Alliierte Prozesse und NS-Verbrechen

Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Volume 19
Published by: Edition Temmen
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Description

Aus dem Inhalt:

Wolfgang Form: Die Ahndung von Kriegs- und NS-Verbrechen in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg

Dimitrij Astaschkin: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der ehemaligen Sowjetunion

Alfons Adam: Das NS-Lagersystem vor den Außerordentlichen Volks-gerichten der Tschechoslowakei (1945 –1947)

Sabina Ferhadbegovic´: »Vor dem Gericht des Volkes«. Das Lager Jasenovac in den ersten jugoslawischen Kriegsverbrecherprozessen

Christian Pöpken: Im Schatten der Royal Warrant Courts. Verfolgung von NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Military Government Courts und Control Commission Courts der britischen Zone (1946 –1949)

Georg Hoffmann: Flyer Cases. Britische und amerikanische Militär-gerichtsverfahren zur Ahndung von Verbrechen an alliierten Flugzeug-besatzungen (1945 –1948)

Alyn Beßmann, Peter Pirker und Lisa Rettl: KZ-Häftlinge als Akteure der Strafverfolgung von NS-Tätern. Britische Justizverfahren zu Verbrechen im KZ Neuengamme und im Außenlager Loibl/Ljubelj des KZ Mauthausen

Susan Hogervorst: KZ-Überlebende als Zeuginnen. Der Fall Strippel und die Rolle der Frauen von Vught und Ravensbrück in der Strafverfolgung (1945 –1980)

Johannes Schwartz: Britische und französische Prozesse gegen SS-Aufseherinnen aus dem Frauen-KZ Ravensbrück im Vergleich

Marcel Brüntrup: Rühen Baby Case. Der Prozess um das »Ausländer-kinderpflegeheim« des Volkswagenwerks

Bernhard Gelderblom und Janna Lölke: Die Vollstreckung von Todes-urteilen in der britischen Zone am Beispiel der Hinrichtungsstätten in Hameln und Wolfenbüttel

Margaretha Franziska Vordermayer: Britische Offiziere als Verteidiger vor alliierten Militärgerichten

Reimer Möller: »Ununterbrochen in innerer Abwehrstellung«. Deutsche Verteidiger in den britischen Hauptprozessen zu den KZ Neuengamme und Ravensbrück sowie im Verfahren zu Tesch & Stabenow (1946 –1947)

Reimer Möller: Betreuungsarbeit »in aller Stille«: Die Zentrale Rechts-schutzstelle in Bonn und der »Ausschuss der Hamburger Werl-Verteidiger«

Mirjam Schnorr: »Es ist in meiner Gegenwart niemals jemand erschossen worden.« Der Prozess gegen Franz Murer vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz 1963

Wolfgang Form: Die Ahndung von Kriegs- und NS-Verbrechen in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg

Frankreich, Großbritannien und die USA haben ab 1945 viele Hundert NS-Täter wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt. Jedes Land etablierte ein eigenes Ahndungsmodell mit spezifischem Fokus. Die Strafverfolgung seitens der USA beinhaltete zwei große Prozesskomplexe: die Nürnberger Nachfolge- Prozesse und den sogenannten Dachau-Trial- Komplex. Vor französischen Gerichten in Deutschland wurde ausschließlich auf Basis des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 verhandelt. In der britischen Besatzungszone urteilten zumeist Militärgerichte auf der Grundlage des Royal Warrant vom Juni 1945. Daneben wurden – wenn auch in geringerer Zahl – NS-Täter ebenfalls nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 vor besonderen Militärverwaltungsgerichten angeklagt. Trotz der unterschiedlichen Jurisdiktion gab es viele Gemeinsamkeiten. Ein Schwerpunkt war die Strafverfolgung von NS-Gräueltaten in Konzentrationslagern. Für die USA und Großbritannien waren zudem Verfahren wegen Verbrechen an Kriegsgefangenen von großer Bedeutung. Vertreter der politischen, militärischen und wirtschaftlichen NS-Elite standen in Nürnberg vor Gericht. Vergleichbare Verfahren gab es, mit Ausnahme des französischen Röchling-Prozesses in Rastatt, bei den beiden anderen Alliierten nicht. Die USA und Großbritannien beendeten ihre Strafverfolgung 1949, während französische Gerichte noch bis 1953 verhandelten. Insgesamt sind über 2000 Urteile gegen mehr als 5350 Einzelpersonen gefällt worden – darunter mehr als 250 Frauen.

Wolfgang Form: The punishment of war crimes and Nazi crimes in the Western occupation zones of Germany after World War II

Starting in 1945, France, Great Britain and the USA tried hundreds of Nazi perpetrators for war crimes and crimes against humanity. Each country established its own model of punishment with a specific focus. Criminal prosecution on the part of the USA involved two large groups of trials: the Subsequent Nuremberg Trials and what were known as the Dachau trials. French courts in Germany worked exclusively on the basis of Control Council Law No. 10. The British occupation zone mostly had military courts adjudicating under the terms of the Royal Warrant of June 1945. Additionally, some Nazi perpetrators – though a smaller number – were tried by special military administration courts in accordance with Control Council Law No. 10. Despite these different jurisdictions, there were many similarities. One focal point was the criminal prosecution of Nazi atrocities in the concentration camps. Trials for crimes committed against prisoners of war were also very important to the USA and Great Britain. Representatives of the Nazis’ political, military and economic elite faced the court in Nuremberg. With the exception of the French Röchling trial in Rastatt, no comparable trials were held by the other two Allies. The USA and Great Britain Summarys 254 Summarys ended their criminal prosecution efforts in 1949, while French courts continued to operate until 1953. A total of over 2,000 judgments were pronounced against more than 5,350 individuals – including over 250 women.

Dmitrij Astaschkin: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der ehemaligen Sowjetunion

Der Aufsatz zeigt die Entwicklung der sowjetischen Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher und Kollaborateure von der Stalinzeit bis zum Ende der 1980er-Jahre und stellt sie in einen historischen Kontext. Die ersten Prozesse fanden bereits während des Zweiten Weltkrieges statt. Nach dem Ende des Krieges erfuhren die Organisation und die öffentliche Darstellung der Prozesse aus politischen und juristischen Gründen erhebliche Änderungen. Als wichtige Phasen können unterschieden werden: die öffentlichen Prozesse von 1945 bis 1946 mit Todesurteilen; die öffentlichen Prozesse im Jahr 1947 nach der Abschaffung der Todesstrafe sowie die Geheimprozesse von 1948 bis 1949. 1955 erfolgte die »Heimkehr« der Kriegsgefangenen und die Amnestie der wegen Kollaboration Verurteilten. Ab Ende 1950 führten die sowjetischen Behörden wieder öffentliche Prozesse gegen Kollaborateure durch und forderten zugleich – im Kontext des Kalten Krieges – die strafrechtliche Verfolgung von NSTätern in der Bundesrepublik Deutschland, die Teil der dortigen politischen und militärischen Eliten waren. Die Aufarbeitung der justiziellen Ahndung von NS-Verbrechen auf dem Gebiet der Sowjetunion bleibt weiter ein wichtiges Desiderat der Forschung.

Dmitrij Astaschkin: The criminal prosecution of Nazi crimes in the former Soviet Union

This essay traces the development of Soviet trials of Nazi war criminals and collaborators from the Stalin era until the end of the 1980s and places them in a historical context. The first trials took place while World War II was still under way. After the war, significant changes were made to the organisation and publicity of the trials for political and legal reasons. The main phases were the public trials from 1945 to 1946 with death sentences, the public trials in 1947 after the abolishment of the death penalty, and the secret trials of 1948 and 1949. 1955 saw the “homecoming” of prisoners of war and amnesty for those convicted of collaboration. From the end of 1950, Soviet authorities once again publicly tried collaborators while simultaneously – in the context of the Cold War – calling for the criminal prosecution of Nazi perpetrators in the Federal Republic of Germany who were members of Germany’s political and military elite. Further research is still needed into the legal punishment of Nazi crimes in the territory of the Soviet Union.

Alfons Adam: Das NS-Lagersystem vor den Außerordentlichen Volksgerichten der Tschechoslowakei (1945–1947)

Seit 1942 bereitete die tschechoslowakische Exilregierung in London eine juristische Aufarbeitung der Besatzung und der NS-Verbrechen vor. Nach Kriegsende richtete das Prager Justizministerium im westlichen Teil der Tschechoslowakei 24 Außerordentliche Volksgerichte (Mimořádné lidové soudy) ein. Die Retributionsgerichtsbarkeit im slowakischen Landesteil verlief gesondert. Die Aufgabe der Gerichte auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik war im Rahmen des 1. Retributionsgesetzes die Bestrafung der »NS-Verbrecher, Verräter sowie deren Helfer«. Der Gesetzgeber versah diese Außerordentlichen Volksgerichte mit einem starken Laienelement – so sollten politisch Verfolgte als Laienrichter bevorzugt rekrutiert werden – und die Gerichtsverfahren hatten einen standgerichtlichen Charakter. Der Wiederaufbau der tschechoslowakischen Verwaltung erwies sich in den ersten Nachkriegsmonaten in den Grenzgebieten als besonders schwierig und die Gerichte konnten ihre Arbeit erst mit großer Verzögerung aufnehmen. Sowohl die tschechoslowakische Exilregierung als auch das im Mai 1945 wiedererrichtete Prager Justizministerium waren über die deutsche Besatzungspraxis auf Protektoratsgebiet, insbesondere über die NSHerrschaft im Sudetengau, unzureichend informiert. Der vorliegende Aufsatz untersucht, wie die juristische Aufarbeitung der unterschiedlichen NS-Lagerkomplexe im westlichen Teil der Tschechoslowakei unter diesen Bedingungen erfolgte.

Alfons Adam: The Nazi camp system before the extraordinary people’s courts in Czechoslovakia (1945–1947)

In 1942 the Czechoslovak government-inexile in London began preparing for a legal reckoning with the occupation and the crimes of the Nazis. After the war, the Ministry of Justice in Prague established 24 Extraordinary People’s Courts (Mimořádné lidové soudy) in the western part of Czechoslovakia. Retributive justice in the Slovakian part of the country was handled separately. The task of the courts in what is now the Czech Republic was, in the context of the 1st Retribution Decree, to punish “Nazi criminals, traitors and their helpers”. The legislature appointed a large number of laypeople to these Extraordinary People’s Courts – for example, people who had been politically persecuted were to be preferentially recruited as lay judges – and the legal proceedings had the character of summary court-martials. The reconstruction of Czechoslovakia’s administration proved to be especially difficult in the border regions in the first months after the war, and the courts faced long delays before they could begin their work. Neither the Czechoslovak government-in-exile nor the Ministry of Justice that was re-established in Prague in May 1945 were sufficiently informed about German occupation practices in the territory of the Protectorate, and in particular about Nazi rule in the Reichsgau Sudetenland. This essay explores how legal proceedings relating to different Nazi camp complexes were conducted under these conditions in the western part of Czechoslovakia.

Sabina Ferhadbegović: »Vor dem Gericht des Volkes«: Das Lager Jasenovac in den ersten jugoslawischen Kriegsverbrecherprozessen

Bereits während des Zweiten Weltkrieges begann die 1943 gegründete jugoslawische Staatliche Kommission zur Feststellung von Verbrechen der Besatzer und ihrer Helfer Unterlagen zu sammeln, um die Kriegsverbrechen der NSBesatzer und der mit ihnen zusammenarbeitenden einheimischen Ustascha- und anderer Militäreinheiten zu belegen. Nach der Befreiung des Lagers Jasenovac nahmen die Kommissionsmitglieder die ersten Zeugenaussagen auf, fotografierten das zerstörte Lager und dokumentierten die Leichen der Ermordeten, die Massengräber und die Aussagen der Überlebenden. Ihre Akten legten die Grundlage für die ersten jugoslawischen Kriegsverbrecherprozesse, bei denen es um weit mehr ging, als Recht zu sprechen oder mit ehemaligen und zukünftigen Gegnern abzurechnen. Die Prozesse sollten die kommunistische Machtübernahme legitimieren und ein moralisch und ideologisch begründetes Gegenmodell zur Besatzungsherrschaft und zum System des monarchischen Jugoslawiens begründen. Im Aufsatz wird analysiert, welche Bedeutung die Kommission bei der Ahndung von Kriegsverbrechen hatte und auf welche Weise die Öffentlichkeit in den Prozessen über das Konzentrationslager Jasenovac informiert wurde. Dabei wird argumentiert, dass im Jugoslawien der Nachkriegszeit die Gerichte zu Orten der Geschichtsschreibung wurden und die Grundlagen der öffentlichen Wahrnehmung von Jasenovac legten, die bis heute die Erinnerung an diesen Tötungsort prägen.

Sabina Ferhadbegović: “Before the court of the people”: The Jasenovac camp in the first Yugoslav war crimes trials

 Even during World War II, the Yugoslav State Commission for Investigating the Crimes of the Occupiers and their Helpers, which had been founded in 1943, began collecting documents as evidence of the war crimes of the Nazi occupiers and the local members of the Ustashe and other military units who collaborated with them. After the liberation of the Jasenovac concentration camp, the Commission members recorded the first witness testimonies, photographed the destroyed camp and documented the bodies of the murdered prisoners, the mass graves and the statements of survivors. Their files formed the basis of the first Yugoslav war crimes trials, which involved far more than just dispensing justice or reckoning with former and future opponents. The trials were intended to legitimize the Communist seizure of power and represent a morally and ideologically founded counter-model to the occupation and Yugoslavia’s monarchical system. This essay analyses the significance of the Commission in the punishment of war crimes and how the public was informed of the Jasenovac concentration camp during the trials. The author argues that in post-war Yugoslavia, the courts became sites of historiography where the foundations were laid for the public perception of Jasenovac that shapes the memory of this death camp to the present day.

Christian Pöpken: Im Schatten der Royal Warrant Courts. Verfolgung von NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Military Government Courts und Control Commission Courts der britischen Zone (1946–1949)

Verglichen mit den vor Royal Warrant Courts geführten Kriegsverbrecherprozessen ist ein anderer Zweig der britischen Strafverfolgung von NS-Verbrechen weitgehend unbeachtet geblieben: die in der britischen Zone auf Basis von Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG 10) zunächst vor Military Government Courts (MGC) und seit dem 1. Januar 1947 vor Control Commission Courts (CCC) betriebene Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Zivilisten. Die britische Militärregierung bezifferte die Zahl der vor diesen Gerichten wegen NS-Unrechts verhandelten Verfahren bis Mitte 1947 auf vier (mit 36 Angeklagten) und die Zahl der bis Anfang 1949 hinzugekommenen auf 50 (mit 110 Angeklagten). Gelegentlich kamen dabei neben dem erwähnten Tatbestand auch »Kriegsverbrechen« (KRG 10) und Strafnormen aus dem Strafgesetzbuch (StGB) zur Anwendung. Diese Rechtsprechung der MGC und CCC lässt sich in zwei Phasen gliedern: Zunächst fanden Parent Cases statt, bei denen NS-Gewalttaten mit deutschen oder staatenlosen zivilen Opfern verhandelt wurden. Sie sollten der deutschen Rechtspflege als Musterprozesse für entsprechende KRG-10-Verfahren dienen. Ab Mitte 1947 führten die Briten dann eine größere Zahl von Verfahren wegen Menschlichkeitsverbrechen an nicht britischen Alliierten durch, oft osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Im Juli 1949 ging zuletzt auch die Zuständigkeit für Fälle mit alliierten Opfern auf deutsche Gerichte über, denen hierfür als Rechtsgrundlage aber nur das StGB zur Verfügung stand. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die rechtspolitischen Erwägungen der Briten zum KRG 10, die Besonderheiten der Rechtsprechung der MGC und CCC sowie die Frage, warum dieselbe im Schatten der Royal Warrant Courts stand und bis heute ein Desiderat der Juristischen Zeitgeschichte darstellt.

Christian Pöpken: In the shadow of the Royal Warrant Courts: Prosecution of Nazi crimes against humanity by Military Government Courts and Control Commission Courts in the British Zone (1946–1949)

Compared with the war crimes trials held before the Royal Warrant Courts, another branch of the British criminal prosecution of Nazi crimes has been largely overlooked: the punishment of crimes against humanity committed against civilians, which were prosecuted in the British Zone on the basis of Control Council Law No. 10 (CCL 10), first by Military Government Courts (MGC) and then, from 1 January 1947, by Control Commission Courts (CCC). According to the British Military Government, four trials dealing with Nazi crimes (with 36 defendants) were held before these courts by mid-1947, and there were 50 subsequent trials (with 110 defendants) by early 1949. Occasionally, in addition to the cases of crimes against humanity, these courts also tried cases of war crimes (CCL 10) and criminal offences pursuant to the German Criminal Code (Strafgesetzbuch, or StGB). The jurisdiction of the MGC and CCC can be divided into two phases. First there were the Parent Cases, in which Nazi acts of violence with German or stateless civilian victims were prosecuted. These were meant to serve as models for the German judiciary for corresponding CCL 10 trials. From mid-1947 the British held a larger number of trials for crimes against humanity committed against non- British Allies, often Eastern European forced labourers. In July 1949, responsibility for cases involving victims on the Alliesʼ side also 258 Summarys passed to German courts, but the only basis for their jurisdiction was the German Criminal Code. This essay illuminates the legal policy considerations of the British concerning CCL 10, the particularities of the jurisdiction of the MGC and CCC, and the question of why these courts were overshadowed by the Royal Warrant Courts and remain overlooked in legal history to this day.

Georg Hoffmann: Flyer Cases. Britische und amerikanische Militärgerichtsverfahren zur Ahndung von Verbrechen an alliierten Flugzeugbesatzungen (1945–1948)

Unmittelbar nach Kriegsende begannen in Deutschland wie auch in Österreich britische und amerikanische Militärgerichtsprozesse zu den sogenannten Flyer Cases. Diese trugen einem nationalsozialistischen Gewaltphänomen Rechnung, das sich ab 1944 im Kontext des alliierten Bombenkrieges und basierend auf Gewaltfreigaben und -Steuerungen des NSRegimes entwickelt hatte: die sogenannte Fliegerlynchjustiz an britischen und amerikanischen Flugzeugbesatzungen, die über dem Deutschen Reich abgeschossen worden waren. Bis 1948 wurden über 300 derartige Militärgerichtsverfahren angestrengt, die sich in mehreren Spannungsfeldern bewegten. Vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich breit verankerten Opferwahrnehmung des Bombenkrieges konnten diese Verfahren kein tieferes Bewusstsein über die Dimension und Tragweite der Verbrechen erzeugen. Die öffentliche Diskussion dazu brach nach 1948 abrupt ab. So geriet einer der ersten nationalsozialistischen Verbrechenskomplexe, der durch die alliierte Militärgerichtsbarkeit aufgegriffen worden war, weitgehend in Vergessenheit und harrt bis heute einer umfassenden wissenschaftlichen Erschließung.

Georg Hoffmann: Flyer cases: British and American military trials for crimes against Allied airmen (1945–1948)

Immediately after the war, British and American military courts began trying what were known as flyer cases in Germany and Austria. These were a response to a Nazi phenomenon that had developed from 1944 in the context of the Allied bombing war and was based on the Nazi regime’s approval and management of the use of violence: the lynching of British and American airmen who had been shot down over the German Reich. By 1948, over 300 such military trials had been initiated in the context of multiple fields of tension. In light of the widespread social perception that Germany had been the victim of the bombing war, these trials were unable to generate any deeper awareness of the dimension and scope of the crimes. The public discussion about them broke off abruptly after 1948. As a result, one of the first Nazi crime complexes to be addressed by Allied military courts was largely forgotten, and it awaits comprehensive scholarly study to this day.

Alyn Beßmann, Peter Pirker und Lisa Rettl: KZ-Häftlinge als Akteure der Strafverfolgung von NS-Tätern. Ein Vergleich britischer Justizverfahren zu Verbrechen im KZ Neuengamme und im Außenlager Loibl/Ljubelj des KZ Mauthausen

Sowohl im Norden als auch ganz im Süden des besiegten Großdeutschen Reiches fanden britische Militärjustizverfahren nach dem Royal Warrant gegen vormaliges KZ-Personal statt. Der vorliegende Beitrag vergleicht die Rolle, die ehemalige Häftlinge in der juristischen Ahndung der Verbrechen im KZ Neuengamme und des Mauthausen-Außenlagers Loibl/Ljubelj an der österreichisch-slowenischen Grenze spielten. In beiden Lagern unternahmen Häftlinge in den letzten Tagen der NS-Herrschaft Schritte, um eine juristische Ahndung der Verbrechen zu gewährleisten und unterstützten aktiv die nachfolgenden britischen Ermittlungen und Prozesse. Trotz aller quantitativen wie qualitativen Unterschiede zwischen den beiden Lagern als auch zwischen den nachfolgenden Prozessen – die britischen Ermittlungen zum KZ Neuengamme und seinen Außenlagern mündeten zwischen 1946 und 1948 in insgesamt 33 Prozesse mit 118 Angeklagten, jene zum Außenlager Loibl in nur zwei Prozesse im Jahr 1947 mit insgesamt 14 Angeklagten – bietet sich ein Vergleich an, um die britische Justizpolitik in Deutschland und Österreich in einer Gegenüberstellung zu analysieren. Der Fokus des vorliegenden Aufsatzes liegt dabei auf den Aktivitäten, die ehemalige Häftlinge entwickelten, um die Bestrafung ihrer Peiniger in Gang zu setzen: Welche Strategien wählten sie, um ihr Interesse an Strafverfolgung zu artikulieren und zur Geltung zu bringen? Welche Rollen konnten sie im Rahmen rechtsstaatlicher Ermittlungs- und Rechtsprechungsverfahren einnehmen? Welche Faktoren bestimmten ihre Handlungsspielräume und das Ausmaß ihrer Handlungsmacht? Und nicht zuletzt: Welche Übereinstimmungen und Differenzen lassen sich zwischen den Aktivitäten in Hamburg und Kärnten ausmachen? Diesen Fragen wird in einer vergleichend und chronologisch angelegten Darstellung nachgegangen.

Alyn Beßmann, Peter Pirker and Lisa Rettl: Concentration camp prisoners as active participants in the criminal prosecution of Nazi perpetrators: A comparison of British judicial proceedings relating to crimes at Neuengamme and the Loibl/Ljubelj satellite camp of Mauthausen

In both the north and far south of the defeated German Reich, British military justice proceedings based on the Royal Warrant were conducted against former concentration camp personnel. This essay compares the role played by former prisoners in the judicial punishment of crimes committed at Neuengamme concentration camp and at the Loibl/Ljubelj satellite camp of Mauthausen, located on the Austrian/ Slovenian border. In both camps, prisoners took steps in the final days of the Nazi dictatorship to guarantee that the crimes would be legally prosecuted, and they actively supported the subsequent British investigations and trials. Despite all quantitative and qualitative differences between the two camps and between the subsequent trials – the British investigations of Neuengamme and its satellite camps resulted in a total of 33 trials with 118 defendants between 1946 and 1948, while those relating to the Loibl satellite camp led to only two trials in 1947 with a total of 14 defendants – a comparison suggests itself here as a way of analysing British legal policy in Germany and Austria. This essay focuses on the activities developed by former prisoners to set the punishment of their tormentors in motion. What strategies did they choose to articulate 260 Summarys their interest in criminal prosecution and bring it to fruition? What roles could they play in the context of investigative and judicial procedures under the rule of law? What factors determined their scope of action and the extent of their ability to act? And last but not least, what commonalities and differences can be identified between the activities in Hamburg and Kärnten (Carinthia)? These questions are explored in a comparative and chronological approach.

Susan Hogervorst: KZ-Überlebende als Zeuginnen. Der Fall Strippel und die Rolle der Frauen von Vught und Ravensbrück bei der Strafverfolgung (1945–1980)

Eines der berüchtigtsten Ereignisse in der Geschichte der Konzentrationslager in den Niederlanden ist das sogenannte Bunkerdrama im Konzentrationslager Vught (auch KZ Herzogenbusch genannt) im Januar 1944. 74 Frauen wurden dabei eine Nacht lang in eine Einzelzelle gesperrt, zehn von ihnen starben. Ende der 1970er-Jahre reichte Non Verstegen eine Klage gegen Arnold Strippel ein, den einzigen zu dieser Zeit noch lebenden Hauptverantwortlichen für das Bunkerdrama. Verstegen, eine Überlebende sowohl des Bunkerdramas in Vught als auch des Konzentrationslagers Ravensbrück, hatte im Zweiten Weltkrieg dem kommunistischen Widerstand angehört. Im vorliegenden Aufsatz wird anhand des Falls Strippel ein in der umfangreichen Geschichtsschreibung zur juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen bislang wenig beachteter Aspekt analysiert: die Rolle von Opferorganisationen bei der juristischen Verfolgung der Täter. Wie versuchten ehemalige KZ-Häftlinge auf die strafrechtliche Verfolgung von KZ-Personal Einfluss zu nehmen und welche Auswirkungen hatte die juristische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auf die Überlebenden? Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Perspektive der ehemaligen niederländischen Häftlinge der Konzentrationslager Vught und Ravensbrück. Durch eine solche Perspektive wird die grenzüberschreitende Bedeutung der Aburteilung des KZ-Personals sichtbar. Diese spiegelt sich nicht nur in der internationalen Berichterstattung über die Strafprozesse. Wie sich zeigt, wurden die Prozesse auch von KZ-Überlebenden aus verschiedenen Ländern aufmerksam verfolgt, und daraus entstanden unterschiedliche Initiativen der Verfolgtenverbände. Es erscheint daher sinnvoll, die Rezeption der juristischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einer international vergleichenden Analyse zu unterziehen.

Susan Hogervorst: Concentration camp survivors as witnesses: The Strippel case and the part that women from Vught and Ravensbrück played in criminal prosecution (1945–1980)

One of the most infamous events in the history of the concentration camps in the Netherlands is the Bunker Tragedy of Kamp Vught (also known as Herzogenbusch concentration camp), which took place in January 1944. 74 women were locked in a single cell overnight, and ten of them died. At the end of the 1970s, Non Verstegen brought an action against Arnold Strippel, the only one of the main people responsible for the Bunker Tragedy who was still alive at the time. Verstegen, a survivor of both the Bunker Tragedy in Vught and the Ravensbrück concentration camp, had been a member of the Communist resistance during World War II. This essay uses the Strippel case to analyse an aspect that has been largely overlooked in Alliierte Prozesse und NS-Verbrechen – »Beiträge«, Heft 19 261 the extensive written history of the legal prosecution of Nazi crimes: the role of victims’ organisations in the judicial prosecution of the perpetrators. How did former concentration camp prisoners attempt to influence the criminal prosecution of concentration camp personnel, and how did this legal reckoning with the Nazi past affect the survivors? The primary focus is on the perspective of former Dutch prisoners in the Vught and Ravensbrück concentration camps. A perspective such as this reveals the cross-border importance of the sentencing of concentration camp staff. This importance is reflected in the international media coverage of the trials, and it is also clear that the trials were followed closely by concentration camp survivors from different countries, which gave rise to diverse initiatives on the part of survivors’ associations. It therefore seems reasonable to conduct an international comparative analysis of the reception of this legal reckoning with the Nazi past.

Johannes Schwartz: Britische und französische Prozesse gegen SS-Aufseherinnen aus dem Frauen-KZ Ravensbrück im Vergleich

Zwischen September 1945 und September 1951 saßen in britischen und französischen KZ-Prozessen mehr als 55 Aufseherinnen auf der Anklagebank, die im Frauen-KZ Ravensbrück ausgebildet worden waren. Nicht nur die Verhandlungsgegenstände, sondern auch die Rechtsgrundlagen und die Zusammensetzung der Belastungszeuginnen dieser Prozesse unterschieden sich erheblich. So einigten sich die Westalliierten darauf, die »Hauptkriegsverbrecher « des Frauen-KZ Ravensbrück vor ein britisches Militärgericht zu stellen. Am Beispiel des Verfahrens gegen die Hauptangeklagte im sechsten britischen Ravensbrück- Prozess, Emma Zimmer, und gegen die Hauptangeklagte in zwei Verfahren vor Gerichten in Rastatt, Erna Mühlhaus, wird in diesem Aufsatz aus mikrohistorischer Perspektive nach den Möglichkeiten von KZÜberlebenden gefragt, ihre spezifischen Erinnerungen an ihre KZ-Haft zur Sprache zu bringen und die Urteilsfindung zu beeinflussen. In dem britischen Verfahren wurde den Überlebenden sehr viel mehr Freiraum gelassen, ihre Erinnerungen an die Gewalttaten und an die Beteiligung Emma Zimmers an der Mordaktion »14 f 13« vor Gericht darzustellen. Der Judge Advocate nutzte kleine Details in ihren Zeugenaussagen, um der Angeklagten eine eigene Motivation bei den Verbrechen nachzuweisen. Zimmer wurde zum Tode verurteilt. Nachdem Erna Mühlhaus in erster Instanz wegen Gewalttaten, in sieben Fällen mit Todesfolge, zum Tode verurteilt worden war, wollte der vorsitzende Richter des Obergerichts im Revisionsverfahren von den zwei anwesenden Belastungszeuginnen hingegen sehr genau wissen, wie die Angeklagte konkret zum Tod der Opfer beigetragen habe. Am Beispiel einer Vernehmung zeigt der Aufsatz, wie der Richter Ungenauigkeiten und Unsicherheiten aufdeckte und die Zeugin erheblich unter Druck setzte. Das Obergericht wandelte das Todesurteil in eine lebenslange Freiheitsstrafe um. Diese unterschiedlichen Strafrechtsdiskurse sind jedoch keineswegs repräsentativ für die Gesamtheit der britischen und französischen Prozesse gegen KZ-Aufseherinnen, die im Einzelnen von den Überlebenden sehr unterschiedlich erfahren und bewertet wurden. Ein mikrohistorischer Ansatz macht es insofern möglich, jenseits der politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die konkreten Erfahrungen von KZ-Überlebenden vor alliierten Militärgerichten akteursbezogen zu erkunden.

Johannes Schwartz: Comparison of British and French trials of female SS guards from the Ravensbrück concentration camp

Between September 1945 and September 1951, more than 55 female guards who had been trained at the Ravensbrück women’s concentration camp sat in the dock at British and French concentration camp trials. But the crimes in question, the legal foundations of the trials and the composition of the witnesses for the prosecution differed considerably. The Western Allies had agreed to try the “major war criminals” from the Ravensbrück women’s concentration camp before a British military court. Based on the proceedings against the main defendant in the sixth British Ravensbrück trial, Emma Zimmer, and against the main defendant in two trials before courts in Rastatt, Erna Mühlhaus, this essay adopts a micro-historical perspective to explore the options available to concentration camp survivors for expressing their specific experiences of imprisonment and thus influencing the sentencing. In the British trial, the survivors were given much more leeway to describe to the court their memories of the acts of violence and the involvement of Emma Zimmer in the “14 f 13” murder campaign. The Judge Advocate used minor details from their witness testimonies to prove that the defendant had her own motivation to commit the crimes. Zimmer was sentenced to death. After Erna Mühlhaus had been sentenced to death in the first instance for acts of violence leading to death in seven cases, the presiding judge of the superior court in the appeal proceedings wanted to hear very precisely from the two witnesses for the prosecution how the defendant had specifically contributed to the death of the victims. This essay looks at a cross-examination to show how the judge exposed inaccuracies and uncertainties and placed the witness under considerable pressure. The superior court commuted the death sentence to life imprisonment. These different criminal law discourses are in no way representative of the totality of British and French trials of female concentration camp guards, which were experienced and assessed in very different ways by the survivors. But a micro-historical approach makes it possible to examine the concrete experiences of concentration camp survivors before Allied military courts depending on the actor involved, beyond the political and social framework conditions.

Marcel Brüntrup: Rühen Baby Case. Der Prozess um das »Ausländerkinderpflegeheim « des Volkswagenwerks

In dem als Rühen Baby Case bezeichneten britischen Kriegsverbrecherprozess, der vom 20. Mai bis zum 24. Juni 1946 in Helmstedt stattfand, wurde der Tod von mehr als 300 Kindern osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen behandelt, die in den letzten beiden Kriegsjahren im sogenannten »Ausländerkinderpflegeheim« des Volkswagenwerks untergebracht waren. Das Heim befand sich zunächst in der »Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben« (heute Wolfsburg) und wurde später in den nahegelegenen Ort Rühen verlegt. Den insgesamt zehn Angeklagten wurde vorgeworfen, an der Tötung dieser Kinder, überwiegend Neugeborene, durch »wilful neglect« (vorsätzliche Vernachlässigung) beteiligt gewesen zu sein. Neben der Darstellung der juristischen Grundlagen dieses Prozesses wird anhand des Verhandlungsprotokolls des Rühen Baby Case die Geschichte des »Ausländerkinderpflegeheims« nachgezeichnet. Das Heim des Volkswagenwerks steht dabei exemplarisch für eine Vielzahl ähnlicher zur Unterbringung osteuropäischer Kinder vorgesehener Einrichtungen, die im Spannungsfeld von nationalsozialistischer Ideologie, Politik und Kriegswirtschaft entstanden. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Urteilsfindung gelegt, wobei sowohl die Verteidigungsstrategie des Hauptangeklagten als auch die Argumentation der Anklage in den wichtigsten Punkten nachvollzogen werden.

Marcel Brüntrup: The Rühen Baby Case: The trial relating to the “Foreign Children’s Home” operated by Volkswagen

The British war crimes trial known as the Rühen Baby Case, which was held in Helmstedt from 20 May to 24 June 1946, covered the death of more than 300 children of Eastern European forced labourers who had been housed in what was known as the “Foreign Children’s Home” of Volkswagen in the last two years of the war. The home was initially located in the “City of the Strength-Through- Joy Car at Fallersleben” (today Wolfsburg) and was later moved to the nearby village of Rühen. The ten defendants were accused of complicity in the killing these children, most of whom were newborns, through “wilful neglect”. In addition to explaining the legal basis of this trial, the essay traces the history of the “Foreign Children’s Home” based on the trial transcript from the Rühen Baby Case. The children’s home operated by Volkswagen is an example of many similar institutions for housing Eastern European children which were established in the field of tension between Nazi ideology, policy and the war economy. A special focus is placed on how the verdict was reached, and the essay recounts the most important points of the strategy of the main defendant and the arguments of the prosecution.

Bernhard Gelderblom und Janna Lölke: Die Vollstreckung von Todesurteilen in der britischen Zone am Beispiel der Hinrichtungsstätten in Hameln und Wolfenbüttel

Zwischen 1945 und 1949 verhängte die britische Militärregierung in ihrer Zone 584 Todesurteile, von denen 397 vollstreckt wurden. Wer waren die Angeklagten? Für welche Verbrechen und Vergehen wurden sie zum Tode verurteilt? Wie wurden die Hinrichtungen ausgeführt und wie ging man mit den Toten um? Der vorliegende Beitrag nimmt die Hinrichtungspraxis in der britischen Zone anhand zweier Hinrichtungsstätten genauer in den Blick. Das Zuchthaus Hameln war der zentrale Ort für die Hinrichtung von Kriegsverbrecherinnen und -verbrechern in der britischen Zone. Die strafrechtliche Verfolgung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen war ein grundlegendes Anliegen der Alliierten. Vollstreckt wurden die Hinrichtungen in Hameln nach britischer Tradition durch den Strang und von einem britischen Henker. Weniger bekannt ist, dass die Militärregierung bei Verstößen gegen das Besatzungsrecht gleichfalls rigoros vorging – insbesondere wenn sie die Sicherheit der eigenen Streitkräfte gefährdet sah, sowie bei Gewaltverbrechen. Im Strafgefängnis Wolfenbüttel wurden Todesurteile gegen deutsche Zivilisten durch Enthaupten vollstreckt. Ein bemerkenswert großer Teil der in der britischen Zone verhängten Todesurteile richtete sich zudem gegen alliierte Staatsangehörige, dabei handelte es sich um ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge aus Osteuropa. Diese wurden zunächst durch militärische Erschießungskommandos u. a. in Wolfenbüttel hingerichtet, ab Juni 1947 dann im Zuchthaus Hameln durch Erhängen.

Bernhard Gelderblom and Janna Lölke: The enforcement of death sentences in the British Zone based on the execution sites in Hameln and Wolfenbüttel

Between 1945 and 1949 the British Military Government passed 584 death sentences in its zone, 397 of which were enforced. Who were the defendants? For which crimes and offences were they sentenced to death? How were the executions carried out, and what was done with the bodies of the executed? This essay takes a closer look at execution practices in the British Zone based on the example of two execution sites. The Hameln prison was the central execution site for male and female war criminals in the British Zone. The criminal prosecution of Nazi crimes of violence was a major concern for the Allies. Executions in Hameln were carried out in accordance with the tradition in force in Great Britain at the time, i.e. by a British hangman. What is less widely known is that the military government prosecuted breaches of occupation law just as rigorously – especially when it felt that the safety of its own armed forces was threatened, and in the case of violent crimes. In the Wolfenbüttel prison, German civilians who had been sentenced to death were executed by beheading. A remarkably large number of the death sentences passed in the British Zone applied to Allied nationals, namely, former forced labourers and concentration camp prisoners from Eastern Europe. Their executions were initially carried out by military firing squads in Wolfenbüttel and elsewhere, but from June 1947 they were executed by hanging in the Hameln prison.

Margaretha Franziska Vordermayer: Britische Offiziere als Verteidiger vor alliierten Militärgerichten

In der britischen Besatzungszone wurden zwischen Herbst 1945 und Dezember 1949 insgesamt 329 Militärgerichtsprozesse gegen 964 Angeklagte durchgeführt. In diesen Militärgerichtsprozessen traten neben deutschen Anwälten auch britische Militärangehörige als Verteidiger auf – insgesamt 46 britische Offiziere nahmen ein Mandat als Pflichtverteidiger in diesen Gerichtsprozessen wahr. Das Aufeinandertreffen von zumeist deutschen Angeklagten auf der einen und von britischen Verteidigern, Anklägern und Richtern auf der anderen Seite schuf dabei ein spezifisches Spannungsverhältnis. Im Zentrum des Beitrags steht die vergessene Rolle der britischen Offiziere, die mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher als Pflichtverteidiger vor diesen Militärgerichten vertraten und das Bild ihrer Mandanten in der Öffentlichkeit maßgeblich prägten. Die Prozesse werden sowohl nach Angeklagten wie verhandelten Verbrechenskomplexen, Urteilen und Strafmaß differenziert. Dabei wird das Rollenverständnis der britischen Offiziere in ihrem militärischen Umfeld und während ihrer Tätigkeit als Verteidiger vor Gericht beleuchtet. Die Möglichkeiten einer effektiven Verteidigung wurde vor allem von zwei Faktoren bestimmt: zum einen durch die Verfahrensregeln der Militärgerichtsbarkeit, zum anderen durch den Versuch der britischen Besatzungsmacht, durch die Demonstration von Recht und Gerechtigkeit gegenüber dem ehemaligen Feind Vertrauen für den (Wieder-)Aufbau einer demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung zu schaffen. Deshalb handelten die britischen Offiziere nicht nur als integraler Bestandteil eines militärischen Apparats, sondern als Verteidiger und professionelle Juristen hatten sie zusätzlich die Aufgabe zu erfüllen, für ein demokratisches Rechtsideal einzutreten.

Margaretha Franziska Vordermayer: British officers as defence counsel before Allied military courts

Between the autumn of 1945 and December 1949, a total of 964 defendants were tried in 329 cases before military courts in the British Zone. In these military trials, the defendants were represented by German solicitors as well as British military personnel – a total of 46 British officers accepted the mandate as court-appointed defenders in these trials. A particular tension arose in the encounter between the defendants, most of whom were German, and the defence counsel, prosecutors and judges, who were British. This essay looks at the forgotten role of British officers who represented alleged German war criminals as court-appointed counsel before these military courts and who largely shaped the public image of their clients. The trials are differentiated based on the defendants as well as the crime complexes that were tried, the judgments and the sentences. The essay illuminates how the British officers perceived their role in their military environment and while serving as defence counsel. Their ability to provide effective defence was determined primarily by two factors: first, the rules of procedure of military jurisdiction, and second, the attempt by the British occupying forces to generate trust in the (re-)establishment of a democratic and constitutional order through a demonstration of law and justice for the former enemy. For this reason, the British officers not only acted as an integral part of the military apparatus; as defence solicitors and professional jurists, it was also their responsibility to stand for a democratic legal ideal.

Reimer Möller: »Ununterbrochen in innerer Abwehrstellung «. Deutsche Verteidiger in den britischen Hauptprozessen zu den KZ Neuengamme und Ravensbrück sowie im Verfahren zu Tesch & Stabenow (1946–1947)

Als die britische Militärjustiz ab 1946 Verfahren zur strafrechtlichen Ahndung von NS-Verbrechen einleitete, sah sie sich mit dem Problem konfrontiert, dass nicht genügend politisch unbelastete deutsche Rechtsanwälte als Verteidiger zur Verfügung standen. Die Auswahl der Verteidigeranwälte wurde deshalb unter pragmatischen Gesichtspunkten vollzogen, ohne den Abschluss ihrer Entnazifizierungsverfahren abzuwarten. Wie niedrig die Anforderungen an politische Integrität waren, zeigen exemplarisch die präsentierten zwölf Verteidiger-Biogramme. Acht von ihnen waren NSDAP-Mitglieder gewesen, nur einer hatte sich von jeder Mitgliedschaft in NS-Organisationen freigehalten. Fachlich hatte niemand von ihnen seinen Schwerpunkt bisher im Strafrecht gehabt. Vielmehr hatten sich alle im Handels- und Steuerrecht spezialisiert und waren für gewerbliche Unternehmen oder Interessenverbände tätig gewesen oder hatten gewerbliche Berufe ausgeübt. In den beiden großen international beachteten Verfahren gegen SS-Personal oder Funktionshäftlinge der Konzentrationslager Neuengamme und Ravensbrück wirkten die deutschen Verteidiger indessen loyal mit, wofür ihnen der stellvertretende Leiter der britischen Militärjustizbehörde ausdrücklich dankte. Umso mehr muss es irritieren, dass dieselben Rechtsanwälte in späteren Verfahren die britische Justiz frontal angriffen und den rechtsstaatlichen Charakter der Gerichte und die politische Berechtigung der Verfahren bestritten.

Reimer Möller: “Sustained defensive stance”: German defence counsel in the main British trials relating to the Neuengamme and Ravensbrück concentration camps and in the Tesch & Stabenow trial (1946–1947)

When the British military judiciary initiated proceedings for the punishment of Nazi crimes in 1946, it faced the problem of an insufficient number of German defence solicitors who were not politically incriminated. Solicitors for the defence were therefore sometimes chosen for pragmatic reasons, even before they had been denazified. The twelve short biographies of the defence solicitors presented here show how low the bar was for their political integrity. Eight of them had been members of the Nazi Party, and only one had never been a member of any Nazi organisation. Professionally, none of them had previously specialised in criminal law. Instead, they had all focussed on business and tax law and had either worked for commercial enterprises or interest groups or had pursued other commercial careers. However, in the two major trials of SS personnel and prisoner-functionaries from the Neuengamme and Ravensbrück concentration camps, which received international coverage, the German solicitors for the defence cooperated faithfully, for which they were expressly thanked by the deputy director of the British military judicial authorities. It is all the more unsettling, therefore, that in later trials the same solicitors attacked the British judiciary head-on and contested the constitutional character of the courts and the political justification for the trials.

Reimer Möller: Betreuungsarbeit »in aller Stille«: Die Zentrale Rechtsschutzstelle in Bonn und der »Ausschuss der Hamburger Werl-Verteidiger«

1949 wurde im Bundesjustizministerium die Zentrale Rechtsschutzstelle eingerichtet, die deutsche Staatsangehörige unterstützen sollte, die im Ausland wegen NS-Kriegsverbrechen verurteilt worden waren. Diese Fürsorge sollte auch den Verurteilten zuteilwerden, die ihre Haftstrafen in alliierten Gefängnissen in Deutschland verbüßten. Die Bundesbehörde wurde nicht direkt tätig, sondern vermittelte Rechtsanwälte, die möglichst auch schon als Verteidiger ihrer Mandanten in den britischen Strafverfahren aufgetreten waren. Deren Kosten wurden, da den Inhaftierten durchweg Armenrecht zugebilligt wurde, aus Bundesmitteln gezahlt. Auf die Gesuche der Anwälte um Revision der Urteile, Haftverkürzung oder Begnadigung reagierten die britischen Besatzungsbehörden nicht wie erwünscht. Daraufhin griffen die Rechtsanwälte zu politischen Mitteln und initiierten Pressekampagnen, stellten Kontakt zu einflussreichen britischen Kritikern der Militärjustiz ihres Landes her und stimmten mit ihnen Initiativen ab, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Diese Kampagne gipfelte in einer Rede Lord Hankeys im britischen Oberhaus und der »Werl«-Erklärung von 37 Hamburger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten im September 1951. Die britische Militärjustiz wurde dabei beschuldigt, internationale Standards zu verletzen, die in zivilisierten Staaten üblich seien. Verurteilte Kriegsverbrecherinnen und -verbrecher kamen nach ihrer Haftentlassung in den Genuss von Leistungen nach dem Heimkehrergesetz, und Angehörigen von Gestapo und SS stand auch Haftentschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz zu. Voraussetzung war, dass die ZRS den Betreffenden »Unbedenklichkeitsbescheinigungen « ausstellte, was in breiter Form geschah.

Reimer Möller: Support work “in secrecy”: The Central Legal Protection Agency in Bonn and the “Committee of Hamburg-Werl Defence Solicitors”

The Central Legal Protection Agency was established at the Federal Ministry of Justice in 1949 to support German citizens who had been convicted in other countries of Nazi war crimes. This support was also to be provided to convicted criminals who were serving prison sentences in Allied prisons in Germany. The federal agency did not act directly but instead supplied solicitors, ideally those who had represented their clients as defence counsel in the British criminal proceedings. Since the imprisoned criminals were granted the right to legal aid, the solicitors’ fees were paid using federal funds. The British occupation authorities did not respond as hoped to the solicitors’ petitions to have sentences reviewed, prison terms reduced or pardons granted. The solicitors therefore made use of political tools and launched press campaigns, established contact with influential British critics of their country’s military justice system and organised initiatives with them to influence public opinion. This campaign culminated in a speech by Lord Hankey in the House of Lords and in the “Werl” declaration signed by 37 solicitors from Hamburg in September 1951, which accused the British military judiciary of flouting the international standards accepted in civilized countries. After being released from prison, convicted war criminals could take advantage of benefits under the Returnees Act, and former members of the Gestapo and SS were also entitled to compensation for their imprisonment according to the Prisoner of War Compensation Act. The prerequisite for this was that the Central Legal Protection Agency had to issue “certificates of good standing” to the persons concerned, which it did on a large scale.

Mirjam Schnorr: »Es ist in meiner Gegenwart niemals jemand erschossen worden«. Der Prozess gegen Franz Murer vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz 1963

Franz Murer, 1912 in Österreich geboren und ehemaliger »Junker« der Ordensburg Krössinsee, bekleidete während des Zweiten Weltkrieges im Gebietskommissariat Wilna-Stadt, heute Litauen, das Amt des Stabsleiters und Zuständigen für »Judenangelegenheiten«. Er war einer der Hauptverantwortlichen für die Massenvernichtung des jüdischen Volkes in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten der Sowjetunion. 1948 verurteilte ihn ein sowjetisches Militärtribunal zu 25 Jahren Haft. Seine vorzeitige Entlassung im Zuge der Heimkehrertransporte aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft schuf die Möglichkeit einer juristischen Ahndung seiner Verbrechen in Österreich. Das Landesgericht für Strafsachen Graz als Geschworenengericht sprach Murer jedoch im Jahr 1963 in einem vielfach als Skandal bezeichneten Urteil frei. Der Beitrag geht auf Basis einer intensiven Untersuchung der Verfahrensakten im Fall Murer den Fragen nach, wie Murer in den Blickpunkt der Justiz geriet, welche Verteidigungsund Rechtsfertigungsstrategien er im Laufe seines Verfahrens entwickelte, in welcher Diskrepanz diese zu den ihm vorgeworfenen Taten standen, wie Opfer- und Täterzeugen auftraten und wie sich der Ablauf des Verfahrens gestaltete sowie welche Folgen daraus resultierten. Untersucht wird auch, zu welchem Zeitpunkt des Verfahrens und auf Basis welcher Beweg268 Summarys gründe die Grundlage für einen Skandal gelegt wurde. Der Prozess gegen Murer steht beispielhaft nicht nur für die Abneigung der österreichischen Justiz in der Nachkriegszeit, sich mit vergangenen NS-Verbrechen zu konfrontieren, sondern auch für das langlebige Verdrängen und die Weigerung breiter Bevölkerungsschichten des Landes, Verantwortung für begangenes Unrecht zu übernehmen.

Mirjam Schnorr: “No one was ever shot in my presence”: The trial of Franz Murer before the Graz Regional Criminal Court in 1963

Franz Murer, born in 1912 in Austria, was a former “Junker” of the Ordensburg Krössinsee academy. During World War II he served as staff director in the Gebietskommissariat Wilna-Stadt (Vilnius, now in Lithuania), where he was responsible for “Jewish affairs”. He was one of the main perpetrators responsible for the mass annihilation of the Jewish people in the territories of the Soviet Union occupied by the Germans. In 1948 a Soviet military tribunal sentenced him to 25 years in prison. His early release in the context of transports for returning prisoners of war who had been held in the Soviet Union offered the opportunity for the legal prosecution of his crimes in Austria. But the Regional Criminal Court in Graz, serving as the jury court, acquitted Murer in 1963 in a trial referred to by many as a scandal. On the basis of an intensive investigation of the files pertaining to the Murer case, this essay explores the questions of how Murer became the focus of legal action, which defence and justification strategies he developed in the course of his trial, the discrepancy between these and the crimes of which he was accused, how victims and perpetrators acted as witnesses, the course taken by the trial and its consequences. The essay also looks at when and for what reasons the trial gradually became a scandal. The Murer trial is an example not only of the reluctance of the Austrian judicial system to confront Nazi crimes in the post-war period, but also of the long-lasting suppression and refusal of broad sections of the country’s population to accept responsibility for the crimes that were committed.

Details

Number
481
Isbn
978-3-8378-4059-9
Year
2020
Languages
German