Museale und mediale Präsentationen in KZ-Gedenkstätten

Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Volume 6
Published by: KZ-Gedenkstätte Neuengamme
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Description

Aus dem Inhalt:

  • Olaf Mußmann: Die Gestaltung von KZ-Gedenkstätten im historischen Wandel
  • Thomas Rahe: Die "Opferperspektive" als Kategorie der Gedenkstättenarbeit
  • Insa Eschebach / Sigrid Jacobeit: Ravensbrück. Zur Geschichte der Gedenkstätte und der Ausstellungen
  • Detlef Garbe: "Das Schandmal auslöschen". Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme zwischen Gefängnisbau und -rückbau
  • Thomas Rahe: Die museale und mediale Darstellung der nationalsozialistischen Verfolgungsgeschichte in der Gedenkstätte Bergen-Belsen
  • Dietmar Sedlaczek: Gedenkstätten und Neue Medien
  • Andreas Pflock: Gedenkstätten im Internet. Möglichkeiten und Perspektiven
  • Katharina Barnstedt: "April 1945: Ankommen in Schweden. Zeugnisse von Überlebenden des Frauen-KZ Ravensbrück". Bericht über eine ‚vergessene Sammlung'
  • Martin Guse: Zur Rezeption der Wanderausstellung "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben" zu den Jugend-KZs Moringen und Uckermark 1940-1945

Olaf Mußmann: Die Gestaltung von KZ-Gedenkstätten im historischen Wandel

Die Gestaltungen der KZ-Gedenkstätten folgten keineswegs einem einheitlichen Konzept, gleichwohl gab es im Laufe der Zeit Konjunkturen in den Leitbildern, an denen sich die Gestaltungen orientierten. Für die Außenareale gliedert der Autor diese Gestaltungsleitbilder in drei Kategorien. (1) "Elysischen Landschaften" meint eine Gestaltung von KZ-Gedenkstätten als parkähnliche, naturnah erscheinende Friedhöfe. (2) Mit dem Beginn des Kalten Krieges wurden KZ-Gedenkstätten dann in DDR und BRD zu geschichtsinterpretierenden "Denkmalen und Monumenten" ausgebaut. (3) Nach 1989 gewann das Konzept der "Arkadischen Landschaften" zunehmend an Bedeutung, in dem die noch vorhandenen Überreste der Konzentrationslager als Baudenkmale behandelt wurden. Aus den Ausstellungen sind inzwischen zeithistorische Museen geworden. In den sechziger und siebziger Jahren dominierte noch ein "pädagogisierender Ansatz", in den achtziger Jahren wurde verstärkt auf das "sinnliche Erleben" einer Ausstellung gesetzt. Als Reaktion auf den Vorwurf, die dort vorgenommenen Inszenierungen von Geschichte würden lediglich subjektive Interpretationen vermitteln, erwuchs in den neunziger Jahren die Präsentationsform der Reduktion auf die "auratische Wirkung" authentischer Exponate.

Thomas Rahe: Die "Opferperspektive" als Kategorie der Gedenkstättenarbeit

Eine umfassende Einbeziehung der Perspektive der Opfer bei der Darstellung der nationalsozialistischen Verfolgungsgeschichte ist längst zur alltäglichen Praxis der KZ-Gedenkstätten und vergleichbarer Einrichtungen geworden. Sie wird jedoch zumeist nur als pädagogisches (Teil-)Konzept verstanden. Bei genauerer Betrachtung erweist sich die "Opferperspektive" als ein weit umfassenderes Prinzip der Gedenkstättenarbeit, das nicht nur zur Integration der unterschiedlichen Aufgabenfelder in den KZ-Gedenkstätten beiträgt, sondern aus dem sich auch Maßstäbe ableiten lassen, an denen sich eine glaubwürdige Gedenkstättenarbeit messen lassen muss. In dem vorliegenden Beitrag legt der Autor dar, welche Schwierigkeiten und Konflikte mit einer Identifikation mit der Position der Opfer in den Gedenkstätten im Land der Täterinnen und Täter verbunden sind und welche Möglichkeiten es in der Gedenkstättengestaltung und -pädagogik gibt, um damit umzugehen.

Insa Eschebach/Sigrid Jacobeit: Ravensbrück. Zur Geschichte der Gedenkstätte und der Ausstellungen

Gegenstand des Beitrages sind zunächst der Umgang mit dem Lagergelände Ravensbrück nach 1945 und, damit verbunden, die ersten Formen der Totenehrung. Mit der Eröffnung der "Nationalen Mahn- und Gedenkstätte" 1959 wurde das in der DDR übliche Erinnerungsprogramm auch baulich manifestiert: Die Wegeführung für die Besucherinnen und Besucher entspricht in etwa der auch in anderen Gedenkstätten bestehenden Form eines "Läuterungspfades". Nach dem Abzug der GUS-Truppen 1992-94 wurde erstmals der insgesamt etwa hundert Hektar umfassende Bereich des ehemaligen Konzentrationslagers zugänglich. Der vorliegende Beitrag stellt Überlegungen zu einer künftigen Gesamtkonzeption des Areals vor und skizziert abschließend Schwerpunkte und Präsentationsformen der Ausstellungen der Gedenkstätte seit Anfang der 90er Jahre.

Detlef Garbe: "Das Schandmahl auslöschen". Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme zwischen Gefängnisbau und -rückbau

Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme befinden sich heute zwei Justizvollzugsanstalten. Die Historie dieser Gefängnisse im besonderen und die Entwicklung des Geländes im allgemeinen zeigen beispielhaft, wie sich die verschiedenen Phasen der so genannten "Vergangenheitsbewältigung" im Umgang mit den nationalsozialistischen Terrorstätten widerspiegeln. Orte wie Bergen-Belsen, Dachau und eben auch Neuengamme sind geradezu ein Seismograph für den diesbezüglichen Bewusstseinsstand der Bevölkerung. Neuengamme zeigt auch, dass in der Bundesrepublik Deutschland Gedenkstätten für die Opfer des NS-Regimes erst gegen massive gesellschaftliche und politische Widerstände erstritten werden mussten und dass ohne die beharrlichen Bemühungen der Organisationen der KZ-Überlebenden und anderer engagierter Gruppen ihre Ausgestaltung zu Orten aktiver Auseinander-setzung mit der Geschichte nicht möglich gewesen wäre.Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der Entwicklung des Geländes und der Ausstellungen nach 1945 im Spiegel der jeweiligen gesellschaftspolitischen Situation auseinander. Abschliessend wird ein Ausblick über die Perspektiven der Gedenkstätte am Anfang des neuen Jahrtausends gegeben.

Thomas Rahe: Die museale und mediale Darstellung der nationalsozialistischen Verfolgungsgeschichte in der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Die konkreten musealen und medialen Formen der Darstellung nationalsozialistischer Verfolgungsgeschichte sind in der Gedenkstätte Bergen-Belsen wie auch in anderen KZ-Gedenkstätten nicht allein Ergebnis didaktisch-konzeptioneller Überlegungen, sondern in hohem Maße auch durch materielle Rahmenbedingungen und den historisch-politischen Kontext bestimmt. Der vorliegende Beitrag skizziert diese Bedingungen und ihre Auswirkungen auf den Wandel musealer und medialer Präsentationsformen und -inhalte in der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Dabei wird ein Schwerpunkt auf den Umgang mit Informationsmedien - Ausstellungen, Bücher, Audio- und Videovorführungen etc. - im Wandel der Zeit gelegt.

Dietmar Sedlaczek: Gedenkstätten und Neue Medien

Neue Medien bieten in der Gedenkstättenarbeit eine gute Möglichkeit, gerade Jugendlichen das Thema Nationalsozialismus zu vermitteln, entsprechen doch die multimedialen Bilder im besonderen den Rezeptionsgewohnheiten der jungen Generation. Aber die Arbeit der Gedenkstätten wird in erster Linie bestimmt durch den historischen Ort. Der authentische Ort bietet die Chance zur Initiierung von Lernprozessen. Kann es dann sinnvoll sein, ihn durch einen gewissermaßen virtuellen zu ersetzen? Das Internet mit seiner multimedialen Ausrichtung, dem World Wide Web, erlaubt beispielsweise ortsungebundene Informationsrecherchen. Aber ist dies im Sinne der Gedenkstätten, wenn für die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus das Aufsuchen der historischen Orte nicht mehr notwendig ist, zumal jener Stätten, die im besonderen als Symbole der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anzusehen sind? Wird durch das Medium, so ließe sich weiter fragen, nicht eine Distanz erzeugt, die gerade durch ein Betreten des historischen Ortes überwindbar erscheint? Diesen und weiteren Fragen geht der Autor in dem vorliegenden Beitrag nach.

Andreas Pflock: Gedenkstätten im Internet. Möglichkeiten und Perspektiven

Die Aufbereitungsmöglichkeiten einer Internetpräsentation sind vielfältig. Es darf dabei jedoch nicht darum gehen, komplexe historische Zusammenhänge mit wissenschaftlichem Fußnotenapparat zu vermitteln. Zu oft noch wird das Medium Internet unbedarft mit den bestehenden Printmedien gleichgesetzt, ohne sowohl auf die spezifischen Anforderungen als auch die mediencharakteristischen Möglichkeiten zu achten. Für eine Internetgestaltung bedarf es folglich einiger grundlegender neuer Überlegungen, um Struktur, Inhalt und Möglichkeiten des Mediums gerecht zu werden. Zur Aufbereitung können medientypische Grundelemente wie Fotos und Dokumente, Ton- und Videosequenzen sowie Datenbanken und Downloaddateien verwendet werden. Anders als bei den herkömmlichen Medien sollte die Möglichkeit genutzt werden, die kommunikativen Seiten des Internets auszuschöpfen, wie z. B. mittels Besuchsanmeldungen und Literaturbestellungen via E-Mail sowie dem Angebot von Diskussionsforen. Auf der Basis dieser Überlegungen wirft der Autor einen Blick auf einige bestehende Internetseiten von Gedenkstätten und die von ihnen benutzten Gestaltungs- und Inhaltselemente.

Katharina Barnstedt: "April 1945: Ankommen in Schweden. Zeugnisse von Überlebenden des Frauen-KZ Ravensbrück". Bericht über eine 'vergessene Sammlung'

Die in Lund/Schweden konzipierte Ausstellung, die 1998 in der Gedenkstätte Ravensbrück gezeigt wurde, besteht aus Gegenständen, die Frauen aus dem Lager auf den Weg in die Freiheit mitgenommen hatten. Über die Besitzerinnen der Zeugnisse ist wenig bekannt. Wer waren diese Frauen? Wie gelangten sie nach Schweden? Welche Bedeutung hatte die persönliche Habe für sie damals im Lager? Welche Bedeutung haben die Dinge heute für die Überlebenden, und welche Aussagekraft haben "Relikte" dieser Art für die Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte? Persönliche Habe und Ausschnitte aus Berichten transportieren die Perspektive der Opfer. In den Bergen von Schuhen oder Haaren in der Gedenkstätte Auschwitz setzt sich der Blick der Täterinnen und Täter in den Besucherinnen und Besuchern fort: der Blick auf die Entpersonalisierung und Massenvernichtung. In gewisser Weise sind beide Perspektiven einseitig und fordern einen dritten, verbindenden Aspekt: die Vermittlung der Hintergründe, Fakten und Zusammenhänge, die in den Hauptausstellungen bzw. durch die Arbeit der Gedenkstättenpädagogen gewährleistet sein muß.

Martin Guse: Zur Rezeption der Wanderausstellung "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben" zu den Jugend-KZs Moringen und Uckermark 1940-1945

Die Wanderausstellung wurde seit Herbst 1992 in zahlreichen Städten innerhalb der Bundesrepublik und Österreichs gezeigt. Die meisten Besucherinnen und Besucher gaben an, bis dahin noch nie von der Existenz dieser speziellen Haftstätten für Jugendliche im NS-Staat gehört zu haben. Die ersten konzeptionellen Überlegungen zur Realisierung der Ausstellung gründeten sich auf die Hoffnung, den Zugang zur jüngeren Generation durch die thematische Nähe und altersspezifische Verknüpfung zu heutigen Lebenswelten junger Menschen erreichen zu können. Die Konfrontation mit den Einzelschicksalen damals Gleichaltriger erschien als geeignetes Mittel, Geschichte für heutige Generationen leichter nachvollziehbar zu gestalten. Mit dem "Blick von unten" sollte sich das Leben und Erleben junger Menschen im Nationalsozialismus - eingebettet in den Gesamtzusammenhang der "großen Geschichte" - als "roter Faden" durch die gesamte Ausstellung ziehen. Aus der Perspektive desjenigen, der die Ausstellung konzipiert hat und massgeblich an ihrer Realisierung beteiligt war, skizziert der Autor die Entstehungsgeschichte und die Reaktionen von Besucherinnen und Besuchern.

Details

Number
101
Isbn
3-86108-766-9
Year
2002
Languages
German