Wehrmacht und Konzentrationslager

Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Band 13
Herausgegeben von: KZ-Gedenkstätte Neuengamme
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Beschreibung

Aus dem Inhalt:

- Stefan Hördler: Wehrmacht und KZ-System. Zum Einsatz von Wehrmachtssoldaten in den KZ-Wachmannschaften 1944/45

- Reimer Möller: Wehrmachtsangehörige als Wachmannschaften im KZ Neuengamme

- Marc Buggeln: Unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Außenlagern des KZ Neuengamme unter Wehrmachts- und unter SS-Bewachung? Klärungsansätze auf der Basis quantitativer und qualitativer Daten

- Christine Glauning: Wehrmachtsangehörige als Wachmänner und Angehörige der Lagerverwaltung am Beispiel des KZ-Außenlagers Bisingen

- Hans-Peter Klausch: Von der Wehrmacht ins KZ: Die Häftlingskategorien der SAW- und Zwischenhaft-Gefangenen

- Rolf Keller: Sowjetische Kriegsgefangene im KZ. Zur Kollaboration von Wehrmacht, Gestapo und SS

- Christian Römmer: "Zugang nach Einsatzkommando SS". Mordaktionen an sowjetischen Kriegsgefangenen im KZ Neuengamme

- Ramona Saavedra Santis: Frauen der Roten Armee im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück

- Albert Knoll: Humanexperimente der Luftwaffe im KZ Dachau: Die medizinischen Versuche Dr. Sigmund Raschers

- Astrid Ley: "Arzneimittelversuch zur Hebung der Leistungsfähigkeit und Wachhaltung". Humanexperimente der Marine auf der Schuhprüfstrecke des KZ Sachsenhausen

Stefan Hördler: Wehrmacht und KZ-System. Zum Einsatz von Wehrmachtssoldaten in den KZ-Wachmannschaften 1944/45

Der Transformationsprozess der Konzentrationslager im letzten Kriegsjahr wurde bislang nicht als eigenständige Phase des KZ-Systems wahrgenommen, sondern vorrangig aus der Perspektive von Räumung und "Todesmärschen " betrachtet. Desorganisation, Chaos und Willkür schienen die Schlussphase zu dominieren. Dabei wurde häufig übersehen, dass das KZ-System mit Beginn des letzten Kriegsjahres nochmals tief greifende organisatorische und personelle Einschnitte erfuhr. Trotz der enormen personellen Veränderungen durch Frontversetzungen erfahrener SS-Angehöriger der Lagerleitungen, Personalkürzungen und Aufweichung des ideologisch rekrutierten SS-Ordens konnte das KZ-System durch pragmatische Umgestaltungen relativ stabil und funktionsfähig gehalten werden. Am stärksten von diesen Umgestaltungen waren die SS-Wachverbände der Konzentrationslager betroffen, die ab 1944 schätzungsweise nur noch zu weniger als 5 % aus altgedienten SS-Kadern der Vorkriegszeit bestanden. Die Mehrheit stellten "volksdeutsche SS-Freiwillige" aus Südosteuropa, "fremdvölkische Hilfswillige" aus den besetzten Ostgebieten und bedingt kriegsverwendungsfähige Soldaten der Wehrmacht. Im Zentrum des Beitrags steht die Einbeziehung der Wehrmachtssoldaten in die Bewachung der Konzentrationslager 1944/45: der quantitative Umfang ihres Einsatzes, ihre Schulung und Disziplinierung, ihre Beteiligung an Verbrechen und ihr Verhalten und dessen Auswirkungen auf die Haftbedingungen der KZ-Gefangenen.

Reimer Möller: Wehrmachtsangehörige als Wachmannschaften im KZ Neuengamme

Im Herbst 1944 hat im KZ Neuengamme ein umfangreicher Personalaustausch stattgefunden, bei dem ca. 200 Angehörige des Neuengammer Wachsturmbanns als "Kampf-Marschverband Kurmark" auf den Waffen-SS-Truppenübungsplatz "Kurmark" bei Jamlitz in Brandenburg verlegt wurden. Sie wurden dort auf Kampfeinsätze vorbereitet und auf verschiedene Waffen-SS-Verbände in Frankreich verteilt. Als Ersatz erhielt das KZ Neuengamme ein zwölfeinhalbmal größeres Kontingent von Soldaten aus allen Wehrmachtteilen. Diese erhebliche Personalverstärkung korrespondierte mit der gleichzeitigen Expansion des Außenlagersystems des KZ Neuengamme und dem damit stark gestiegenen Bedarf an Bewachungspersonal. Das Heer stellte viele Soldaten in höherem Lebensalter und/oder mit körperlichen Tauglichkeitsmängeln ab. Die Kriegsmarine entsandte voll taugliche Artilleristen und Matrosen, die zu Besatzungen versenkter Schiffe oder zum Bedienungspersonal aufgegebener Küstenverteidigungsbatterien gehört hatten. Der Abzug altgedienten SS-Personals machte es erforderlich, Offizieren und Unteroffizieren der Wehrmacht Führungspositionen zu übertragen. Mehrere von ihnen wurden Führer von Außenlagern. Die dort gegebene Möglichkeit, auf die Haftbedingungen Einfluss zu nehmen, wurde unterschiedlich genutzt. Einige Außenlagerführer aus der Wehrmacht verboten die Gewaltanwendung gegen Häftlinge und sorgten für eine wirksame medizinische Betreuung und ausreichende Ernährung, andere verhielten sich trotz der menschenunwürdigen Verhältnisse passiv, wieder andere agierten ebenso gewalttätig wie langjährig in der SS eingeübtes KZ-Personal. Dasselbe Verhaltensspektrum zeigt sich bei den als Bewachern eingesetzten einfachen Wehrmachtssoldaten. Fürsorgliches und gewaltloses Verhalten ist ebenso bezeugt wie Prügeln und willkürliche Tötungen von Häftlingen. Obwohl die 1944 neu in den KZ-Wachdienst gekommenen Wehrmachtsangehörigen die große Mehrheit des Bewachungspersonals stellten, funktionierte die Häftlingsbewachung weiter nach den Standards der SS. Nur gelegentlich kam es mit dem neuen Personal zu geringfügigen Verbesserungen der Verhältnisse.

Marc Buggeln: Unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Außenlagern des KZ Neuengamme unter Wehrmachts- und unter SS-Bewachung? Klärungsansätze auf der Basis quantitativer und qualitativer Daten

Seit Langem ist bekannt, dass ab dem Frühjahr 1944 nur noch bedingt kampftaugliche Wehrmachtssoldaten in bedeutender Zahl als Bewacher in den Konzentrationslagern eingesetzt wurden. Während die Bedingungen und der Umfang dieses Einsatzes in den letzten Jahren immer weiter aufgeklärt werden konnten, ist bisher nur in Ansätzen untersucht worden, welche Auswirkungen dieser Einsatz von Wehrmachtssoldaten für die Lebensbedingungen der KZ-Häftlinge gehabt hat. Zur Beantwortung dieser Frage wird in der Forschung vor allem auf die Aussagen ehemaliger Häftlinge zurückgegriffen. Darin werden die Wehrmachtssoldaten, insbesondere jene im höheren Alter, in der Mehrzahl eher als deutlich weniger gewalttätig als die SS-Männer beschrieben, wobei immer wieder aber auch über besonders brutal vorgehende Soldaten berichtet wird. Der Beitrag zeigt Letzteres anhand eines Beispiels. Zudem wird versucht, anhand zweier anderer Quellenarten neues Licht auf die Frage zu werfen. Erstens wird mit einem quantitativen Zugang über die Sterblichkeitsraten geprüft, ob in den Außenlagern des KZ Neuengamme mit Lagerführern von der Wehrmacht beziehungsweise in jenen Außenlagern, in denen die Wehrmacht als Auftraggeber größeren Einfluss hatte, die Verhältnisse besser waren als in anderen Außenlagern. Zweitens wird anhand von Briefen zweier Soldaten an ihre Frauen untersucht, welches Bild vom Wachdienst und von den Häftlingen von den Schreibern gezeichnet wird. Die quantitative Untersuchung zeigt, dass sich in den Lagern mit einem besonders starken Einfluss der Wehrmacht die Verhältnisse nicht wesentlich von denen in anderen Außenlagern unterschieden. Die biografischen Skizzen geben Hinweise, welche Haltungen der eingesetzten Wehrmachtssoldaten hierbei eine Rolle gespielt haben könnten.

Christine Glauning: Wehrmachtsangehörige als Wachmänner und Angehörige der Lagerverwaltung am Beispiel des KZ-Außenlagers Bisingen

Der Beitrag beleuchtet exemplarisch, wie sich in der Kriegsphase ab Sommer 1944 die personelle Situation in den Außenlagern des KZ Natzweiler veränderte. Nicht nur die Wachmannschaften bestanden fast ausschließlich aus Wehrmachtssoldaten, ehemalige Soldaten stellten in vielen Außenlagern auch den Lagerführer und besetzten zentrale Positionen innerhalb der Lagerverwaltung. Dabei war die Situation im KZ-Komplex Natzweiler eine besondere, da das Hauptlager bereits im Spätsommer 1944 aufgelöst wurde, während die rechtsrheinischen Außenlager noch bis Frühjahr 1945 weiterbestanden. Die zentrale Frage lautet, welche Auswirkungen der verstärkte Einsatz von Soldaten auf das innere Gefüge der Lager und vor allem auf den Alltag und die Überlebenschancen der Häftlinge hatte. Am Beispiel von Johannes Pauli wird die Biografie eines von der Wehrmacht zur SS überstellten Lagerführers untersucht. Im Fokus steht nicht nur sein Verhalten im KZ-Außenlager Bisingen, sondern es wird auch aufgezeigt, dass seine Funktion als Lagerführer aufgrund seiner Sozialisation in unterschiedlichen gewalttätigen Milieus vor und nach 1933 keinen radikalen Bruch mit seinem vorherigen Werdegang bedeutete. Den Aufsatz beschließt ein Blick auf die in der Nachkriegszeit gegen Angehörige der Wachmannschaften und der Lagerverwaltung des Außenlagers Bisingen geführten Ermittlungsverfahren und Prozesse vor verschiedenen Gerichten. Zehn Täter wurden durch das französische Militärgericht Rastatt zum Teil zu drakonischen Strafen verurteilt; der Prozess gegen Johannes Pauli vor einem Schweizer Gericht endete ebenfalls mit einem Schuldspruch - im Gegensatz zu allen deutschen Ermittlungsverfahren und Prozessen gegen die im KZ-Außenlager Bisingen verantwortlichen Männer.

Hans-Peter Klausch: Von der Wehrmacht ins KZ. Die Häftlingskategorien der SAW- und Zwischenhaft-Gefangenen

Noch immer ist wenig bekannt, wie die Wehrmacht das nationalsozialistische KZ-System zur Disziplinierung und Aussonderung dysfunktionaler dysfunktionaler Soldaten nutzte. Ausgangspunkt der KZ-Einweisungen deutscher Soldaten war das im Zusammenwirken von Truppenführung, Wehrmachtjustiz, Militärpsychiatrie und -psychologie entstandene System der Erziehungs-, Straf- und Bewährungseinheiten der Wehrmacht. Der Beitrag zeigt auf, wie diese Sonderformationen in unterschiedlichem Umfang und in Abhängigkeit vom Kriegsverlauf auf die Möglichkeit der KZ-Einweisung zurückgegriffen haben. Insgesamt wurden zwischen 1938 und 1945 im Zuge der "Sonderaktion Wehrmacht" (SAW) 550 bis 750 Soldaten wegen "Wehrdienstsabotage" in Konzentrationslager eingewiesen, wo sie allgemein als "SAW-Häftlinge" geführt wurden. Hinzu kamen ab dem Sommer 1944 rund 950 sogenannte "Zwischenhäftlinge", die nach militärgerichtlich verhängten Todes- oder Zuchthausurteilen in die Konzentrationslager Buchenwald und Mauthausen überstellt wurden, um dort ihre Arbeitskraft auszubeuten. Der Autor liefert Einblicke in die sehr heterogene Zusammensetzung der SAW- und Zwischenhaft- Gefangenen und verweist auf noch bestehende Desiderata der Forschung.

Rolf Keller: Sowjetische Kriegsgefangene im KZ. Zur Kollaboration von Wehrmacht, Gestapo und SS

Während des Krieges gegen die Sowjetunion gerieten mehr als 5,3 Millionen Soldaten der Roten Armee in deutsche Gefangenschaft. Im Falle der sowjetischen Kriegsgefangenen missachtete die Wehrmacht als zuständige Einrichtung wesentliche Punkte der Genfer Konvention von 1929 zur Behandlung der Gefangenen. Unter anderem lieferte sie Zehntausende von Rotarmisten an die SS aus. Der Aufsatz gibt einen systematischen Überblick der verschiedenen Formen der Kollaboration zwischen der Wehrmacht und dem NS-Sicherheits- und -Verfolgungsapparat: Die Wehrmacht kooperierte mit dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA), der Gestapo und der SS bei der "Aussonderung" sogenannter "untragbarer Elemente" (vor allem Juden und "Bolschewisten") unter den sowjetischen Soldaten in den Kriegsgefangenenlagern, die anschließend in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Der Höhepunkt dieser Mordaktion datiert in den Herbst 1941. Eine bisher nicht bekannte Zahl sowjetischer Kriegsgefangener wurde zwischen 1941 und 1945 wegen Fluchtversuchs, Widerstands, Verkehrs mit deutschen Frauen und anderer "Vergehen" aus der Gefangenschaft "entlassen" und von der Wehrmacht der Gestapo übergeben. Anschließend wurden sie als Häftlinge in die Konzentrationslager eingewiesen oder - bei schwereren Delikten - auf Anordnung des RSHA im KZ ermordet. Dabei wurde mit zunehmender Kriegsdauer dem Arbeitseinsatz immer mehr der Vorrang eingeräumt. Einen Sonderfall stellen die im Herbst 1941 eingerichteten SS-Kriegsgefangenenlager dar. Die hierfür der SS überlassenen Soldaten behielten ihren Gefangenenstatus und wurden in besonderen Teillagern der KZ untergebracht; im Osten wurde eigens SS-Kriegsgefangenenlager neu errichtet: Auschwitz-Birkenau und Majdanek. Die SS erhielt jedoch bei Weitem nicht die vereinbarten Kontingente, und die meisten der SS-Kriegsgefangenen starben im Winter 1941/42; damit waren Himmlers Vorstellungen vom Einsatz eines Riesenheeres von Kriegsgefangenen-Zwangsarbeitern unter Regie der SS gescheitert.

Christian Römmer: "Zugang nach Einsatzkommando SS". Mordaktionen an sowjetischen Kriegsgefangenen im KZ Neuengamme

Die Wehrmacht gab seit August 1941 Zehntausende Soldaten der Roten Armee aus Kriegsgefangenenlagern im Deutschen Reich an die Gestapo und den SD ab. Die Gefangenen wurden in den Konzentrationslagern der SS entweder sofort getötet oder als Arbeitskräfte eingesetzt. Auch in das KZ Neuengamme wurden weit über 2000 sowjetische Kriegsgefangene gebracht. Mindestens 1500 von ihnen kamen im Lager ums Leben. Sie wurden von der SS erschossen, erhängt, mit Gas und Giftspritzen ermordet oder durch systematischen Entzug von Nahrung und medizinischer Versorgung getötet. Im Mittelpunkt des Aufsatzes stehen acht Mordaktionen im KZ Neuengamme, denen zwischen August 1941 und April 1943 insgesamt etwa 600 sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer fielen. In allen Fällen wurden die Männer ausschließlich zur Tötung in das KZ Neuengamme transportiert. Soweit möglich werden der Ablauf und die Hintergründe der verschiedenen Mordaktionen dargestellt. Ergänzend zu den Registerbüchern des Friedhofs Hamburg-Ohlsdorf sowie zahlreichen Erinnerungsberichten und Zeugenaussagen wurden hierfür Gefangenenpersonalunterlagen der Wehrmacht ausgewertet.

Ramona Saavedra Santis: Frauen der Roten Armee im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück

Im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück waren schätzungsweise 23 000 bis 25 000 sowjetische Frauen inhaftiert. Neben einer Mehrheit von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Frauen aus der Zivilbevölkerung, die im Zuge der Räumung der besetzten sowjetischen Gebiete direkt in das Konzentrationslager deportiert wurden, befanden sich darunter auch etwa 800 kriegsgefangene weibliche Angehörige der Roten Armee. Die größte Gruppe der "Rotarmistinnen" bildeten etwa 500 Frauen, die am 26./27. Februar 1943 aus Soest, wo sie die Arbeit für die deutsche Rüstungsindustrie verweigert hatten, nach Ravensbrück gebracht wurden. Am Beispiel der Geschichte dieser Gruppe, die mehrheitlich aus in Sevastopol gefangen genommenem Sanitätspersonal bestand, wird im Beitrag der Weg weiblicher Kriegsgefangener der Wehrmacht von der Gefangennahme über die Entlassung aus der Gefangenschaft und Überführung in den zivilen Status bis zur Einlieferung in das Konzentrationslager nachvollzogen. Darüber hinaus werden die Faktoren untersucht, die dazu beigetragen haben, dass diese Frauen der Roten Armee einen besonderen Erinnerungsort im kollektiven Gedächtnis des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück bilden.

Albert Knoll: Humanexperimente der Luftwaffe im KZ Dachau: Die medizinischen Versuche des Dr. Sigmund Rascher

Mit der zunehmenden Intensität des Luftkriegs im Zweiten Weltkrieg hatte die deutsche Luftwaffe ein verstärktes Interesse an medizinischen Erkenntnissen, mit denen die Überlebenschancen von Menschen in großen Höhen oder in kaltem Wasser erhöht werden könnten. Der mit Heinrich Himmler bekannte Arzt Dr. Sigmund Rascher griff die von der Luftwaffe in Gang gebrachten Forschungen auf und forcierte den Einsatz von KZ-Häftlingen zur Durchführung von Humanexperimenten. Im Februar 1942 wurde hierfür im Konzentrationslager Dachau eine Unterdruckkammer installiert. Die Versuche dauerten bis Mai 1942. Bei den von Sigmund Rascher und dem Flugmediziner Wolfgang Romberg durchgeführten Versuchen wurden etwa 200 Häftlinge solch extremen körperlichen Belastungen ausgesetzt, dass 70 bis 80 von ihnen starben. Die Tests wurden zum Teil gefilmt und die Versuchsergebnisse Heinrich Himmler mitgeteilt. Eine harmlose Darstellungsvariante wurde der medizinischen Öffentlichkeit vorgestellt. Von August bis Dezember 1942 folgten im KZ Dachau Unterkühlungsversuche mit etwa 300 Häftlingen. Auch diese Versuchsreihe wurde maßgeblich von Sigmund Rascher geleitet. Bei den Versuchen starben 80 bis 90 Häftlinge. Rascher und seine Frau wurden 1944 wegen Kindesentführung und Betrugs festgenommen und Anfang 1945 in Konzentrationslagern hingerichtet. Im Nürnberger Ärzteprozess konnte somit der Hauptverantwortliche für die Höhenflug- und Unterkühlungsversuche im KZ Dachau nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden.

Astrid Ley: "Arzneimittelversuch zur Hebung der Leistungsfähigkeit und Wachhaltung". Humanexperimente der Marine auf der Schuhprüfstrecke des KZ Sachsenhausen

Im November 1944 führte ein Marinestabsarzt Experimente mit wach haltenden, leistungssteigernden Medikamenten an Häftlingen des KZ Sachsenhausen durch. Ziel der Versuche war, die Wirkung und Verträglichkeit von "Pervitin" und anderen Aufputschmitteln zu prüfen. Der Anlass der Experimente bestand in der Einführung des Kleinst-U-Bootes "Seehund " in der letzten Phase des Krieges. Das vor allem taktischen Zwecken dienende Fahrzeug bot nur zwei Soldaten Platz, die jeweils bis zu vier Tage ununterbrochen in dem Boot operieren sollten. Solche Einsätze waren nur mithilfe von Aufputschmitteln durchzuhalten. Die Häftlinge, an denen diese Aufputschmittel getestet wurden, gehörten dem sogenannten Schuhläuferkommando an, einem Strafkommando in Sachsenhausen, das neue Entwicklungen der deutschen Lederersatzstoffindustrie zu prüfen hatte.

Details

Artikelnummer
367
ISBN
978-3-8378-4033-9
Jahr
2012
Sprachen
Deutsch