Aus dem Inhalt des Sammelbandes "Fußball in der nationalsozialistischen Gesellschaft: Zwischen Anpassung, Ausgrenzung und Verfolgung":
Dietrich Schulze-Marmeling: Die Politik des deutschen Fußballs in den Jahren 1933 bis 1945 und der lange Weg zur Aufarbeitung der Geschichte
Sven Fritz: Vom Kaiserreich zum "Dritten Reich": Die Entwicklung des Eimsbütteler Turnverbands vom völkischen zum nationalsozialistischen Sportverein
Lorenz Peiffer: "Die Hamburger hatten ihren besten Mannschaftsteil in ihrem rechten Flügel". Zur Geschichte des jüdischen Fußballsin Hamburg in den 1920er- und 1930er-Jahren
Dieter Hertz-Eichenrode: Gastfreundschaft und Respekt.Deutsch-polnische Fußballspiele 1933 bis 1938
Andreas Ehresmann: "Es bestehen 4 Fußballmannschaften, aber es fehlt der Fußball." Fußball im Stalag XB Sandbostel
Veronika Springmann: Zwischen Selbstbehauptung, Vergünstigung und Gewalt: Fußball im Konzentrationslager Neuengamme
Jim G. Tobias: Fußball in den jüdischen Displaced Persons Camps - mentale Medizin und gelebte zionistische Überzeugung
Florian Schubert: Antisemitismus im deutschen Fußball seit den 1980er-Jahren
Nachdem mit der "Reichstagsbrandverordnung" vom 28. Februar 1933 die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt worden waren, folgte auch die Zerschlagung der kommunistischen und sozialdemokratischen Sportbewegung. Dadurch erhielt der bürgerliche Deutsche Fußball-Bund (DFB), der sich wie seine Mitgliedsvereine ohne Widerstand in das NS-Regime einfügte, im Fußballsport eine Monopolstellung. Anhand der Mustersatzung für die Vereine im DFB und der Haltung und Praxis der Führung der Sportverbände und der Reichssportführung zeigt der Aufsatz, wie sich die Turn- und Sportverbände ebenfalls am Ausschluss der Juden aus der deutschen Gesellschaft beteiligten. Bis weit in die 1970er-Jahre ließ der DFB seine Geschichte von Verfassern schreiben, die im Nationalsozialismus Funktionen im Verband hatten. Aus Tätern, Karrieristen, Opportunisten und Mitläufern wurden selbst ernannte Richter, die sich und ihre Kameraden von jeglicher Schuld und Verantwortung freisprachen. In ihren Darstellungen fehlen die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung im Fußballsport, während Täter wie Mitläufer in einem milden bis glänzenden Licht erscheinen. Erst die Kritik von Walter Jens 1975 kann als Auftakt einer - zunächst sehr zaghaften geführten - Debatte um die Rolle des DFB in den Jahren des Nationalsozialismus angesehen werden. Der Aufsatz analysiert diesen bis heute andauernden Prozesses der Aufarbeitung der Verbandsgeschichte, stellt die Akteure vor und beschreibt die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen.
Ausgehend von den politischen Schriften Friedrich Ludwig Jahns positionierte sich die deutsche Turnbewegung im Verlauf des 19. Jahrhunderts und vor allem seit der Reichsgründung 1871 zunehmend im nationalistischen und antiliberalen Lager. Hinzu traten ab den 1880er-Jahren antisemitische und biologistische Argumentationen, die wichtige Anknüpfungspunkte zu völkischen Ideenwelten lieferten. In diesem politischen Klima nationalistischer und völkisch-antisemitischer Selbstmobilisierung gründete sich der Eimsbütteler Turnverband (ETV). Er dokumentierte sein politisches Selbstverständnis nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, indem er sich aktiv in ein Netzwerk "nationaler" Vereine und Verbände eingliederte und seine Turnhalle mit einer Symbolik schmückte, die Turnbewegung und politischen Antisemitismus miteinander verband. Während des Ersten Weltkrieges militarisiert und weltanschaulich radikalisiert, ordnete sich der Verein in der Weimarer Republik in das republikfeindliche rechte Lager ein und schuf damit die Voraussetzung für einen gegen Ende der 1920er-Jahre einsetzenden Prozess der Nazifizierung. Dieser wurde von den jungen, jugendbewegten Mitgliedern des Vereins getragen und von der älteren Generation der Vereinsgründer wohlwollend begleitet. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde zum freudig begrüßten Ereignis, dem eine weitgehend konfliktfreie Selbstgleichschaltung folgte. Aufgrund seiner Funktion als weltanschaulicher Wegbereiter und wegen seiner erfolgreichen Eingliederung in den neuen Staat wurde der ETV vom Regime öffentlich gewürdigt. Dieser Teil der Vereinsgeschichte und die daraus resultierende Schuld verschwanden im Nachkriegsnarrativ des ETV gänzlich. Sie wurden ersetzt durch die Selbststilisierung als Opfer schicksalhafter Entwicklungen und durch das Verschweigen, Verharmlosen oder Umdeuten aller sich dabei als problematisch erweisenden Tatsachen.
Bis 1933 zählten auch im Hamburger Fußballsport jüdische Spieler zu den Leistungsträgern in ihren Vereinsmannschaften. Bereits wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme am 30. Januar 1933 begannen auch die Hamburger Turn- und Sportvereine, in vorauseilendem Gehorsam ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen. Den jüdischen Sportlerinnen und Sportlern blieb danach nur die Möglichkeit, sich in eigenen Vereinen zu organisieren und u. a. eigene jüdische Fußballligen aufzubauen. Die in Hamburg bereits seit 1902 bestehende Jüdische Turnerschaft, die als Vorläuferin des Jüdischen Turn- und Sportvereins Bar Kochba Hamburg gelten kann, spielte im Hamburger Sportleben bis zum Jahr 1933 jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Nach dem 30. Januar 1933 gründeten sich in Hamburg bzw. in den vor der Eingemeindung nach Hamburg im Jahr 1938 damals noch preußischen Städten Altona und Harburg-Wilhelmsburg mit Blau-Weiß Hamburg, Schild Hamburg, Makkabi Altona, Schild Altona und Makkabi Harburg-Wilhelmsburg weitere jüdische Sportvereine, in denen sich die ausgeschlossenen jüdischen Sportlerinnen und Sportler zusammenfanden. Zu einem sportlichen Schwerpunkt wurde vor allem in den Vereinen Schild Hamburg und Blau-Weiß Hamburg das Fußballspiel. In den folgenden Jahren entwickelte sich ein intensiver Sportverkehr der jüdischen Hamburger Vereine untereinander und mit jüdischen Vereinen in der näheren und weiteren Umgebung bis nach Berlin. Höhepunkte im jüdischen Sportleben in Hamburg waren die Klubkämpfe zwischen Schild Hamburg und Blau-Weiß Hamburg unter Beteiligung mehrerer Fußballmannschaften. Die beiden Mannschaften nahmen auch an den von den jüdischen Sportverbänden Sportbund Schild und Deutscher Makkabikreis jeweils getrennt ausgetragenen Deutschen Reichsmeisterschaften im Fußball teil. Nach dem Novemberpogrom 1938 gab es auch in Hamburg keinen jüdischen Vereinssport mehr.
In der Außenpolitik waren die deutsche und die polnische Regierung von 1933 bis 1938 darum bemüht, ihre Beziehungen zu verbessern. Diesem Ziel dienten auch fünf Fußball-Länderspiele Deutschland - Polen, die zwischen 1933 und 1938 in Deutschland und Polen ausgetragen wurden und Ausdruck deutsch-polnischer Freundschaft sein sollten. Etliche der deutschen Nationalspieler waren polnischer Herkunft und umgekehrt, sie symbolisierten geradezu gutnachbarschaftliche Beziehungen. Die Spiele endeten, als Deutschland begann, den Überfall der Wehrmacht auf Polen konkret zu planen. Der Aufsatz informiert über diese Spiele, die Spieler und weitere Akteure. Er thematisiert vor allem aber auch die politischen Hintergründe dieser Begegnungen, die sichtbare Zeichen einer überraschenden Abkehr von den zuvor angespannten deutsch-polnischen Beziehungen waren. Der Sport stand dabei im Dienst der Außenpolitik beider Länder.
Im August 1939 richtete die Wehrmacht nahe dem im heutigen Niedersachsen gelegenen Dorf Sandbostel das Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (Stalag) X B Sandbostel ein. Bis zur Befreiung durchliefen mehrere Hunderttausend Gefangene aus der ganzen Welt das Lager. Nach den Genfer Konventionen war Kriegsgefangenen kulturelle und sportliche Betätigung gestattet, ebenso wie eine angemessene Unterkunft und Verpflegung gewährleistet werden sollte. Während die Wehrmacht gegen letztere Bestimmungen bei der Behandlung aller Kriegsgefangenen in Sandbostel systematisch verstieß, duldete sie kulturelle Aktivitäten und Sport. So wurden im Lager diverse Sportarten praktiziert, darunter Fußball. Ausgehend von den allgemeinen Bedingungen sportlicher Betätigung im Stalag X B beschreibt der Aufsatz differenziert für die verschiedenen Gefangenengruppen die streng hierarchische Organisation des Fußballbetriebs im Hauptlager und in den Arbeitskommandos. Aus den Gefangenen einzelner Baracken, des Lazaretts, der Küche usw. gebildete Mannschaften spielten gegeneinander. An Sonntagnachmittagen fanden größere Turniere statt. Allerdings setzte neben der Unfreiheit auch die mangelhafte Verpflegung den sportlichen Aktivitäten Grenzen. Zudem waren das Anlegen der Plätze und die Beschaffung der Sportgeräte und -ausrüstung den Gefangenen überlassen; die Wehrmacht gewährte hierbei keinerlei Unterstützung.
In fast allen nationalsozialistischen Konzentrationslagern durften Häftlinge ab Mitte 1942 Fußball spielen. Bedingt durch den Kriegsverlauf war die Häftlingsarbeitskraft im Verlauf des Jahres 1942 zu einem wichtigen Potenzial für die Rüstungsindustrie geworden, sodass Häftlingen im Sinne von "Prämien" Vergünstigungen als Leistungsanreiz gewährt wurden. Hierzu gehörte die Erlaubnis, an Sonntagen Fußball zu spielen. Dies war jedoch nur bestimmten privilegierten Häftlingen möglich. Der Aufsatz beschreibt ausgehend von Erinnerungen ehemaliger Häftlinge, wie und unter welchen Voraussetzungen Fußballspiele im KZ Neuengamme stattfanden. Im Fokus stehen der Zusammenhang von Sport und Arbeit und die Bedeutung des Fußballspielens für die Häftlinge zwischen den Polen Emanzipation und Disziplinierung.
In den Displaced Persons Camps Westdeutschlands warteten nach 1945 Zehntausende Schoah-Überlebende sehnsüchtig auf die Emigration nach Palästina. Doch der Staat Israel wurde erst im Mai 1948 proklamiert. Um der Monotonie des Lagerlebens zu entkommen, entstanden schon bald zahlreiche Fußballvereine, die Meisterschaften in einer 1. Liga und sechs Regionalligen ausspielten. Die Teams trugen Namen wie Hatikwa (Hoffnung), Hagibor (Held), Kadima (Vorwärts), Hapoel (Arbeiter) oder nannten sich nach dem jüdischen Freiheitskämpfer Jehuda Makkabi. Die sportliche Betätigung während der Wartezeit war jedoch nicht nur bloße Freizeitgestaltung. Sie war Ausdruck von Lebensmut und galt zugleich als Vorbereitung auf die Zukunft in einem eigenen jüdischen Staat, wie ein Aufruf in der "Jidiszen Sport Cajtung" dokumentiert: "Wir Sportler müssen beweisen, dass wir die Avantgarde unseres Volkes sind, aus unseren Reihen werden die Helden kommen, die die Fahne der Befreiung und Unabhängigkeit von Erez Israel tragen." Diesem Ruf folgten teilweise komplette Fußballmannschaften, die 1948 im ersten arabisch-israelischen Krieg kämpften.
Seit den 1980er-Jahren hat Antisemitismus im Fußball als Mittel der Abwertung gegnerischer Vereine, Fans und Spieler zugenommen. Die Wirtschaftskrise, eine konservativ-repressive Migrations- und Integrationspolitik, die liberal-konservative "Wende" und das Erstarken der "Neuen Rechten" hatten auch Auswirkungen auf die Fußballszenen der BRD und verstärkten bei Teilen der Fans die Orientierung an rechten und neonazistischen Positionen. Die Ignoranz der Verbände, der Polizei und der Politik gegenüber den problematischen Einstellungen in den Fanszenen erleichterte die Ausbreitung antisemitischen Verhaltens im Fußball zusätzlich. Manche Fußballstadien entwickelten sich zu Horten des Neonazismus, in denen Antisemitismus offen durch rechte und neonazistische Fans verbreitet werden konnte. Auch in der DDR nahm Antisemitismus im Fußball - unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen - im Laufe der 1980er-Jahre zu. Eine weitere Entwicklung, die in den 1980er-Jahren einsetzte, verschärfte sich in den 1990er-Jahren, als die Spiele der deutschen Nationalmannschaft, insbesondere im Ausland, zunehmend als Manifestationsraum für nationalistische, rassistische und antisemitische Haltungen dienten. Diese Entwicklungen legten den Grundstein dafür, dass antisemitisches Verhalten im Fußball bis heute ein Problem ist. In den letzten Jahren zeigt Antisemitismus im Fußball neue Ausdrucksformen. So wirkt sich die Situation im Nahen Osten bis in den (Bundesliga-)Fußball hinein aus. Auch bei den antisemitischen Angriffen gegen Vereine des 1965 in Deutschland wiedergegründeten jüdischen Turn- und Sportverbands Makkabi zeigt sich eine spezifische Form von Antisemitismus, die den Nahostkonflikt instrumentalisiert. Darüber hinaus gibt es zunehmend Angriffe von rechten und neonazistischen Fans auf antirassistische Fangruppen, die immer auch mit antisemitischem Verhalten durch die Angreifer einhergehen. Das Fehlen einer einheitlichen Linie der Vereine und Verbände im Umgang mit Antisemitismus begünstigt zudem antisemitisches Verhalten von Fans.