, Weiter- und Umschulungen in verschiedenen Berufssparten) und ein ausdifferenziertes Sportwesen. Bemerkenswert ist, dass sich insbesondere angesichts der grauenvollen Zustände im KZ-Auffanglager in nur eineinhalb Jahren ein sehr moderater Umgang mit den internierten ehemaligen SS-Angehörigen entwickelte. Es gab zwar kein offizielles Re-education-Programm in Sandbostel, doch das von Vickers ab Dezember 1946 auf eigene Initiative umgesetzte und vom Intelligence Officer Roycroft unterstützte Demokratisierungs- und Bildungsprogramm hatte durchaus Züge der Re-education-Ansätze, wie sie in den Kriegsgefangenenlagern in Großbritannien seit 1944 durchgeführt wurden.
Der Beitrag zeichnet zum einen die Entstehung des Civil Internment Camp No. 6 (CIC 6) auf dem Gelände des vormaligen KZ Neuengamme nach, dessen Errichtung im November 1945 eine Nutzung des Lagergeländes durch britische Militäreinheiten als DP-Camp, Kriegsgefangenenlager und SS-Lager vorausging. Zum anderen reflektiert der Beitrag die Selbstwahrnehmung der Internierten im CIC 6. Als wichtige Quellen dienen hierfür Überlieferungen zum Kulturleben des Lagers, in dem sich neben Impulsen zu einer demokratischen Neuorientierung auch ideologische Anknüpfungsversuche an die nationalsozialistische Ideologie spiegeln. Aus den untersuchten Selbstzeugnissen von Internierten wird deutlich, dass die Internierten nationalsozialistische Gewaltverbrechen kaum thematisierten und sie, sofern sie sie überhaupt zur Kenntnis nahmen, auf vielfältige Weise verharmlosten. Den von der britischen Lagerführung zugestandenen Freiraum im Kulturleben des Lagers nutzten die Internierten vielfach für selbstvergewissernde Diskurse und zur Ausprägung einer entschiedenen Identität als Opfer alliierter "Siegerjustiz".
Zwischen 1933 und 1945 waren in Moringen in den Gebäuden des Werkhauses, eines preußischen Arbeitshauses, parallel zum weiterlaufenden Anstaltsbetrieb nacheinander drei Konzentrationslager untergebracht. Für das zuletzt eingerichtete Jugend-KZ Moringen wurde die Anlage 1941 um ein Barackenlager erweitert. Die Nachnutzung des Konzentrationslagers begann direkt nach der Befreiung des Jugend-KZ im April 1945 mit der Errichtung eines Lagers für Displaced Persons. Zunächst übernahmen befreite polnische Kriegsgefangene den Aufbau und die Organisation des Lagers. 1948 wurde der Komplex geteilt und die vormaligen Anstaltsgebäude dienten erneut als Disziplinar- und Heilanstalt. Das DP-Lager bestand bis zu seiner Auflösung im Sommer 1951 in den baulich nur wenig veränderten und instandsetzungsbedürftigen ehemaligen Häftlingsbaracken weiter.
Nach der Schließung des Lagers wurden die Baracken teils für Wohnungen und öffentliche Einrichtungen durch die Stadt Moringen umgenutzt, teils als Baumaterial verwertet.
Auf dem Gelände der Wehrmachtskasernen in Bergen-Hohne, in unmittelbarer Nachbarschaft zum befreiten KZ Bergen-Belsen, entstand im Frühjahr 1945 ein riesiges DP-Camp, das bis vor Kurzem in der historischen Forschung ausschließlich als jüdisches DP-Camp wahrgenommen wurde. Im DP-Camp Bergen- Belsen lebten aber auch Tausende polnische nicht jüdische DPs. Der Aufsatz zeichnet die kurze Geschichte des polnischen DP-Camps Bergen-Belsen nach, die sich in drei Phasen einteilen lässt. In einer ersten Phase, die nur die ersten vier bis fünf Wochen nach der Befreiung des Konzentrationslagers umfasst, hatte die Nothilfe absolute Priorität. Es folgte eine zweite Phase der Konsolidierung und Neuorientierung, die von etwa Ende Mai 1945 bis Mai 1946 andauerte. Als dritte Phase schließlich können die Monate der Auflösung des polnischen DP-Camps bezeichnet werden. Die letzten polnischen DPs verließen Bergen-Belsen im September 1946. Auf zwei Problemfelder geht der Aufsatz näher ein: auf die politischen Differenzen innerhalb der polnischen Gruppe sowie auf das Verhältnis zwischen jüdischen und polnischen DPs im Camp.
Das jüdische DP-Camp Bergen-Belsen war de facto ein exterritoriales Gebiet, sodass dessen Bewohnerinnen und Bewohner Kontakte mit Deutschen vermeiden konnten. Dennoch gab es ein breites Spektrum von Kontakten zwischen dem DP-Camp und seinem deutschen Umfeld, die zumeist ökonomisch motiviert waren. Deutsche waren, vor allem im medizinischen Bereich, als Arbeitskräfte im DP-Camp beschäftigt. Die meisten Kontakte ergaben sich im Kontext des Schwarzmarkts, der für die deutsche Presse wiederum Anlass für eine oft ausgeprägt antisemitische Berichterstattung bzw. Kommentierung im Blick auf das jüdische DP-Camp war. Sehr aufmerksam verfolgten und kommentierten die jüdischen DPs die Fortexistenz bzw. das Wiederaufleben von Antisemitismus und Rechtsextremismus in ihrem Umfeld, wie es sich in den Ergebnissen der politischen Wahlen oder der hohen Zahl von Schändungen jüdischer Friedhöfe dokumentierte. Auch auf die Entwicklung des ehemaligen Lagergeländes des KZ Bergen-Belsen zu einer Gedenkstätte versuchten die jüdischen DPs Einfluss zu nehmen, konnten sich dabei aber nur teilweise durchsetzen.
Das frühere Vorlager des Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagers Bergen-Belsen wurde ab September 1946 als Siedlung Neu- Hohne für die Unterbringung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen sowie von "Altbesatzungsverdrängten " -Menschen, die für den durch die britische Besatzungsmacht vorgenommenen Ausbau des Truppenübungsplatzes Dörfer und Häuser räumen mussten -genutzt. Überlegungen, die vorhandenen Baracken für Internierte des britischen Internierungslagers Fallingbostel zu nutzen, um sie auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers für Aufräumarbeiten als Wiedergutmachung heranzuziehen, waren verworfen worden, da es "kein neues KZ" geben sollte. Etwa 350 Menschen lebten in diesem größten Flüchtlingslager im Landkreis Celle. Das Leben in dem von ihnen als "Elendsquartier " und "Barackenlager im KZ" wahrgenommenen Lager war teilweise gesundheitsgefährdend und menschenunwürdig, wobei sich die materiellen und sozialen Lebensverhältnisse der "Altbesatzungsverdrängten", die über eine bessere materielle Ausstattung und über soziale Kontakte zu den Menschen in den umliegenden Dörfern und Stäten verfügten, von denen der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen unterschieden. Britische Pläne, den Truppenübungsplatz Bergen-Hohne zu erweitern, führten schließlich zur Räumung von Neu-Hohne. Nach der öffentlichen Versteigerung der Baracken im Oktober 1953 erfolgte die Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner in groß Industriestandorte, aber auch in neue Siedlungshäuser in den nahe gelegenen Orten Hasselhorst und Bergen. Die Weiternutzung und das Leben in den Baracken des früheren Kriegsgefangen- und Konzentrationslagers Bergen-Belsen bewirkte bei den Bewohnerinnen und Bewohnern Neu-Hohnes keine aktive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Vorherrschend war vielmehr eine Tabuisierung des Themas und eine Selbstwahrnehmung als Opfer.
Das von der SS 1939 in Wewelsburg zur Umsetzung ihrer Baupläne zum Ausbau der Schlossanlage und des Ortes errichtete Konzentrationslager Niederhagen wurde 1943 kriegsbedingt aufgelöst und die Häftlinge wurden verlegt. Bis zum Eintreffen alliierter Truppen am 2. April 1945 war nur ein "Restkommando " vor Ort geblieben, das als Außenkommando dem Konzentrationslager Buchenwald unterstand. Von 1943 bis 1945 befanden sich in den Baracken des ehemaligen Häftlings- bzw. SS-Lagers das Umsiedlungslager Wewelsburg der Volksdeutschen Mittelstelle, das Wehrertüchtigungslager Wewelsburg der Reichsjugendführung der Hitlerjugend, eine Auffangstelle fü Ausgebombte aus dem Ruhrgebiet und die Standorte der evakuierten Dienststelle der Gestapo Gelsenkirchen und des verlagerten Aktendepots des Höheren SS- und Polizeiführers West aus Düsseldorf. Nach Kriegsende wurde in den inzwischen leer stehenden Baracken das DP-Lager Wewelsburg eingerichtet, später für kurze Zeit ein belgischer Militärstützpunkt. Ab Juli 1946 dienten die Baracken als Flüchtlings- und Vertriebenenlager für Menschen, die aufgrund des Potsdamer Abkommens aus ehemaligen deutschen Ostgebieten ausgesiedelt worden waren. Besonders während dieser Phase der Nutzung des ehemaligen Konzentrationslagers trieb die politische Gemeinde Wewelsburg die Überbauung des Geländes durch eine Wohn- und Gewerbesiedlung voran. 1967 wurde die letzte Baracke abgerissen.
Noch in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges wurde das Lager Wöbbelin als Außenlager der Konzentrationslagers Neuengamme eingerichtet. Bis zu seiner Befreiung durch US-amerikanische Truppen am 2. Mai 1945 hatte das KZ-Außenlager Wöbbelin zehn Wochen bestanden. Danach war dieses Barackenlager für Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene eine markante Station in ihrem Leben. In dem Beitrag wird der Frage nachgegangen, wer nach der Befreiung des KZ-Außenlagers dort unter welchen Bedingungen untergebracht war und wann dieses Lager aufgelöst und abgerissen wurde. Anhand von Interviews mit Betroffenen und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie durch umfangreiche Archivrecherchen konnte die Nachgeschichte des KZ-Außenlagers Wöbbelin für den Zeitraum 1945 bis 1948 zumindest in Teilen rekonstruiert werden.